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Olaf Scholz: Kann der Kanzler Kommunikation?

1. Juli 2022

Die Kommunikation des deutschen Bundeskanzlers steht immer wieder in der Kritik. Seine norddeutsche Einsilbigkeit kommt bei vielen nicht gut an - vor allem im direkten Vergleich mit einem politischen Weggefährten.

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Deutschland G7 Gipfel Bundeskanzler Olaf Scholz
Bild: Jens Krick/Flashpic/picture alliance

Seit über einem halben Jahr ist Olaf Scholz jetzt als deutscher Bundeskanzler im Amt. Und immer wieder diskutiert Deutschland über einzelne Formulierungen des Regierungschefs.

Vor kurzem war wieder so ein Tag. Da äußerte sich Scholz zum Abschluss des G7-Gipfels im bayerischen Elmau vor Medienvertretern, darunter viele, die auch in der Hauptstadt Berlin berichten und der Politik bekannt sind. Rosalia Romaniec, Leiterin des Hauptstadtstudios der Deutschen Welle, fragte den Kanzler, ob er konkret sagen könne, auf welche Sicherheitsgarantien für die Ukraine sich die Staaten für die Zeit nach dem Krieg geeinigt hätten.

Der SPD-Politiker antwortete mit "Ja." Dann sagte er erstmal nichts. Scholz grinste, ergänzte ein "könnte ich", bevor er nach einem "das war's" die Bühne verließ. "Siri, definiere Arroganz", kommentierte Mathieu von Rohr, Leiter des Hauptstadtbüros des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, auf Twitter diesen Moment. Eine empörte Stimme unter vielen. Das Video der Szene wurde seither in den sozialen Medien jedenfalls millionenfach geklickt.

Nur "Nö" als Antwort

Wenig später am gleichen Tag legte Scholz im ARD-Interview "Farbe bekennen" nach. Da thematisierte ARD-Chefredakteur Oliver Köhr den angesichts der Ukraine-Krise drohenden Energie-Engpass und fragte den Kanzler dann, unter ausdrücklicher Erwähnung von Anregungen seines Wirtschaftsministers, Vizekanzler Robert Habeck ("kürzer duschen", "Heizung regulieren"), ob auch er "praktische Alltagstipps" zur Hand habe? Scholz Erwiderung: "Nö". Nur "Nö". 

"Olaf Scholz betreibt eine locker freundlich-hanseatische Kommunikation, die aber ohne strategische Präzision ist." Seit Jahrzehnten beobachtet der Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld deutsche Kanzler: Helmut Kohl, Gerhard Schröder, Angela Merkel, nun Olaf Scholz.

Sein Urteil über den Bundeskanzler der Ampel-Koalition aus Grünen, SPD und FDP ist deutlich. "Da ist eine strategische Sprachlosigkeit, die so eine Art Grundveranlagung ist", sagt der Münchner Hochschullehrer der DW.

Nach Einschätzung von Weidenfeld empfindet Scholz auch ein einfaches Nö "nicht als Manko, seine Art, mit dieser Frage umzugehen, lächelnd ein 'Nö' zu sagen. Das ist einfach sein Verständnis von Kommunikation."

Deutschland Anne Will Gast Bundeskanzler Olaf Scholz
Kanzler Scholz im März in der ARD-Sendung "Anne Will" Bild: Wolfgang Borrs/NDR/picture alliance

Übrigens fiel auch eines der Scholz-Zitate, das in Deutschland wochenlang Aufsehen erregte (und wechselweise als Kanzler-Kritik an politischen Gegnern, Parteifreunden und Koalitionspartnern interpretiert wurde), in einem großen TV-Interview. Mitte Mai war Scholz bei "RTL direkt" zu Gast. Es kam die Frage nach einem Besuch des Regierungschefs in Kiew. Und Scholz, in dieser Frage unter Druck, meinte spitz, er werde sich "nicht einreihen in eine Gruppe von Leuten, die für ein kurzes rein und raus mit einem Fototermin was machen. Sondern wenn, dann geht es immer um ganz konkrete Dinge."

Harsche Kritik an Scholz 

"Er vermischt bis zur Unkenntlichkeit", urteilte das "Handelsblatt" Anfang Juni bei einer langen Analyse von medialen Scholz-Auftritten. Konkret verdeutlichten die vier Autoren das an einem 60 Minuten langen Solo-Auftritt des Kanzlers Mitte März in der Talk-Sendung von Anne Will: "Scholz lügt nicht, aber er vermischt die Dinge bis zur Unkenntlichkeit und lässt so zu, dass die Bürger die Unwahrheit als Realität wahrnehmen."

