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Ohne Zuwanderung werden Fachkräfte fehlen

Richard A. Fuchs, Berlin 15. Oktober 2015

Deutschlands Lücke bei Fachkräften aus naturwissenschaftlich-technischen Berufen wird immer größer. Wirtschaftsverbände schlagen Alarm und sehen in ihrem Herbstgutachten aber auch Chancen durch Zuwanderung.

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Ein Arbeiter mit Migrationshintergrund schraubt in einem Betrieb mit Zange (Foto: DPA)
Zuwanderung in den Fachkräftepool ist eine Chance, die Deutschland sich nicht entgehen lassen soll, sagen Wirtschaftsverbände.Bild: picture-alliance/dpa/S. Hoppe

Deutsche Wirtschaftsverbände schlagen Alarm: Den Unternehmen fehlten im September dieses Jahres 164.000 Arbeitskräfte in naturwissenschaftlich-technischen Berufen. Auch der Trend sei besorgniserregend, denn auf absehbare Zeit werde diese Fachkräftelücke durch den demografischen Wandel weiter steigen. Zu diesem Fazit kommt der Fachkräfte-Herbstreport, den Vertreter des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI) und der Arbeitgeberverbände am Donnerstag in Berlin vorstellten. Im Fokus die sogenannten MINT-Berufe, die Schüler und Studierende aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT) nach ihrer Ausbildung ergreifen.

Zuwanderung aus Nachbarländern stützt MINT-Berufe

Seit langem ist bekannt, dass gerade diese für die Ingenieursnation Deutschland wichtigen Studienrichtungen unter deutschen Schülerinnen und Schülern immer häufiger gemieden werden. Eine Situation, die dem Herbstgutachten zufolge jetzt zum aktuellen Engpass geführt habe. Wenn die Zahl der MINT-Arbeitsplätze in den vergangenen Jahren dennoch zulegen konnte, liege dies vor allem am qualifizierten Zuzug. "Zuwanderung hilft bei der Fachkräftesicherung", sagt Professor Axel Plünnecke, beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln zuständig für Zuwanderungsfragen. In den vergangenen drei Jahren sei die Zahl der Jobs in den MINT-Berufen um 2,6 Prozent gestiegen. Besonders auffällig sei hier, dass die Zahl der ausländischen MINT-Arbeitnehmer fünf Mal schneller stieg als die der einheimischen Fachkräfte. "Die Fachkräfteengpässe wären heute deutlich größer, hätte Deutschland in den letzten Jahren nicht in hohem Maße von der Zuwanderung profitiert", so der Experte vom IW Köln. Das Herbstgutachten legt nahe, dass besonders viele dieser MINT-Arbeitskräfte aus Mittel- und Osteuropa, (+37 Prozent), Indien (+ 35 Prozent) sowie Spanien (+27 Prozent) kamen. Dabei gebe es innerhalb Deutschlands große Unterschiede: Während wirtschaftsstarke Standorte wie Bayern, Baden-Württemberg und Hessen ein Anziehungsmagnet für ausländische MINT-Fachkräfte seien, fielen die ostdeutschen Bundesländer deutlich zurück.

Ein Bild von Prof. Axel Plünnecke vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) Köln. (Foto: IW)
Prof. Axel Plünnecke vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) Köln.Bild: Imago/IPON
Eine Gruppe ausländischer Facharbeiter in der Werkstatt (Foto: DPA)
Besonders in Ausbildungsberufen sehen Wirtschaftsverbände Chancen auf Arbeit für die derzeitigen Flüchtlinge.Bild: picture-alliance/dpa/S. Hoppe

