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Olaf Scholz: Der schweigende deutsche Kanzler

23. Januar 2024

Gegen Rechtsextremismus zeigt Olaf Scholz klare Kante, doch an anderer Stelle hält er sich oft zurück. Er kommuniziere schlecht, seine Regierung streite zu viel, sagen Experten. Lange war kein Kanzler mehr so unbeliebt.

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Bundeskanzler Olaf Scholz bei einer Demonstrationen gegen Rechtsextremismus in Potsdam am 14. Januar 2024
Gesicht zeigen gegen Rechtsextremismus: Olaf Scholz bei einer Demonstration in Potsdam am 14.1.2024 - bei anderen Themen ist der Kanzler aber oft weniger präsentBild: Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance

"Guck' mal, da ist Olaf Scholz, der Bundeskanzler", sagt eine Frau und schiebt zwei etwa zehnjährige Jungen an Pressefotografen vorbei nach vorne. "Der kleine Mann mit der Glatze?", fragt einer der Jungen und späht über das schwarze Absperrband auf zwei Männer und eine Frau, die in ein paar Metern Entfernung neben einer landwirtschaftlichen Maschine stehen. Sie unterhalten sich über das vollautomatische Abernten von Erdbeerfeldern. "Ja, genau", antwortet die Frau lachend und hebt ihr Handy hoch, um ein Foto zu machen. "Der Kanzler auf der Grünen Woche, das ist ja was." 

Brotbacken mit dem Bundeskanzler

Eineinhalb Stunden ist Scholz auf der Berliner Agrar- und Ernährungsmesse unterwegs. Schaufelt mit Förstern symbolisch ein Loch für einen Baum, schaut in Töpfe und Pfannen und formt mit Bäckern ein Brot. So nah wie bei den Erdbeeren kommt ihm dabei allerdings kein normaler Messe-Besucher mehr. Die Wege des Kanzlers sind weiträumig abgesperrt. 

Bundeskanzler Olaf Scholz besucht Grüne Woche in Berlin, er steht in der MItte des Bildes, links und rechts von ihm Auszubildene des Bäckerhandwerks.
Brot backen mit Olaf Scholz - der Kanzler auf der Grünen Woche in BerlinBild: Sabine Kinkartz/DW

Die Wahrnehmung ist: Scholz ist nicht da

Die räumliche Distanz hat auch etwas Symbolisches. In der Wahrnehmung vieler Bürger ist der Kanzler seit Wochen und Monaten nicht richtig da, zeigt kaum Präsenz. Seit Dezember 2021 führt der Sozialdemokrat eine Regierung aus drei Parteien: seiner SPD, den Grünen und der FDP. Einfach ist die Arbeit nicht.  

Noch nie musste eine Bundesregierung mit so vielen Problemen klarkommen. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Energie knapp und teuer werden lassen. Und eine Inflation ausgelöst. Der Staat hat mit Finanzhilfen gegengesteuert, doch inzwischen sind die Kassen leer. Das bekamen zuletzt die Bauern zu spüren, denen die Subventionen beim Kraftstoff gekürzt werden sollen. 

Traktoren stauen sich auf Berlins "Straße des 17. Juni".
Zur Zeit wird in Deutschland viel protestiert - auch in Berlin legen Bauern in der vergangenen Woche erneut den Verkehr in lahmBild: Christophe Gateau/dpa/picture alliance

Ein Land und seine vielen Baustellen

Die Bauern treibt das auf die Straße und ihren Protesten schlossen sich viele andere an: Handwerker klagen über zu viel Bürokratie. Bei der Bahn streiken die Lokführer, weil sie mehr Geld verdienen und weniger arbeiten wollen.  

Straßen, Brücken und Schienen sind kaputt, bei der Digitalisierung liegt Deutschland hinter anderen Ländern zurück. In der internationalen Pisa-Studie zum Bildungsniveau schneiden deutsche Schülerinnen und Schüler so schlecht ab wie noch nie. 

Die Menschen registrieren: Die Regierung streitet viel

Und Olaf Scholz und die Regierung? Was tun sie dagegen? In der Wahrnehmung der Bürger wenig. Dabei haben SPD, Grüne und FDP durchaus einiges von dem abgearbeitet, was sie sich in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen haben. Aber sie streiten auch viel. Vor allem FDP und Grüne. Scholz hält sich dann meistens raus. Das bleibt hängen.  

Eine zufällige Befragung der DW Mitte Januar auf den Straßen Berlins. Ein Mann etwa sagt: "Wenn ich auf ein Ehepaar gucke, das ständig streitet, aber sonst behauptet, dass es glücklich ist: das funktioniert nicht." Nach Scholz gefragt, meint eine Frau: "Man fühlt sich nicht so wirklich gehört. Man hat das Gefühl, die Kosten gehen alle in die Höhe. Da ist das Gefühl, dass sich das Leben in Deutschland nicht mehr so richtig lohnt."  

