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Olaf Scholz auf Partnersuche in Südamerika

27. Januar 2023

Der Bundeskanzler besucht Brasilien, Argentinien und Chile. Doch alte Rezepte wirken nicht mehr, Deutschland muss sich in der Region neu erfinden.

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Luiz Inácio Lula da Silva und Olaf Scholz begrüßen sich mit dem Faustcheck (Faust auf Faust)
Zwei Fäuste für eine gute Zusammenarbeit: Brasiliens Präsident Lula und Bundeskanzler Scholz (Archiv)Bild: Ricardo Stuckert/Instituto Lula

Befragt nach den Zielen seiner Visite, wurde der sonst so nüchterne Olaf Scholz fast überschwänglich. "Lateinamerika besitzt unglaubliche Potenziale", so Scholz, und überhaupt, Themen wie der Ausbau der erneuerbaren Energien, Ökologie und Nachhaltigkeit stünden dort genauso auf der Tagesordnung wie in Europa.

Lobeshymnen vom Januar 2023, vor seiner Reise nach Brasilien, Argentinien und Chile? Könnte man denken, doch Scholz sagte dies vor ziemlich genau zehn Jahren im April 2013 - nicht als Kanzler, sondern noch als Hamburgs Erster Bürgermeister vor seinem damaligen einwöchigen Abstecher nach Südamerika.

Brasilianischer Präsident Lula da Silva schüttelt die Hände mit dem argentinischem Präsidenten Alberto Fernández
Der brasilianische Präsident Lula da Silva mit seinem argentinischen Amtskollegen Alberto FernándezBild: Esteban Collazo/Argentinian Presidency/AFP

Es scheint also fast, als sei die Zeit im Verhältnis zwischen Deutschland und der Region stehen geblieben. Seit Jahrzehnten wird Lateinamerika als Partner auf Augenhöhe gepriesen, mit dem man die gleiche Kultur, die gleichen Werte und die gleichen Interessen teile. Eine vollmundig erklärte Lateinamerika-Offensive Deutschlands oder auch der EU jagt die nächste, Günter Maihold kann sie langsam nicht mehr hören.

Der stellvertretende Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik fürchtet schon die ewig gleiche Schlagzeile, welche die Reise von Scholz auch diesmal begleiten könnte: "'Deutschland entdeckt Lateinamerika wieder neu'." Oder, was noch schlimmer wäre: "Humboldt wird wieder als historischer Bezug aktiviert, obwohl er zum Beispiel nie nach Brasilien reisen konnte."

"Gemeinsame Grundlage bröckelt"

Maihold hat für den Berliner Think-Tank das Verhältnis zwischen der EU und Lateinamerika analysiert, sein Fazit fällt längst nicht so positiv aus. "Die gemeinsame Grundlage bröckelt", heißt es in seinem Papier. Die Politik Berlins wie auch Brüssels habe in den vergangenen Jahren in ganz Lateinamerika zu ernsten Brüchen geführt. So habe sich die EU mit der Weigerung, COVID-19-Impfstoffe zu liefern, und ihrer gleichzeitigen Agitation etwa gegen chinesische Impfstoffe nicht eben beliebt gemacht. Auch die Sanktionspolitik gegenüber Russland stoße auf dem Subkontinent auf Ablehnung. "Brasilien besitzt eine hohe Abhängigkeit von Düngemittelimporten aus Russland. Der argentinische Präsident Fernández ist kurz vor Kriegsbeginn noch in Moskau gewesen und hat sein Land als Eingangstor für Russland nach Lateinamerika angepriesen", so Maihold. Über eine große Unterstützung für die deutsche Position zur Ukraine sollte man sich daher "nicht zu viele Illusionen machen".

China längst gekommen, um zu bleiben

Wer sich die jüngste Umfrage des renommierten Meinungsforschungsinstitutes Latinobarómetro anschaut, bekommt eine leichte Ahnung, wie sich die Machtverhältnisse in der Region in den vergangenen Jahren verschoben haben. Bei Menschenrechten, Umweltschutz oder auch Demokratieförderung sieht man Deutschland und die EU weiterhin als Partner, geht es aber um Wissenschaft und Technologie, fällt fast ausnahmslos der Name China.

Porträt von Günter Maihold, stellvertretender Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik
"Zuhören und dann deutsche Angebote unterbreiten. Dem neuen Selbstbewusstsein Rechnung tragen" - Günter MaiholdBild: SWP

Deutschlands Anteil am brasilianischen Import ist in den letzten 20 Jahren fast um die Hälfte auf 5,1 Prozent geschrumpft. Währenddessen ist China mit 22,8 Prozent größter Lieferant Brasiliens und auch als Abnehmer brasilianischer Waren die klare Nummer Eins.

