Okwui Enwezors letzte Ausstellung
1. März 2021Geplant hatte Kurator Okwui Enwezor sie als generationsübergreifende Ausstellung: "Grief and Grievance: Art and Mourning in America". Darin werden ausschließlich Arbeiten afoamerikanischer Künstler gezeigt. Bei vielen ist die Erfahrung von Gewalt und Alltagsrassimus in den USA zentrales Thema.
Aber die Eröffnung im Februar 2021 im "New Museum" in New York City hat der Initiator dieser Schau und maßgebliche Kurator nicht mehr erlebt. Ein Team setzte seine Arbeit fort und vervollständigte das Konzept noch mit aktuellen Arbeiten US-amerikanischer Künstler. Die Schau ist Enwezors Vermächtnis: ein starkes politisches und künstlerisches Statement.
Als der renommierte Ausstellungsmacher Okwui Enwezor im März 2019 mit nur 55 Jahren starb, trauerte die globale Kunstszene um einen ihrer Weltstars. In den Jahrzehnten zuvor hatte Enwezor die Kunstgeschichte und -theorie mit einer klaren und politisch mutigen Haltung geprägt. Mit der ungewöhnlichen Ausstellung "Grief and Grievance: Art and Mourning in America" hat er der Welt in New York eine Art künstlerisches Vermächtnis hinterlassen.
Eurozentrismus überwinden
Zu einer Zeit, als der Begriff "postkolonial" noch wenig etabliert war, setzte der 1963 in der nigerianischen Hafenstadt Calabar geborene Enwezor als Kurator, Autor und Hochschullehrer seinerzeit wichtige Akzente: Den Eurozentrismus, also die Fixiertheit des Kunstbetriebs auf Europa und Nordamerika, wollte er bewusst überwinden und um die Perspektiven des "Globalen Südens" und der schwarzen Künstlerinnen und Künstler erweitern.
Bei der Umsetzung dieses Vorhabens wurde er zu einem der einflussreichsten international arbeitenden Kuratoren überhaupt. Seine Karriere als Ausstellungsmacher gipfelte in seiner von Kritikern und Publikum umjubelten Ausgestaltung der 56. Kunst-Biennale in Venedigim Jahr 2015. Dort platzierte er gezielt junge Künstler und innovative Kunstformate, um den etablierten Kanon bekannter Namen aufzubrechen.
Enwezor und Deutschland
Eng verwoben war seine Arbeit als Kunstexperte und Kurator auch mit Deutschland: von 1998 bis 2002 gab Enwezor als künstlerischer Leiter der documenta 11 in Kassel ganz neue Impulse. Der etablierten Kunstschau verlieh er eine dezidiert politische und kunsttheoretisch ambitionierte Ausrichtung. Weltweit sorgte die documenta-Ausgabe für Aufsehen und lieferte viel Diskussionstoff - nicht nur in der Kunstszene.
Von 2011 bis 2018 leitete er als Direktor das renommierte Haus der Kunst in München. In der bayerischen Landeshauptstadt hatte Enwezor, der lange auch in New York gearbeitet hatte, seine zweite Heimat gefunden, wie er oft in Interviews erzählte. Angesichts des deutlich zunehmenden Rechtspopulismus in Deutschland und Europa hatte der in Nigeria geborene Kurator zuletzt allerdings Unbehagen und zuweilen auch Sorge um seine eigene Sicherheit bekundet.
Ausstellungskonzeption im Krankenbett
Okwui Enwezor starb 2019 in München an einer Krebserkrankung. Schon schwer von der Krankheit gezeichnet, hatte er die Zusammenstellung seiner letzten Ausstellung "Grief and Grievance: Art an Mourning in America" noch vom Krankenbett aus konzipiert, berichtete US-Künstler Glenn Lion in einem Interview mit dem New Yorker Radiosender WNYC.
Lion, dessen Lichtinstallation den Eingangsbereich des "New Museum" schmückt, stand ihm bei der Konzeption bis zuletzt mit Rat und Tat zur Seite. Manchmal habe Enwezor die Arbeit kurz unterbrochen, um sich seiner Chemotherapie zu unterziehen. Und danach habe er weitergemacht, als wäre nichts gewesen.
Für ihn war Kunst ein Katalysator für politische Befreiung und immer ein gesellschaftliches Statement. Jetzt ist sein künstlerisches Vermächtnis in New York zu bewundern - mit einer nachhaltigen Botschaft weit über die Grenzen der Vereinigten Staaten von Amerika hinaus. Das war der Wunsch des Weltbürgers Okwui Enwezor.
Die Ausstellung im "The New Museum" ist noch bis zum 6. Juni 2021 in New York zu sehen. Der Katalog kostet 79,95 US-Dollar (69,95 Euro) und kann online oder in der Buchhandlung bestellt werden.