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PolitikAsien

Scholz wirbt um Indien als Verbündeten gegen Russland

24. Februar 2023

Indien hat den russischen Angriff auf die Ukraine nicht verurteilt und lehnt Sanktionen ab. Bei einem Besuch in Indien will der Bundeskanzler das Land für die westliche Position gewinnen.

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Premierminister Narendra Modi und Bundeskanzler Olaf Scholz gehen aufeinander zu, die ausgestreckten Hände berühren sich fast
Wie weit werden sie sich diesmal entgegenkommen? Premierminister Modi und Bundeskanzler Scholz im Mai 2022 in BerlinBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Für Berlin und andere westliche Regierungen war es ein Schock, als die UN-Vollversammlung kurz nach der russischen Invasion in der Ukraine über eine Verurteilung Russlands abstimmte. Denn eine ganze Reihe von wichtigen Staaten enthielt sich damals, darunter China und Indien, in denen zusammen rund 2,8 Milliarden Menschen leben, mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung. Am ersten Jahrestag des Kriegsbeginns am 24. Februar enthielt sich Indien erneut, als die Vollversammlung über eine Resolution abstimmte, die einen sofortigen Rückzug Russlands fordert. Sanktionen gegen Russland wollte und will die indische Regierung unter Narendra Modi ebenfalls nicht mittragen.

Eine Anzeigetafel im Saal der UN-Vollversammlung zeigt das Abstimmungsergebnis zum Ukraine-Krieg: Für die Resolution: 141, dagegen: 7, Enthaltungen: 32
Abstimmungsergebnis in der UN-Vollversammlung am Jahrestag: Auch Indien enthielt sichBild: John Minchillo/AP/picture alliance

Während die westlichen Länder von einem immer aggressiver auftretenden China mit seiner kommunistischen Einparteiendiktatur nichts anderes erwartet haben, war das Verhalten des demokratischen Indien eine große Enttäuschung. Der Kurs der indischen Regierung bedeutete nicht nur, dass das Land vorerst ausfällt, um Druck auf Präsident Wladimir Putin auszuüben. Es bedeutete darüber hinaus, dass Indien, ein "strategischer Partner" Deutschlands, in dieser elementaren völkerrechtlichen Frage aus Sicht Berlins auf der "falschen" Seite steht.

Indien ist stark von Russland abhängig

Überraschen konnte das indische Verhalten allerdings nicht, meint Amrita Narlikar, Präsidentin des German Institute for Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg, im Gespräch mit der DW: "Neben Indiens guten diplomatischen Beziehungen mit Russland ist Indien bei Rüstungsgütern sehr abhängig von Russland. Das kann Indien nicht aufs Spiel setzen, vor allem angesichts seiner schwierigen Situation mit seinen Nachbarstaaten."

Was mindestens kurzfristig strategisch sinnvoll sei, könne längerfristig für Indien aber zum Problem werden, glaubt sie: "Die zunehmende Schwäche Russlands dürfte es in die Arme Chinas treiben, und indem Indien Russland unterstützt, könnte es indirekt China stärken", den Rivalen und Nachbarn Indiens, mit dem Indien ernste Grenzprobleme und Konflikte hat.

Militärparade auf einer vierspurigen Straße mit auf Lastwagen liegenden Lenkwaffen, rechts und links eine Menschenmenge
Militärparade in Neu-Delhi: Die BrahMos-Lenkwaffen wurden gemeinsam von Indien und Russland entwickeltBild: Stringer/ Photoshot/picture alliance

Bisher deutet allerdings nichts in Neu-Delhi auf eine Wende der indischen Position. In einem Interview mit dem Nachrichtenportal ANI sagte Außenminister Subrahmanyam Jaishankar diese Woche, Indiens Beziehungen zu Russland seien "außerordentlich stabil, und das inmitten aller weltpolitischen Turbulenzen".

Indien hat offenbar auch nicht vor, seine diesjährige Präsidentschaft der G20, der Gruppe der weltweit wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, für Debatten über neue Sanktionen gegen Russland zu nutzen, wie mehrere indische Regierungsvertreter gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters deutlich machten. Indien hat seine Ölimporte aus Russland seit Beginn des Krieges sogar deutlich ausgeweitet.

Es fehlt noch das Verständnis

Der Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz in Indien an diesem Wochenende ist offenbar der Versuch, das neben China bevölkerungsreichste Land der Erde wenigstens ein Stück weit auf die Seite des Westens zu ziehen.

