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O Tannenbaum

Marita Berg21. Dezember 2014

In einer vierteiligen Reihe vor den Weihnachtstagen erzählen wir die Geschichten von bekannten Liedern und beleuchten politische, romantische und kulturhistorische Zusammenhänge.

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Das Bild zeigt Lebkuchenanhänger an einem Tannenzweig © by-studio
Bild: Fotolia/studio

Leipzig, Advent 1824: Ernst Anschütz, Kantor an der Georgenkirche, bereitet die Weihnachtsfeiern vor. Besonders die Kinder liegen ihm dabei am Herzen. Für sie sucht er alte Lieder, die sich kindgerecht umdichten lassen. Dabei entdeckt er ein tragisches Liebeslied von Joachim August Zarnack, das die Untreue eines "flatterhaften Mägdeleins" und - im Kontrast dazu - den immergrünen Tannenbaum als Symbol der Treue besingt: "O Tannenbaum, o Tannenbaum, wie treu sind deine Blätter".

Schon seit dem Mittelalter war die Tanne im deutschsprachigen Raum als weihnachtliches Symbol sehr beliebt. Dabei wurden grüne Tannenzweige, Weihnachtsmaien genannt, im 16. Jahrhundert allmählich durch das Aufstellen ganzer Bäume verdrängt. Für den Leipziger Kantor Ernst Anschütz war klar: Das bekannte Lied über den treuen Baum ließ sich mit wenigen Textänderungen in ein stimmungsvolles Weihnachtslied umarbeiten: "O Tannenbaum, o Tannebaum, wie grün sind deine Blätter".

Martin Luther und seine Frau Katharina von Bora zu Weihnachten 1536 unterm Tannenbaum. ullstein bild - Granger Collection
Martin Luther unterm TannenbaumBild: ullstein bild - Granger Collection

Spott dem Kaiser

Als Weihnachtslied wurde "O Tannenbaum" in Deutschland allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg populär. Vorher durchlebte die Melodie eine überaus wechselhafte Geschichte: Deutsche Studenten sangen gerne die Liebeslied-Fassung. Ihnen dürfte dann aber auch die Umwandlung in ein Spottlied auf die Abdankung Kaiser Wilhelm II. zu verdanken sein: "O Tannenbaum, o Tannenbaum, der Kaiser hat in Sack gehaun". Politische Versionen kursierten auch im Ersten Weltkrieg, etwa als man 1914 die sogenannte "Winterschlacht in Masuren" mit "O Hindenburg! O Hindenburg! Wie schön sind deine Siege!" feierte. Aber auch jenseits des Atlantiks war das Lied schon seit dem 19. Jahrhundert bekannt.

Nahaufnahme der Titelseite der Berliner Zeitung am Mittag vom 9. November 1918, wo in großen Lettern bekanntgemacht wird, daß der letzte deutsche Kaiser Wilhelm II. an diesem Tag auf den Thron verzichtet hat.
Schlagzeile am 9. November 1918Bild: picture-alliance / dpa

Kampflied und Parteihymne

Deutsche Auswanderer hatten das Lied mit nach Amerika genommen. Und auch hier erwies sich die Melodie als äußerst flexibel. Neben dem heute weltweit bekannten "Oh Christmas Tree" entstand 1861 eine weitere weltliche Fassung: Mit den Worten "Maryland, My Maryland" wurde die Melodie zum Kampflied der Konföderierten im amerikanischen Bürgerkrieg, 1939 sogar offizieller "State Song" des US-Bundesstaates Maryland.

Labour Party-Delegierte singen die Parteihymne "The Red Flag" beim Parteitag 2011 (Foto: Christopher Furlong/Getty Images)
Singende Abgeordnete der Labour Party 2011Bild: Getty Images

Auch London war von der eingängigen Melodie begeistert. 1909 setzte sie sich da allerdings in einer eher kämpferischen Version durch: "The Red Flag", Protestsong im "Little Red Songbook" der internationalen Arbeiterbewegung. Seit 1945 ist der Song sogar inoffizielle Hymne der britischen "Labour Party". Bis heute beginnen deren Delegierte jeden Parteitag mit dem stolz geschmetterten Lied von der roten Flagge - vermutlich ganz ohne Gedanken an ein "flatterhaftes Mägdelein".