Zuwanderung von Flüchtlingen keine Lösung für MINT-Engpass

Auch zu den Chancen, die die derzeitige Rekordzuwanderung von Flüchtlingen für den MINT-Sektor bedeuten könnte, nimmt das Herbstgutachten der Verbände Stellung. Thomas Sattelberger, Leiter der Initiative MINT-Berufe von Industrie- und Arbeitgeberverbänden, warnte allerdings vor überzogenen Erwartungen. "Anerkannte Asylbewerber können weder im MINT-Bereich noch in anderen Mangelberufen das Fachkräfteproblem beheben", so sein Fazit. Sattelberger stützt diese Einschätzung auf die Auswertung der Zahlen der vergangenen drei Jahren. Das zeige, so Sattelberger, "dass die Beschäftigung aus Flüchtlingsländern wie Afghanistan, Syrien, Irak und Eritrea von einem niedrigen Niveau kommend, angestiegen ist". Der Anteil jener, die aus diesen Ländern in Deutschland einen MINT-Beruf aufgenommen hätten, sei aber deutlich niedriger als aus anderen Ausländergruppen oder Deutschen. Ende 2014 hätten gerade einmal rund 3600 aus dieser Gruppe in naturwissenschaftlich-technischen Berufen hierzulande gearbeitet.

Deshalb gelte es zunächst, die Aufnahme von Flüchtlingen als humanitäre Aufgabe zu betrachten, nicht als Antwort auf die Fachkräftelücke. Im nächsten Schritt müssten dann "kluge Brücken aus der Bildungsarmut in die ersten beruflichen Erfahrungen" gebaut werden, forderte Sattelberger. Das Schul- und Ausbildungssystem müsse flexibilisiert werden, auch angesichts der zu erwartenden Zahlen schulpflichtiger Flüchtlinge. Schätzungen sagen voraus, dass allein in den kommenden zwölf Monaten bis zu 300.000 Kinder und Jugendliche ins deutsche Bildungssystem zu integrieren seien. Das erfordere deutlich mehr Personal. Sattelberger rechnet mit einem Bedarf von 14.000 neuen Erzieherstellen, ebenso wie 30.000 notwendigen Lehrerstellen.

Ein Protrait von Thomas Sattelberger, für BDI und BDA zuständig für die MINT-Initiative (Foto: Telekom)
Thomas Sattelberger, für BDI und BDA zuständig für die MINT-InitiativeBild: Imago/J. Schicke

Dass nur rund ein Drittel aller bestehenden naturwissenschaftlich-technischen Lehrerstellen aktuell neu besetzt werden könnte, verschärfe den MINT-Lehrermangel zusätzlich. "Bei diesen Zahlen wird deutlich, dass wir die Diskussion um Kurzlehre, ein- bis zweijährige Ausbildungsgänge und Teilqualifizierung noch stärker in Aktion überführen müssen", so Sattelberger. Um schnell Lehrpersonal zu gewinnen, könnten Pensionäre wieder in den Schuldienst kommen. Ebenso wie Handwerksmeister oder Techniker zu Hilfslehrkräften weitergebildet werden sollten. In den Augen von Professor Axel Plünnecke vom IW Köln ist eine großangelegte Bildungsoffensive für Flüchtlinge in jedem Fall ein Gewinn - nicht nur für die MINT-Berufe. Berufsvorbereitung organisieren, Sprachkurse organisieren und Lehrer für die Schulen zu gewinnen, das sind Milliarden-Pakete, die für diese Aufgabe jetzt gebraucht würden. "Aber die sind eben entweder ein kleiner Teil zur Fachkräftesicherung oder ein großer Teil zur humanitären Aufbauleistung."

Arbeitgeberverbände: Rente mit 63 ist Fachkräftekiller

Besonders die Arbeitgeberverbände appellierten in diesem Zusammenhang an die Bundesregierung, angesichts des akuten Fachkräftemangels ihre Rentenpolitik zu überdenken. Hier wurde aus der Rente mit 67 für bestimmte Berufsgruppen mit 45 Arbeitsjahren eine Rente mit bereits 63 Jahren gemacht. Ein Fehler, der sich jetzt auch in Zahlen niederschlage, argumentierte Michael Stahl, Leiter der Abteilung Bildung beim Arbeitgeberverband Gesamtmetall. "Die Rente mit 63 konterkariert die bisher sehr erfolgreichen Anstrengungen der Unternehmen, die Beschäftigung zu erhöhen, und sie entzieht ihnen dringend benötigte qualifizierte Arbeitskräfte, besonders Facharbeiter und gerade in den MINT-Berufen." Nach Berechnungen des Arbeitgeber-finanzierten Gutachtens habe diese staatlich verordnete Verkürzung der Lebensarbeitszeit die Zahl der MINT-Arbeitnehmer um gut 10.000 Stellen reduziert.

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