Nur noch jeder Fünfte ist mit Scholz zufrieden

Laut dem Meinungsforschungsinstitut infratest-dimap sind nur noch 19 Prozent der Wähler mit der Arbeit von Olaf Scholz zufrieden. So unbeliebt war kein Kanzler seit Beginn der Erhebungen 1997.  Damals hieß der Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) - und er wurde ein Jahr später abgewählt. 

"Man muss den Menschen einfach erklären, dass da jetzt Einiges auf sie zukommt. Und dass es nicht so bleiben kann, wie es ist", sagt eine Frau in der Befragung der DW. 

Scholz: nüchtern und sachlich - und beschwichtigend

Doch genau das macht Olaf Scholz nicht. Der Kanzler spricht nur, wenn es unbedingt nötig ist. Und wenn er etwas sagt, dann stets knapp, nüchtern und sachlich. Scholz beschwichtigt und verspricht den Bürgern, dass schon alles gut werden wird. Das wirkt unglaubwürdig.  

Es gebe natürlich gravierende Probleme bei den vielen Veränderungen, sagt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin der DW. Olaf Scholz müsse das transparent machen: "Er muss ehrlich und offen darüber sprechen, was die Regierung leisten kann und was nicht. Und er muss auch Demut zeigen. In allererster Linie geht es um Ansprache. Er muss um Vertrauen bei den Bürgern werben; auch bei den Unternehmern." 

Das Kanzleramt sagt: Scholz spricht viel mit den Menschen

Mehr Demut, ein besserer Umgang mit Erwartungen: Es geht also weniger darum, dass Scholz nicht aktiv ist. Tatsächlich kann man kaum sagen, dass Scholz etwa in seinem Büro sitzt und die vielen Baustellen des Landes von dort aus beobachtet: Aus dem Kanzleramt etwa heißt es, Scholz suche viel mehr als seine Vorgängerin Angela Merkel den Kontakt zu den Bürgern, wo immer er gerade ist.  

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) besichtigt das Hochwasser Ende Dezember in Verden in Niedersachsen, wo die Weser über die Ufer getreten ist.
Ausgepfiffen im Hochwasser - Olaf Scholz Ende Dezember in Verden in NiedersachsenBild: Alexander Koerner/Getty Images

Allerdings sind es in der Regel ausgesuchte und gesteuerte Kontakte. Egal ob Scholz auf der Grünen Woche unterwegs ist, im Kanzleramt Wirtschaftsbosse empfängt, ein Krankenhaus besucht oder Unternehmen im Land.  

Buhrufe und Beschimpfungen

Was passiert, wenn der Kanzler direkt auf die Bürger trifft, zeigte sich bei seinen Besuchen in den Hochwassergebieten Ende Dezember und Anfang Januar und auch beim EM-Spiel der deutschen Handball-Nationalmannschaft. Olaf Scholz wurde bei diesen Gelegenheiten beschimpft, ausgepfiffen und ausgebuht.  

Der Kanzler dringt mit seiner Politik einfach nicht mehr durch. Dazu sagt Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing am Starnberger See, der DW: "Viel Präsenz bedeutet ja nicht viel Wirkung. Vor allem bei einem Bundeskanzler, bei dem die Sorge groß ist, dass er nicht so durchsetzungsstark ist und nicht so präsent, wie er für sich selbst am Anfang in Anspruch genommen hat." 

Auch internationale Beobachter sind irritiert

Damit spielt Münch auf einen Satz an, den Scholz selbst einmal gesagt hat: "Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch." In der Wahrnehmung der Bürger muss ein Bundeskanzler tatsächlich auch führen können. Doch in der Koalition von SPD, Grünen und FDP sieht sich der Kanzler mehr als Moderator, nicht als Chef.  

Rückkehr der Bundeswehr aus Mali: Verteidigungsminister Boris Pistorius bei Ankunft in Wunstorf 2023 | Deutschland, Mali
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) soll schon als Reservekanzler gehandelt werdenBild: Political Moments/IMAGO

Auch auf der internationalen Ebene lässt der Bundeskanzler in den Augen seiner Kritiker Führungsstärke vermissen. Deutschland ist die größte Volkswirtschaft in Europa und bei den Staaten, die die Ukraine finanziell und militärisch unterstützen, ist das Land nach den USA der zweitgrößte Geber.

Geheime Treffen in der verzweifelten SPD?

Aber seit Wochen streiten die Experten, ob und wenn ja, wann Deutschland der Ukraine Taurus-Marschflugkörper liefert. Von Scholz dazu kein Wort. Beim wichtigen Weltwirtschaftsforum in Davos in der vergangenen Woche fehlte der Kanzler. Ohne Erklärung. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron  aber war sehr wohl da.

Und so ist es kein Wunder, wenn auch in der Partei des Kanzlers, bei den Sozialdemokraten, der Unmut wächst: Schon berichtet das Magazin "Spiegel" von Geheimtreffen, bei denen die Idee diskutiert wird, dass zur nächsten Wahl im Herbst 2025 nicht Scholz, sondern der beliebte Verteidigungsminister Boris Pistorius für die SPD antreten sollte. Von Scholz auch zu diesen Gerüchten: kein Kommentar.