Bei der Münchener Sicherheitskonferenz vor einer Woche hatte Außenministerin Annalena Baerbock bisher neutrale Länder im Ukraine-Konflikt aufgefordert, Haltung zu zeigen: "Nehmen Sie eine Position ein, stellen Sie sich auf die Seite der Ukraine und auf die des Völkerrechts." Das war auch an die Adresse Neu-Delhis gerichtet. Am Jahrestag des russischen Angriffs räumte Baerbock bei den Vereinten Nationen ein, es koste "viel Kraft und Anstrengung", solche Länder auf einen klaren Kurs gegen Russland einzuschwören.

Wladimir Putin und Narendra Modi schütteln sich die Hand und lächeln in die Kamera, daneben die Flaggen ihrer Länder
Modi und Putin, hier im September 2022, haben auch während des Ukraine-Krieges ein enges Verhältnis gepflegtBild: Alexandr Demyanchuk/SPUTNIK/AFP

Eine komplette Wende der indischen Regierung erwartet die Bundesregierung offenbar nicht. Darauf deutet schon hin, dass keine gemeinsame Erklärung zum Ukraine-Krieg geplant ist. Es gehe darum, "dass wir immer wieder für unseren Standpunkt, unsere Sichtweise auf diesen Konflikt werben müssen", sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Ziel sei es, mit Argumenten Narrative der russischen Seite zu entkräften.

Amrita Narlikar sieht zwar eine Menge Verhandlungsspielraum, ist aber skeptisch, dass Scholz diesen nutzen wird, denn: "Um Indien ein wenig näher an die europäische Position heranzuführen, müsste er Indiens Verhandlungskultur, die Zwänge, denen Indien in der Region unterworfen ist, und die Hoffnungen und Wünsche der Bevölkerung viel besser verstehen." Das Interesse, sich damit eingehend zu befassen, sehe sie bisher bei Scholz und seiner Regierung einfach nicht. "Außerdem scheint Scholz nicht über die zwiespältigen Signale nachzudenken, die er an den Globalen Süden einschließlich Indiens sendet, indem er bereit ist, weiterhin Geschäfte mit China zu machen."

Neu Delhi | Außenministerin Baerbock besucht Indien
Einlassen auf die Kultur des anderen: Außenministerin Baerbock im Dezember 2022 bei einer Ghandi-GedenkstätteBild: Carsten Koall/dpa/picture alliance

Wie schwer es für den Bundeskanzler ist, einige der "neutralen" Schwellenländer im Russland-Ukraine-Konflikt zu gewinnen, hat sich schon vor wenigen Wochen in Brasilien gezeigt. Nach der Abwahl des rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro hatte der sozialdemokratische Kanzler gehofft, den Nachfolger, den Sozialisten Luiz Inácio Lula da Silva, auf eine gemeinsame Linie bringen zu können. Doch Lula lehnt Sanktionen gegen Russland nach wie vor ab. Auch mit der Bitte, dass Brasilien Munition für die an die Ukraine gelieferten deutschen Gepard-Flakpanzer liefert, holte sich Scholz beim brasilianischen Präsidenten eine Abfuhr.

"Zeitenwende" auch bei der Rüstungskooperation?

Was also müsste passieren, damit der Besuch von Olaf Scholz in Indien ein Erfolg wird?

Amrita Narlikar sieht vor allem zwei Dinge: Deutschland und der Westen insgesamt müssten sich mehr um den Globalen Süden und seine Menschen mit ihren Anliegen bemühen, ihnen auf Augenhöhe begegnen. Hier sieht sie in Deutschland viel Nachholbedarf, auch was das Verständnis für die politische Kultur Indiens und seine Traditionen betrifft.

Frankreich Übergabe erster Rafale Kampfjet an Indien
Paris ist bei der Rüstungskooperation weiter: Frankreich verkauft sein Kampfflugzeug Rafale an IndienBild: Reuters/R. Duvignau

Außerdem müsse man Indien Alternativen zu seiner militärischen und wirtschaftlichen Abhängigkeit von autoritären Mächten anbieten. Anders als Frankreich sei Deutschland bei der Zusammenarbeit in Verteidigungsfragen bisher zögerlich gewesen. "Je früher wir eine wirkliche Zeitenwende in dieser Richtung sehen", so Amrita Narlikar in Anspielung auf Scholz' Rede nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, "umso besser wird das für Indien, für Deutschland und für die Welt der Demokratien insgesamt sein".

Propagandaschlacht um die Ukraine

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik