Operation (in) Deutschland
18. Oktober 2005Der 19-jährige Mohamed aus Abu Dhabi ist enttäuscht. Er hatte so sehr gehofft, den Gehwagen bald ohne Betreuung benutzen zu dürfen. Allerdings ist er nach Meinung der Ärzte noch zu wackelig auf den Beinen und seine Konzentration lässt aufgrund von Flüssigkeitsmangel nach. Sein Vater besteht trotzdem darauf, dass er sich an die Fastenregeln des Ramadan hält und keine Flüssigkeit zu sich nimmt. "Solche Probleme tauchen immer mal wieder auf", erzählt der Dolmetscher der Klinik. In solchen Fällen versucht er zu vermitteln.
Mohamed ist im September nach Köln in die Reha-Klinik RehaNova gekommen, nachdem in seiner Heimat nicht mehr viel für ihn getan werden konnte. Der fahrlässige Umgang mit dem Sicherheitsgurt wurde dem jungen Mann zum Verhängnis. Er hatte einen schweren Autounfall, und kann seither nur bedingt gehen und auch das Sprechen fällt ihm sehr schwer.
Kulturelle Unterschiede
Die Reha-Einrichtung für Neurologie und Neurochirurgie genießt seit zwei Jahren einen sehr guten Ruf in den gesamten Golfstaaten. Als die ersten Patienten in die Klinik kamen, war das Personal im Umgang mit den arabischen Patienten noch etwas unsicher, wusste nicht, wie man mit den kulturellen Unterschieden umgehen soll. Deshalb engagierte die Klinikleitung eine professionelle Trainerin aus Marokko, die dem Personal erklärte, auf welche kulturellen und religiösen Unterschiede besonders zu achten sei. Der Dolmetscher und eine ägyptisch-stämmige Ärztin stehen dem Team bei Fragen und Übersetzungsarbeiten immer wieder bei und erklären wie wichtig die Anwesenheit der Familie ist. Trotzdem kommt es immer wieder zu Missverständnissen. Etwa jeder zehnte Patient in der RehaNova ist aus den Golfstaaten, die meisten davon ganz normale Bürger.
Begehrte Patienten
Deutsche Kliniken stellen sich immer mehr auf ihre arabischen Patienten ein, denn die Patienten aus den Golfstaaten zahlen gut. Kliniken und Praxen begeben sich in der Regel nicht eigenständig auf die Suche nach Patienten aus der Golfregion, sondern verlassen sich dabei auf die Zusammenarbeit mit Botschaften und Vermittlungsagenturen. Der medizinische Leiter der RehaNova Professor Thomas Rommel sagt: "Wir betreiben keine explizite Reklame für unsere Klinik. Das macht keinen guten Eindruck. Wir wollen gute Rehabilitationen anbieten, und daher steht nicht die Akquise im Vordergrund unserer Arbeit."
Derzeit gibt es keine Statistik, die erfasst, wie viele Patienten sich in Deutschland gerade aufhalten. Rommel spricht von etwa 125 Patienten aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) in Deutschland. Man weiß allerdings, dass die Golfstaatler seit den Anschlägen vom 11. September 2001 vermehrt nach Deutschland reisen. Dies hängt unter anderem auch mit den verschärften Einreisebedingungen in die USA und nach England zusammen. Auch Mohamed war vorher in London.
Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes wurden über zehn Prozent der an Golfstaatler ausgestellten Visa im Jahr 2004 aus medizinischen Gründen vergeben. Dabei muss der Antragsteller nachweisen, dass er die Behandlung bezahlen kann, und er einen Termin mit einem Krankenhaus vereinbart hat.
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Die wenigsten Patienten allerdings organisieren, bzw. zahlen ihren Aufenthalt selbst. In den VAE und auch in Saudi- Arabien kann jeder Bürger einen Antrag auf Übernahme der Behandlungskosten bei der Regierung stellen. Das Gesundheitsministerium des jeweiligen Landes kümmert sich dann um Termine im Krankenhaus und die Unterbringung der Begleitpersonen. Ein Familienmitglied wird sogar komplett mitfinanziert, und kann auf Wunsch auch im Krankenhaus schlafen.
Auch für Ali aus dem Emirat Dubai zahlt die Regierung. Er war mit dem Militär in Pakistan unterwegs und auf eine Mine getreten. Seither sitzt er im Rollstuhl. "Wir sind schon ein Jahr in Deutschland. Um die Visumsverlängerung kümmert sich auch die Botschaft. In Dubai hatte man ihn schon abgeschrieben. Wir sind froh, dass er lebt", sagt seine Schwester.
Rommel betont: "Die Erwartungshaltung der arabischen Patienten halten wir bewusst niedrig, denn viele der Patienten haben sonst falsche Vorstellungen."
Patienten bevorzugen Deutschland
Obwohl der technische Standard in vielen arabischen Ländern, besonders in Saudi-Arabien und den VAE, extrem hoch ist, mangelt es immer noch an Vertrauen in das lokale Personal. Hohe Fluktuation der medizinischen Angestellten und der Mangel an Hygiene sind die häufigsten Gründe für die Behandlungsflucht aus dem eigenen Land.
Bis zu drei Begleiter haben die Patienten meist dabei. Es gibt aber auch diese Patienten, die den Scheich-Familien angehören, und mit ihrem Adelsgefolge und mehreren Bediensteten in Deutschland anreisen. Diese Patienten sind besonders schwer zufrieden zustellen, da sie es gewohnt sind, hofiert und chauffiert zu werden.
Die Krankenhäuser versuchen, sich weitgehend auf ihre ausländischen Patienten einzustellen, aber natürlich gelingt es nicht immer, jeden zufrieden zu stellen. Trotz aller getroffenen Maßnahmen ist der Medizintourismus noch nicht ausgeweitet genug, und man muss wohl noch an der Service-Mentalität arbeiten, denn das erwarten einige der angereisten Patienten. Außerdem versucht Dubai mit seinem Projekt "Healthcare City" - einem eigenen Stadtviertel mit Krankenhäusern, Spezialkliniken und Reha-Zentren - den Kliniken in Deutschland Konkurrenz zu machen, und die Patienten aus der gesamten Golfregion anzuziehen.