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Leo Neugebauer feiert Olympia-Silber im Zehnkampf als Sieg

4. August 2024

Gold verloren oder Silber gewonnen? Für Zehnkämpfer Leo Neugebauer stellt sich diese Frage bei den Olympischen Spielen nicht. Dabei war er nach seiner Jahresweltbestleistung im Juni eigentlich als Top-Favorit gestartet.

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Zehnkämpfer Leo Neugebauer jubelt mit herausgestreckter Zunge und ausgebreiteten Armen nach einem gelungenen Versuch im Stabhochsprung
"Gaga" und "verrückt" nennt Zehnkämpfer Leo Neugebauer seinen Gewinn der Silbermedaille in ParisBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Als die anstrengenden zwei Tage im Stade de France mit dem 1500-Meter-Lauf am späten Samstagabend zu Ende gegangen waren, wurde erstmal viel geweint - allerdings vor Freude. Zehnkämpfer Leo Neugebauer hatte bei den Olympischen Spielen in Paris die Silbermedaille gewonnen, Familie und Freunde waren da, empfingen ihren Leo im Ziel und feierten mit ihm den großen Erfolg.

"Eine Umarmung von all den Leuten, die du am liebsten hast, zu bekommen, ist schon verrückt", sagte Neugebauer. Ganz realisiert hatte er so kurz nach dem Wettkampf noch nicht, was er geleistet hatte. Erstmal genoss er seinen Glücksmoment in den Armen der Eltern und Freunde. Bei Vater und Mutter flossen die Freudentränen, als sie ihren Sohn in die Arme schlossen. "Sie haben gesagt, dass sie sehr, sehr stolz auf mich und happy sind", verriet Neugebauer.

Zehnkämpfer feiert nach dem Wettkampf mit Freunden und Familie
Riesenfreude über Silber und einen guten Wettkampf: Leo Neugebauer feiert mit Freunden und FamilieBild: Matthias Schrader/AP/dpa/picture alliance

Von Bedauern, dass er als Weltjahresbester nicht Gold gewonnen hatte, war nichts zu spüren. Einer war einfach ein bisschen besser gewesen: Der Norweger Markus Rooth stellte in den zwei Tagen von Paris in fünf von zehn Disziplinen eine neue persönliche Bestleistung auf und darf sich nun "König der Leichtathleten" nennen.

"Leo the German"

Tatsächlich war Leo Neugebauer vor den Olympischen Spielen als großer Goldfavorit gehandelt worden. "Leo the German", wie sie ihn in den USA rufen und auch er selbst sich in den sozialen Medien nennt, hatte Anfang Juni für einen Paukenschlag gesorgt. Bei den US-Collegemeisterschaften der Leichtathletik in Eugene im Bundesstaat Oregon verteidigte Neugebauer nicht nur seinen Titel aus dem Vorjahr, sondern kratzte auch an den 9000 Punkten.

8961 Punkte bedeuteten einen neuen deutschen Rekord und Platz sechs in der ewigen Rangliste der Zehnkämpfer. Damit katapultierte sich Neugebauer an die Spitze der Weltjahresbestenliste und weckte Erwartungen für den Saison-Höhepunkt in Paris. "Es war schon immer mein Traum, auf dem Podium zu stehen - besonders bei den Olympischen Spielen", sagte Neugebauer nach seinem Coup.

Erster Mehrkampf als Siebenjähriger

Der Zehnkämpfer wurde im Jahr 2000 in Görlitz geboren, der östlichsten Stadt Deutschlands. Neugebauer wuchs in einem Dorf nahe Stuttgart auf. Die Leichtathletik war ihm nicht unbedingt in die Wiege gelegt. "Meine Mutter hat nie Sport gemacht. Mein Vater hat mal Fußball gespielt", sagt Neugebauer. Sein Vater stammt aus Kamerun und träumte von einer Karriere als Fußballprofi in Deutschland. Daraus wurde nichts. Terrance Neugebauer verdient sein Geld als LKW-Fahrer.