"China ist für Lateinamerika interessant, weil es ohne große Bedingungen kommt. Es wird nicht bei jedem Projekt auf Demokratie, Rechtsstaat, Umweltschutz und entsprechende Untersuchungen Wert gelegt. Und im Zweifel kommt China auch mit eigenen Arbeitern und setzt strategische Infrastrukturprojekte um", sagt Maihold. "Wenngleich natürlich auch ein gewisser Vorbehalt besteht hinsichtlich der Frage, welche Art von Einflussnahme ausgeübt wird."

Grüner Wasserstoff aus Chile, Lithium aus Argentinien

Für Brasilien, Argentinien oder Chile ist Deutschland ein wenig wie der alte Schulfreund, der alle paar Jahre mal an die Tür klopft, auf die gemeinsame Freundschaft und alte Zeiten anstößt und dann aber auch schnell wieder verschwindet. Eine Strategie, die angesichts der schwierigen geopolitischen Weltlage klar an ihre Grenzen stößt. Aufgabe von Scholz bei dieser Reise sei es auch, so der Lateinamerika-Experte, den Unterschied zu China deutlich zu machen, welches nur den schnellen Export von Rohstoffen im Blick habe.

"Beim Lithium zum Beispiel wird erwartet, dass eine Verarbeitung, wenn schon nicht im jeweiligen Förderland, wenigstens im regionalen Maßstab mit dem Aufbau regionaler Wertschöpfungsketten von Deutschland mit angeboten würde.“ Das reine Investitionsinteresse reiche heute nicht mehr, sagt Weinhold. "Gefragt ist ein integrales Angebot, das von der Investition in Kapitalgüter über Wissenschaft, Technologie, Verarbeitung und Vermarktung geht und nicht Lateinamerika auf die Rolle des Rohstoffexporteurs reduziert. Mehr, als dass ein Schiff vorbeikommt, alles auflädt und nach Deutschland schafft.“

Beim Gespräch mit dem chilenischen Präsidenten Gabriel Boric wird es auch um den Stand der "Task Force Wasserstoff" gehen, die beide Länder 2021 im Rahmen der deutsch-chilenischen Energiepartnerschaft gründeten. Chile könnte im Jahr 2050 theoretisch das Drei- bis Vierfache des geschätzten Importbedarfs an grünem Wasserstoff in Deutschland decken.

Und auch mit dem argentinischen Staatschef Alberto Fernández wird Scholz über Rohstoffe sprechen, genauer über das "weiße Gold" der Energiewende: Lithium. Der deutsche Autobauer BMW fördert es seit zwei Jahren aus einem argentinischen Salzsee.

Weiße Salzwüste unter strahlend blauem Himmel - im Lithium-Dreieck Bolivien Chile Argentinien
Lithiumgewinnung in den nördlichen argentinischen Provinzen Salta und JujuyBild: AFP

Luiz Inácio Lula da Silva will Deutschland vor allem beim Klimaschutz unterstützen. Der brasilianische Präsident hat angekündigt, die Abholzung des Regenwaldes zu stoppen. "Der ehemalige Präsident Bolsonaro hatte die Steuerungsgremien, die damals für den Amazonienfonds eingeführt worden, aufgelöst", sagt die Brasilien-Expertin Katharina Fietz vom GIGA-Institut in Hamburg. "Lula hat gleich nach seiner Amtseinführung diese Steuerungsgremien wieder eingeführt, woraufhin dann Deutschland auch 35 Millionen Euro für den Amazonienfonds wieder freigegeben hat", so Fietz.

Wird das EU-Mercosur-Freihandelsabkommen Realität?

Für Lula geht es auch um Imagepflege, er will Brasilien nach den turbulenten Bolsonaro-Jahren wieder zurück auf die internationale Bühne befördern. Der Besuch des deutschen Kanzlers kommt ihm gerade recht, zu seiner Amtseinführung war schon Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eingeflogen. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron hat schon seinen Besuch angekündigt.

Katharina Fietz Brasilien-Expertin, Porträtaufnahme
"Brasilien hofft, mit dem neuen Präsidenten auch wieder international mehr eingebunden zu sein" - Katharina FietzBild: GIGA-Institut

Bei den Gesprächen mit den europäischen Regierungschefs wird auch das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten wieder ganz oben auf der Agenda stehen, das wegen Bolsonaros Klimapolitik ins Stocken geraten war. Trotz Widerstands der Agrarlobby habe Brasilien ein "starkes Interesse, das Abkommen abzuschließen", sagt Katharina Fietz. Sie geht davon aus, dass das Abkommen mit der spanischen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr dieses Jahres "noch mal einen neuen Push bekommen wird, weil auch Spanien ein großer Verfechter der Freihandelszone ist".

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur