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Operation "Bruders Hüter" spaltet Palästinenser

Tania Krämer, Hebron/Jerusalem23. Juni 2014

Die israelische Armee sucht im besetzten Westjordanland mit einer groß angelegten Militäraktion nach den drei verschwundenen jungen Israelis. Die Spannungen nehmen zu, denn bei den Palästinensern gibt es Todesopfer.

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Israel sucht nach drei Jugendlichen (Foto: HAZEM BADER/AFP/Getty Images)
Bild: Hazem Bader/AFP/Getty Images

Nur zögerlich kehrt ein wenig Alltag zurück in das sonst so geschäftige Hebron im israelisch besetzten Westjordanland. Fahnen für die Fußball-WM flattern an einigen Straßenecken, die meisten Geschäfte haben wieder geöffnet. Diaa, ein junger Obstverkäufer, baut seinen Stand am Rande der Straße auf. Er verkauft Pfirsiche und Feigen aus dem eigenen Garten. "Ich hoffe wirklich, dass dies bald vorbei ist. Es hat meine Arbeit total lahmgelegt", sagt der junge Mann. Doch er weiß auch, wie angespannt die Situation ist. Gegenüber regeln palästinensische Polizisten den Verkehr, zumindest tagsüber. Nach Einbruch der Dunkelheit rückt die israelische Armee auch weiterhin in das eigentlich palästinensisch autonome Stadtgebiet ein, um nach den drei vermissten israelischen Teenagern zu suchen.

Fieberhafte Suche nach vermissten Israelis

Seit über einer Woche durchkämmen israelische Soldaten das besetzte Westjordanland Meter für Meter. Die drei Talmudschüler Gilad Shaer, Naftali Frankel und Eyal Yifrach waren nur wenige Kilometer von hier in der Nähe des israelischen Siedlungsblocks Gush Etzion als Anhalter in ein Auto gestiegen. Einer der Vermissten konnte noch einen Hilferuf bei der Polizei absetzen. Seitdem gibt es kein Lebenszeichen mehr von ihnen.

Vor allem die Stadt Hebron ist im Visier der groß angelegten Militäraktion. Ausgangssperren, Hausdurchsuchungen und Festnahmen haben das Leben der palästinensischen Bevölkerung in den letzten Tagen bestimmt. "Sie haben einfach die Tür aufgesprengt und dann sogar die Küche verwüstet", erzählt Tasnim, eine junge Palästinenserin.

Israelische Soldaten (Foto: BBAS MOMANI/AFP/Getty Images)
Israelische Soldaten in RamallahBild: Abbas Momani/AFP/Getty Images

Die Bilder auf ihrem Handy zeigen den Inhalt des Kühlschranks, der zerstreut auf dem Boden liegt: zermatschte Tomaten, eine zerschlagene Wassermelone. Die nächtliche Razzia galt ihrem Bruder, der seitdem in Haft sitzt. Einigen Mitgliedern des großen Familienclans werden Verbindungen zur Hamas nachgesagt. Doch in der Familie glaubt man nicht daran, dass die Hamas etwas mit der Entführung zu tun hat. Noch hat sich keine Organisation zu der mutmaßlichen Tat bekannt.

Die israelische Regierung macht jedoch die Hamas für die Entführung verantwortlich. Konkrete Beweise für eine Täterschaft will Premierminister Benjamin Netanjahu in den nächsten Tagen vorlegen. "Wir haben Beweise, dass es Hamas ist. Wir tauschen diese Informationen derzeit mit anderen Ländern aus und bald werden wir diese Beweise veröffentlichen", sagte der Premierminister am Sonntag. Nach Angaben der israelischen Armee wurden bis zum Wochenende im gesamten Westjordanland 1350 Häuser durchsucht und 340 Palästinenser festgenommen, 250 von ihnen stünden der Hamas nahe.

Es ist kein Geheimnis, dass die Militäraktion auch dazu dient, die Hamas zu schwächen und zu diskreditieren. Im Visier ist vor allem die soziale und gemeinnützige Infrastruktur der Organisation im Westjordanland. "Unsere Aktivitäten gehen weiter, um einerseits Eyal, Gilad und Naftali zu finden, und um andererseits systematisch auf die terroristische und zivile Struktur der Hamas zu zielen", heißt es in der Armeeführung.