Leo Neugebauers Vater Terrance jubelt auf der Tribüne während der WM 2023 in Budapest
Terrance Neugebauer (Mitte) - hier bei der WM 2023 in Budapest - gehört zu den größten Fans seines SohnsBild: Laci Perenyi/IMAGO

Bereits mit sechs Jahren trat Leo Neugebauer einem Leichtathletik-Verein bei, kurz vor seinem achten Geburtstag bestritt er seinen ersten Mehrkampf: einen Dreikampf aus 50-Meter-Lauf, Weitsprung und Ballwurf. 2015 bestritt Neugebauer seinen ersten Zehnkampf. 2017 gab er sein internationales Debüt: Bei der U-18-Weltmeisterschaft in Kenias Hauptstadt Nairobi gewann er die Bronzemedaille.

Newcomer des Jahres 2023

Seit 2019 studiert Neugebauer an der Universität in Austin im Bundesstaat Texas Wirtschaftswissenschaften. "Mein Sportstipendium in den USA lieferte mir die professionellen Rahmenbedingungen", sagt Neugebauer. "Ich kann zweimal am Tag trainieren. Die Wege vom Stadion zur Uni und den Physiotherapeuten sind kurz."

Die professionellen Trainingsbedingungen zahlten sich aus. 2022 knackte der 1,98 Meter große Modellathlet erstmals die Marke von 8000 Punkten. 2023 verbesserte er bei den US-Collegemeisterschaften in Austin den deutschen Uralt-Rekord des früheren Weltrekordlers Jürgen Hingsen aus dem Jahr 1984 um vier Punkte auf 8836 Punkte. Dabei steigerte Neugebauer in sechs von zehn Disziplinen seine persönlichen Bestleistungen. Bei der Weltmeisterschaft 2023 in Budapest belegte er den fünften Platz. Die deutschen Sportjournalisten wählten ihn zum "Newcomer des Jahres".

Neugebauer - 28 Jahre nach Frank Busemann

Bei seinem Rekord-Wettkampf in Eugene war Neugebauer den Diskus so weit wie zuvor noch kein anderer Zehnkämpfer weltweit in einem Wettkampf: 57,70 Meter. Im abschließenden 1500-Meter-Lauf fehlte Neugebauer dann jedoch die Kraft, um als erster deutscher Zehnkämpfer und als fünfter Athlet weltweit die Schallmauer von 9000 Punkten zu durchbrechen. Den aktuellen Weltrekord in der Königsdisziplin der Leichtathletik hält der Franzose Kevin Mayer mit 9126 Punkten.

Auch wenn es letztlich nicht geklappt hat, mit dem Gewinn der Goldmedaille in Paris und dem Durchbrechen der magischen 9000-Punkte-Marke, so war der erste Auftritt Neugebauers dennoch herausragend und endete mit einem Riesenerfolg. Der Zehnkampf bei den Olympischen Spielen war in der Zeit von 1964 bis kurz vor die Jahrtausendwende so etwas wie eine deutsche Domäne.

Sportler wie Willi Holdorf (Olympiasieger für die BRD 1964), Hans-Joachim Walde (BRD, Bronze 1964 und Silber 1968), Kurt Bendlin (DDR, Bronze 1968), Guido Kratschmer (BRD, Silber 1976), Jürgen Hingsen (BRD, Silber 1984), Siegfried Wentz (BRD, Bronze 1984), Christian Schenk (DDR, Olympiasieg 1988) und Torsten Voss (DDR, Silber 1988) sorgten für eine stolze Edelmetall-Sammlung.

Die letzte deutsche Zehnkampf-Medaille bei Olympischen Spielen holte Frank Busemann. Er gewann 1996 in Atlanta Silber. Seitdem gab es bei Olympia im Zehnkampf keinen Deutschen mehr auf dem Treppchen, bis Leo Neugebauer kam. "Die Silbermedaille ist mir eine Ehre", sagte der neue "Vizekönig der Leichtathleten" daher. "Ich gehe heim mit einem Lächeln."

Der Artikel vom 8. Juni wurde am 1. August und am 4. August aktualisiert.