Dabei, so Politikwissenschaftler Weidenfeld, wäre gerade jetzt angesichts einer komplexen und konfusen Welt mit Klimakrise, Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg "Deutungshoheit" entscheidend: "Deswegen ist die Erklärungsleistung so wichtig. Es besteht gewissermaßen ein immenser Bedarf nach Deutungsleistung durch die Politik", sagt Weidenfeld. "Gewissermaßen macht eben die Deutungshoheit, die ein Politiker bietet und vermittelt, Politik aus."

Deutschland Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld
Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld lehrt an der LMU MünchenBild: Felix Hörhager/dpa/picture alliance

Konkurrenten: Scholz und Habeck

Aber: kann Scholz das? Diese Frage drängt sich besonders stark auf, wenn man auf einen politischen Gefährten und gleichzeitig Konkurrenten schaut: Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen.

"Der Kontrast ist maximal, so scheint es mir", erklärt der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen auf DW-Anfrage über den Stil von Kanzler und Vize. Anders als seine Vorgängerin Angela Merkel, die im Grunde ohne Gegenspieler dagestanden habe, stünden nun bei Scholz Akteure daneben: die Grünen mit Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock.

"Dilemmabewusste Offenheit", nennt Pörksen deren Ansatz. Wenn der Wirtschaftsminister per Instagram-Video die Zuschauerschaft teilhaben lasse an Schwierigkeiten des Amtes, wenn er Prozesse von Verhandlungen oder Entscheidungen erläutere und dafür werbe und nicht nur Resultate verkünde. Für solche Vermittlung bekommt der Grüne durchaus auch Respekt von politischen Gegnern.

Deutschland Kabinettssitzung Olaf Scholz und Robert Habeck
Kanzler Scholz, Vize Habeck. Am Kabinettstisch im Kanzleramt.Bild: Jochen Eckel/IMAGO

"Wenn einer zur Konkurrenz für Scholz werden könnte, dann Habeck, unterstützt und gefördert von Baerbock", sagt auch Weidenfeld. Sie würden Sorgen benennen und Zuhörer mit hineinnehmen. Er spricht von einer "guten, klaren Form der Kommunikation". Das fehle durchaus nicht nur Scholz, sondern der SPD insgesamt. Deswegen seien die Beliebtheitswerte "überall dürftig".

Anfang Mai stellte sich Regierungssprecher Steffen Hebestreit im Medienmagazin "journalist" einem Interview. Der 50-Jährige war früher selbst lange als Hauptstadtkorrespondent tätig und gehörte dem Vorstand der Bundespressekonferenz an. Seine Aufgabe als Sprecher von Kanzler und Bundesregierung umriss er in dem langen Gespräch so: "Unsere Aufgabe ist es zu erklären, wie die Regierung handelt und welche Politik sie verfolgt."

Hebestreit ging auch auf die Ausstrahlung von Scholz ein, der "seine Worte und Taten so genau" abwäge: "Wenn man versuchen würde, aus dem Kanzler kommunikativ einen Barack Obama zu machen, ginge das definitiv nach hinten los." Der Bundeskanzler sei jedenfalls ein sehr erfahrener Politiker, "der öffentlichen Druck gewohnt ist und sich nicht kirre machen lässt". Dafür sei er gewählt worden. 

Kontakt mit Bürgern suchen

Der Sprecher weiter: "Während viele Politiker oft und gerne vollmundig ankündigen, was sie vorhaben, bereitet Scholz erst abseits der Öffentlichkeit seine Entscheidungen gründlich vor und verweist im Anschluss öffentlich auf das, was geschafft worden ist."

Und Hebestreit vergleicht in dem Interview selbst den Kanzler mit dem Vize: "Der Wirtschaftsminister spricht von 'Zumutungen', der Bundeskanzler formuliert lösungsorientierter, dass er dafür sorgen möchte, dass wir mit der Situation gut zurechtkommen".

Hebestreit schilderte in dem Interview auch das, was er und sein Team anders machen wollen. "Regierungsseitig wollen wir nicht nur senden." Deshalb gehe der Bundeskanzler anders als seine Vorgängerin häufiger in Fernsehformate, Nachrichtensendungen oder Talk, "um sich befragen und hinterfragen zu lassen".

Der nächste Versuch dazu steht jedenfalls bald an: Die ARD-Sendung "Bericht aus Berlin" bewirbt auf Twitter mit dem Slogan "Du fragst, Olaf Scholz antwortet" ein neues Format. 

Immerhin: Politikwissenschaftler Weidenfeld hält eine Veränderung der medialen Scholz-Wirkung noch für möglich. "Wenn er seine Bewertungen in angemessener Tonlage vortragen würde, wenn er auf Nachfrage präziser würde … das würde ja positiv wahrgenommen. Die Menschen würden dann spüren, dass sie mehr erfahren."