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Vakuum ohne Dalai Lama

Das Gespräch führte Klaudia Prevezanos19. März 2008

Ein Nachfolger für den Dalai Lama kann erst nach seinem Tod gesucht werden. Das dadurch entstehende Vakuum wäre für Peking jetzt von Vorteil, sagt Nadine Godehardt vom GIGA Institut für Asien-Studien in Hamburg.

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Ein Mann mit vielen Freunden - und Gegnern: Porträt des Dalai Lama (Foto: AP)
Ein Mann mit vielen Freunden - und GegnernBild: AP

DW-WORLD.DE: Der Dalai Lama hat seinen Rücktritt als politischer Führer der Exil-Regierung in Erwägung gezogen, sollte die Gewalt in Tibet eskalieren. Wie ist die Ankündigung zu diesem Zeitpunkt zu bewerten?

Nadine Godehardt: Man muss sich dabei der Position des Dalai Lama bewusst sein: Er ist das geistige Oberhaupt der Tibeter und steht somit für Frieden und Gewaltlosigkeit. Wenn von der chinesischen Regierung gesagt wird, dass er und seine "Clique" für die gewalttätigen Auseinandersetzungen verantwortlich seien, dann muss er darauf auch reagieren und seine Glaubwürdigkeit wiederherstellen, indem er seine moralische Instanz verteidigt.

Was würde in Tibet passieren, wenn er jetzt tatsächlich zurücktreten würde?

Der Dalai Lama ist die Stimme der Tibeter. Wenn er nicht mehr in dieser Position wäre, würde ein Vakuum entstehen, was in der jetzigen Situation möglicherweise einen Vorteil für die chinesische Regierung darstellt. Die Frage, was passiert, wenn dieser Dalai Lama zurücktritt, beschäftigt die Tibeter natürlich sehr. Schließlich sitzt er zwischen allen Stühlen und muss in dieser Situation dennoch als Ruhepol auftreten und versuchen, verschiedene Positionen auszugleichen. Dies wird dadurch erschwert, dass er von der chinesischen Regierung nicht anerkannt wird. Was fehlt, ist jemand, der als Mittelsmann versucht, die Wogen zu glätten

Unabhängig von der aktuellen Situation: Wenn der Dalai Lama zu einem späteren Zeitpunkt als politischer Führer der Exil-Regierung freiwillig zurücktreten würde, welche Vorsorge müsste er dafür treffen?

Die Vorsorge ist so eine Sache, da der Dalai Lama als politischer Führer wahrgenommen wird und gleichzeitig das spirituelle Oberhaupt der Tibeter ist. Als spiritueller Führer kann erst nach seinem Tod ein neues geistiges Oberhaupt der Tibeter auserwählt werden. Deshalb entsteht dann auch ein Vakuum. Über die chinesische Regierung kann man sagen, dass sie im Grunde abwartet. Es wird zwar seit 2002 mit Abgesandten des Dalai Lamas geredet, dennoch hat sich an der offiziellen Position kaum etwas verändert. Seitdem spricht der Dalai Lama auch nicht mehr von einer Unabhängigkeit Tibets, sondern von einer größeren Autonomie im Sinne von Hongkong. Er hat erst gestern wieder betont, dass Tibeter und Chinesen nebeneinander - "Seite an Seite" - leben sollten. Doch darauf reagiert die chinesische Regierung letztlich immer gleich: der Dalai Lama bleibt Staatsfeind und verantwortlich für die Aktionen der Tibeter. Darum ist die Sorge der Tibeter, dass Peking diese Gespräche weiterführt, ohne tatsächliche Ergebnisse zu wollen, durchaus berechtigt. Es wird besonders schwierig werden, aufgrund seines hohen Ansehens im Ausland einen Nachfolger für diesen Dalai Lama zu finden.

Wäre es möglich, dass der Dalai Lama einen politischen Führer neben sich aufbaut, der nicht gleichzeitig auch das geistige Oberhaupt der Tibeter ist?

Ich denke, dass man die Exil-Regierung Tibets wenig wahrnimmt; was sie macht und wie sie funktioniert. Wir im Westen schauen auf den Dalai Lama und dieser ist in erster Linie das geistige Oberhaupt der Tibeter. Es gibt nur Annahmen darüber, dass er seinen Nachfolger selber auswählen möchte. Dabei wäre es sicher sinnvoll, die politische Situation im Auge zu behalten. Aber das Problem bleibt: wenn der Nachfolger des jetzigen geistigen Oberhauptes auserwählt wird, wäre dieser kaum ein besserer Gesprächspartner für die chinesische Regierung.

Nadine Godehardt arbeitet am GIGA Institut für Asien-Studien in Hamburg. Sie ist Mitarbeiterin im Projekt "Regionale Führungsmächte" und auf China spezialisiert.