Petitionen: Was das Volk zu sagen hat
1. Juni 2017Wer im Internet surft, kommt kaum um sie herum: Petitionsaufrufe privater Plattformen wie openPetition und Change.org. Für allerlei Gutes soll man sich da einsetzen: für die Anerkennung von Asylbewerbern, den Ausbau einer Straße, ein Ende des Marihuana-Verbots - oder auch gegen all dies.
Was kaum jemand ahnt: Die älteste Petitionsplattform im deutschen Internet betreibt der Bundestag selbst. Doch während dort 2016 mit 11.236 Eingaben die niedrigste Zahl von Petitionen seit 1987 einging, feiern private Plattformen Rekorde. 2016 verbuchte openPetition Deutschland 4172 Petitionen - ein Fünftel mehr als noch 2015. Ein ähnliches Plus bedeuten die 12 Millionen Seitenaufrufe. Die Zahl der Newsletter-Abonnenten sei um 12 Prozent auf 3,6 Millionen gestiegen, heißt es im gerade erschienenen Jahresbericht, den die DW exklusiv vor Veröffentlichung einsehen durfte.
Privat vs. Staat
Dass die gegenläufigen Entwicklungen irgendwie zusammenhängen, glauben Abgeordnete wie Experten. Bei einer öffentlichen Sitzung des Petitionsausschusses Anfang der Woche war man sich weitgehend einig, dass ein wichtiger Grund für den Erfolg der privaten Anbieter im professionellen Marketing - vor allem über soziale Medien - liegt.
Attraktiver seien sie aber auch, weil dort fast jede Petition veröffentlicht wird. Der Petitionsausschuss dagegen veröffentlicht nur etwa zehn Prozent der Eingaben, bei denen der Wunsch nach Veröffentlichung besteht, sagte der Soziologe Ulrich Riehm vom Karlsruher Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) vor dem Ausschuss. Dieses Verfahren wirke intransparent und demotivierend.
Ähnlich sieht es der Partizipationsforscher Markus Linden von der Uni Trier. Die Praxis erwecke den Verdacht, der Ausschuss betätige sich als "Gesinnungspolizei", kritisiert er: "Das Forum sollte alle öffentlichen Eingaben abbilden, die im Einklang mit Persönlichkeitsrechten und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen."
Die Grenzen privater Anbieter
Linden rügt aber auch private Anbieter für bestimmte Praktiken. So würden sie mit ihren Erfolgsmeldungen den Eindruck erwecken, dass bestimmte Petitionen direkten Einfluss auf die Politik hätten: "Das Weiterleiten einer Unterschriftensammlung, die der Bundestag nicht einmal anerkennt, ist kein Erfolg."
Welchen Einfluss eine Petition tatsächlich auf Politik und Gesetzgebung hat, ist derweil kaum nachzuvollziehen. Dies gilt ebenso für Petitionen, die beim Bundestag eingereicht werden. Der ist zwar dazu verpflichtet, jedem Petenten zu antworten. Doch selbst wenn es darin heißt, dem Antrag sei stattgegeben worden, lässt dies keinen Rückschluss darauf zu, ob die Petition ursächlich für die parlamentarische Entscheidung war.
Bei openPetition legt man deshalb andere Maßstäbe an: "Wir haben unsere Petenten gefragt", sagt Geschäftsführer Jörg Mitzlaff: "76 Prozent der Befragten gaben an, dass eine Petition erfolgreich ist, wenn ein Dialog zwischen Bürgern und Politik entsteht." Auch wenn dem Anliegen des Petenten am Ende nicht entsprochen wird, könne eine Petition deshalb als Erfolg gelten: "Wichtig ist, dass die Anliegen gehört werden und dass unsere Petitionen den Weg in die Ausschüsse schaffen."
Im Jahresbericht gibt openPetition Beispiele dafür, wie das auf Kommunal- und Landesebene klappen kann. Es wird aber auch deutlich, dass - besonders auf Bundesebene - eine private Online-Petition allein im Parlament bisher kaum Berücksichtigung findet.
Partizipation ohne Souveränitätsverlust
Etwas anders ist das bei Petitionen an den Bundestag: Seit 2005 werden Petenten, die binnen vier Wochen ab Eingabe ihres Anliegens 50.000 Mitzeichner gewinnen können, vor dem Petitionsausschuss angehört. Partizipationsforscher Linden sieht darin einen Schritt in die richtige Richtung, fordert aber noch mehr: "Der Bundestag sollte mehr Petenten anhören als bisher - und zwar nicht nur im Ausschuss. Wenn die Zahl der Mitzeichner besonders hoch ist, sollte man die Petenten auch einmal in der Plenarsitzung sprechen lassen."
Damit, so Linden, würde das Parlament dem immer stärkeren Wunsch nach politischer Teilhabe gerecht werden, ohne an Souveränität als Gesetzgeber zu verlieren: "Die Menschen würden zwar nicht wie beim Referendum mitentscheiden, könnten aber die Agenda der Volksvertretung mitbestimmen."
Öffentlich-private Partnerschaft?
Welche Rolle dabei private Petitionsplattformen spielen können, ist unter Experten umstritten. Der Kommunikationsexperte Christian Scherg lehnt ihre Beteiligung weitgehend ab: "Die Frage, wie ich kontrolliere, ob es sich um real Abstimmende handelt, wird bei den privaten Petitionsplattformen eher stiefmütterlich behandelt."
Andere Sachverständige, wie der Soziologe Ulrich Riehm vom Karlsruher Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS), trauen privaten Abstimmungsplattformen durchaus zu, die notwendige Datensicherheit zu gewährleisten. Unterschriftenlisten müssten im Petitionsausschuss ohnehin geprüft werden, so Riehm, egal ob sie im Internet oder auf dem Marktplatz zustande kommen.
Linden dagegen warnt, es dürfe auf keinen Fall eine Privilegierung einzelner privater Akteure geben. Dies wäre aber zwangsläufig der Fall, wenn der Bundestag direkte Kooperationen einginge: "Man müsste ja eine Auswahl treffen, mit wem man kooperiert und mit wem nicht."
Jörg Mitzlaff von openPetition sagt, für ihn stehe eine solche Privatisierung des Petitionsverfahren ohnehin nicht zur Debatte: "Es geht uns um klar definierte Regeln für den Sammelprozess öffentlicher Petitionen und die rechtliche Verankerung von digitalen Signaturen."
Unter dieser Voraussetzung sähe auch Linden grundsätzlich kein Problem darin, wenn private Plattformen Petenten als Multiplikator dienen und dort gesammelte Unterschriften vom Bundestag anerkannt würden.
Ein Gewinn für die Debattenkultur
Weitgehend einig waren sich die Experten im Petitionsausschuss, dass die Politik öffentlichen Petitionen - seien es parlamentarische oder privat veröffentlichte - mehr Beachtung schenken sollte. Letztlich drücke sich darin ja ein staatsbürgerlicher Wille aus, sagt Linden: "Je mehr Interessen in den demokratischen Prozess einfließen, um so repräsentativer ist er."
Dies sei auch ein Garant dafür, dass sich extreme Positionen nicht durchsetzen. Eine gutes Beispiel dafür sei die Debatte um das Freihandelsabkommen TTIP: "Es hätte von Anfang an viel besonnener diskutiert werden können, wenn man privaten Petitionen mehr Aufmerksamkeit geschenkt hätte."