Nach einer Hausdurchsuchung (Foto: JAAFAR ASHTIYEH/AFP/Getty Images)
Nach einer HausdurchsuchungBild: Jaafar Ashtiyeh/AFP/Getty Images

Spannungen nehmen zu

Doch je länger die Militäraktion mit dem Codenamen "Brothers Keeper" (Hüter des Bruders) andauert, desto größer werden die Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern. Schienen die Palästinenser in den ersten Tagen noch stillschweigend abzuwarten, kommt es jetzt vermehrt zu Auseinandersetzungen. Vor allem junge Palästinenser stellen sich den Armeeeinheiten entgegen - und bewerfen sie mit Steinen.

In der Kleinstadt Dura im Süden von Hebron steht seit Freitag ein Trauerzelt vor dem Haus der Familie Dudin. Der 15-jährige Sohn Mohammed wurde am Freitag früh von israelischen Soldaten erschossen. Jetzt sind die Nachbarn gekommen und trinken den ungesüßten Kaffee als Zeichen der Trauer mit der Familie. "Ich hatte extra die Tür abgeschlossen, damit er nicht raus kann", erzählt die ganz in schwarz gehüllte Mutter Aida. "Aber er ist wohl über das Fenster im zweiten Stock rausgeklettert." Angesichts der Situation hatte sie ihrem Sohn verboten, nach Einbruch der Dunkelheit auf die Straße zu gehen. Augenzeugen berichten, dass er und andere Jugendliche Steine auf die israelischen Soldaten geworfen hätten, als diese in den frühen Morgenstunden in die Stadt kamen. Daraufhin hätten die Soldaten geschossen. Dabei wurde auch ihr Sohn getroffen, erzählt die Mutter leise und schaut auf das Bild ihres toten Sohnes.

Umstrittene Sicherheitskooperation

Die Familie trägt das Schicksal mit Fassung. Doch es wird auch leise Kritik geäußert, daran, dass so wenig Unterstützung kommt aus den eigenen Reihen. Umstritten ist vor allem die Sicherheitskooperation der palästinensischen Autonomiebehörde mit den israelischen Streitkräften. Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas hatte die Entführung der drei jungen Israelis mit deutlichen Worten verurteilt. Gleichzeitig hat er seine Sicherheitskräfte angewiesen, die Suche der Israelis nach den Vermissten zu unterstützen, was ihm heftige Kritik von der Hamas einbrachte.

Aida Dudin (Foto: Tania Krämer, DW)
Aida Dudin trauert um ihren SohnBild: DW/T. Krämer

In Hebron, dessen Stadtzentrum teilweise zum A-Gebiet gehört und damit eigentlich palästinensisch-verwaltetes Gebiet ist, muss der Gouverneur jeden Tag mitansehen, wie das bisschen Autonomie von den israelischen Streitkräften zunichte gemacht wird. "Diese Aktion dient nicht nur dazu, die Entführten zu finden, sondern auch die Hamas zu schwächen und die Versöhnung zu beenden", sagt Gouverneur Kamal Humeid.

Die Razzien würden nur dazu führen, die eigene Bevölkerung gegen die palästinensische Führung aufzuhetzen. "Und sie lassen uns wie Kollaborateure aussehen", meint er. Die israelische Führung hatte am Sonntag nochmals deutlich gesagt, dass sie von Abbas erwarte, den Versöhnungspakt zwischen Hamas und Fatah aufzukündigen.

Warnung vor neuer Gewalt

Doch der palästinensische Präsident hat nun noch ganz andere Sorgen. Angesichts der zunehmenden Gewalt warnt er vor den unabsehbaren Folgen. "Ich habe gesagt, dass die Entführung ein Verbrechen ist", erklärte Abbas Journalisten der israelischen Tageszeitung Haaretz. "Aber rechtfertigt dies die kaltblütige Tötung von palästinensischen Jugendlichen? Was hat Netanjahu dazu zu sagen?"

Am Sonntagmorgen starb erneut ein junger Palästinenser unter noch ungeklärten Umständen nach einer Armeerazzia in Ramallah. Es war eine der größten Razzien seit Jahren in der Westbank-Metropole. Palästinensische Jugendliche bewarfen die israelischen Armeefahrzeuge mit Steinen. Nach deren Abzug aus der Stadt entlud sich ihre Wut dann gegen die eigenen Sicherheitskräfte, eine palästinensische Polizeistation im Zentrum von Ramallah wurde mit Steinen beworfen. Während Israel weiter um die drei jungen Vermissten bangt, ist die Entführung schon längst zu einer politischen Krise geworden, die jederzeit weiter eskalieren kann.