Merkel soll Kulturschaffende in der Türkei schützen
8. November 2016In ihrem offenen Brief fordern diverse Repräsentanten deutscher Kulturinstitutionen - darunter die Berliner Akademie der Künste, der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, das Deutsche Theater oder die Frankfurter Buchmesse -, die Bundeskanzlerin solle alle ihr zur Verfügung stehenden diplomatischen Mittel nutzen, um die sofortige Freilassung der inhaftierten türkischen Journalisten, Autoren, Wissenschaftler und Oppositionelle zu bewirken: "Wir fordern die Bundesregierung nachdrücklich dazu auf, so zeitnah wie möglich dieser verheerenden Entwicklung in der Türkei mit hohem politischem Druck entgegenzuwirken", heißt es weiter.
Erdogan auf Kriegsfuß
Weitere Unterzeichner sind Vertreter des Berliner Künstlerprogramm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) sowie des Kulturforums Türkei Deutschland. Im Interview mit der Deustchen Welle sagte Osman Okkan, Sprecher des Kulturforums Türkei Deutschland, die Situation in der Türkei zeige, dass Erdogan immer rigoroser auf eine präsidiale Diktaturaus sei und weder im Inland noch im Ausland vor einem blutigen Konflikt zurückscheue: "Jetzt stehen türkische Truppen sogar auf syrischem und irakischem Territorium." Die deutsche Regierung solle die Situation besser analysieren und wahrnehmen, dass die Situation in der Türkei nicht mit der Demokratie vereinbar sei und dementsprechende Maßnahmen, so Okkan weiter.
Zeit für "Klartext"
Auch Katharina Narbutovic, Leiterin des Berliner Künstlerprogramms des DAAD und Initiatorin der Aktion, hofft auf mehr Reaktion: "Ich bin nicht so naiv zu denken, dass dieser Appell eine Welle der Empörung auslöst. Aber ich denke, dass so ein Aufruf, der mit unterzeichnet wurde vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels durchaus wahrgenommen wird. Zum Beispiel von der Bundesregierung, von der Kulturstaatsministerin oder auch vom Auswärtigen Amt", erläuterte Narbutovic im Interview mit der Deutschen Welle.
Nach den gehäuften Festnahmen von Journalisten in den letzten Wochen - unter anderem von Schriftstellerin Asli Erdogan-, fühle sie sich verpflichtet, einzugreifen: "Ich habe mich an Kollegen in Kulturinstitutionen gewandet, etwa an die Berliner Festspiele, ans Haus der Kulturen der Welt, ans Maxim Gorki Theater, ans Deutsche Theater, und meine Berliner Kollegen gefragt, ob sie nicht in dieser sehr zerbrechlichen, sehr schwierigen, sehr düsteren Zeit etwas tun wollten." Sie habe offene Türen eingerannt, so Narbutovic weiter. "Sie alle haben auch das Gefühl, dass es an der Zeit ist, etwas zu tun. Die Mitgliederversammlung der Akademie der Künste Berlin, die just am letzten Wochenende tagte, hat sich beispielsweise geschlossen hinter das Ansinnen gestellt und den Brief an Bundeskanzlerin Merkel maßgeblich mit auf den Weg gebracht."
Verfall des türkischen Rechtsstaats
Osman Okkan rief aber auch dazu auf, nicht alle Türken über einen Kamm zu scheren: "Man muss auch die andere Türkei, die demokratische Türkei, hier wahrnehmen und sich nicht nur auf Erdogan fokussieren. Man muss sehr gezielt die demokratischen Kräfte in der Türkei unterstützen und ihrer Stimme in der europäischen Gemeinschaft Gehör verschaffen." Der Ton innerhalb der Bundesregierung habe sich schon geändert. "Wir haben erfahren, dass Menschen, die politisch verfolgt werden, in Deutschland Asyl beantragen können", sagte Okkan. Doch für all jene, die nicht aus der Türkei fliehen können, sieht Okkan schwarz.
Er befürchtet, dass das Grauen kein Ende nehmen werde und seine Öffentlichkeitsarbeit ihn noch lange beschäftigen wird: "Erdogan muss seine Macht festigen aufgrund der sehr konkreten Korruptionsvorwürfe gegen ihn, die sonst seinen Untergang bedeuten könnten. Deswegen findet der Regierungsapparat Erdogan immer wieder neue Möglichkeiten, Menschen zu drangsalieren. Es ist schon beschämend, wenn ein Staat und seine Justiz sich so sehr von rechtsstaatlichen Prinzipien entfernt haben."
Es soll nicht bei Appellen bleiben. Die Unterzeichner des offenen Briefs seien gewillt, eine umfassende Informationskampagne einzuleiten und Informationsveranstaltungen und Lesungen zu führen. "Wir werden trotz konkreter Drohungen und Einschüchterungsversuche, auch hier im Ausland unbeirrt weitermachen", sagte Okkan abschließend.