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Opfer der Roma-Morde in Ungarn

Keno Verseck23. Februar 2014

Vor fünf Jahren erschütterte Ungarn eine Mordserie gegen Roma. Die rechtsextremen Täter sind inzwischen zu langen Freiheitsstrafen verurteilt. Die Hinterbliebenen haben bis heute keine staatliche Hilfe erfahren.

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Ruine des Hauses in Tatárszentgyörgy vor dem Robert Csorba und sein kleiner Sohn ermordet wurden (Foto: DW/Keno Verseck)
Die Ruine des Hauses in Tatárszentgyörgy vor dem Robert Csorba und sein kleiner Sohn ermordet wurdenBild: DW/K. Verseck

Wenn Erzsébet Csorba aus dem Küchenfenster schaut, sieht sie den Ort, an dem ihr Sohn und ihr Enkel ermordet wurden. Eine Ruine steht da, nur ein paar Schritte entfernt. Sie muss daran denken, wie sie ihren Sohn Róbert fand, blutend, im Schnee, und wie sie später den kleinen Róbi im Arm hielt, ihren Enkel, viereinhalb Jahre alt, tot, durchsiebt von Schrotkugeln. "Ich wache mit den Erinnerungen auf und gehe mit ihnen schlafen", sagt die 49-Jährige.

Tatárszentgyörgy, ein abgelegenes Dorf, 55 Kilometer südlich der ungarischen Hauptstadt Budapest. Am Ortsrand leben in ärmlichen Häusern einige Roma-Familien, die Csorbas sind die letzten vor dem Wald. Vor fünf Jahren, in der Nacht zum 23. Februar 2009, zündeten Rechtsextremisten das Haus von Róbert Csorba an und schossen mit Schrotflinten auf die flüchtende Familie. Vater und Sohn starben, eine Tochter überlebte schwer-, die Mutter leichtverletzt.

Schwerwiegende Ermittlungspannen

Es war der zweite Mordanschlag einer Serie, bei der rechtsextreme Terroristen insgesamt sechs Roma umbrachten und 55 Menschen, ebenfalls fast alle Roma, zum Teil schwer verletzten. Das Verbrechen von Tatárszentgyörgy war zugleich ein Wendepunkt in der Mord- und Anschlagserie - Ermittler gingen ab diesem Zeitpunkt davon aus, dass es sich um rassistisch motivierte Täter handelte.

Sechs Monate später, Ende August 2009, wurden sie gefasst - vier fanatische, behördlich bekannte Rechtsextreme, die noch bis kurz vor Beginn der Anschläge im Sommer 2008 unter Geheimdienstbeobachtung gestanden hatten. Drei von ihnen wurden Anfang August letzten Jahres erstinstanzlich zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt, ein Mittäter erhielt 13 Jahre.

Erzsébet Csorba steht vor ihrem schlichten Haus in Tatárszentgyörgy (Foto: DW/Keno Verseck)
Ärmliche Verhältnisse: Erzsébet Csorba vor ihrem Haus in TatárszentgyörgyBild: DW/K. Verseck

Bereits im September 2009 gestand der damalige Geheimdienstminister Ádám Ficsor massive Ermittlungspannen der Behörden ein und sprach davon, dass die Täter früher gefasst und die beiden letzten Morde möglicherweise verhindert werden können. Trotz dieses Eingeständnisses erhielten die Überlebenden der Mordserie und ihre Angehörigen keine Entschädigungen. Auch zu öffentlichen Gesten des Mitgefühls oder zu einer Entschuldigung für die Ermittlungsfehler konnte sich kein hochrangiger Vertreter des Staates entschließen - weder unter der sozialistisch-liberalen Koalitionsregierung, in deren Amtszeit die Morde und Anschläge verübt wurden, noch unter der nationalkonservativen Regierung von Viktor Orbán.

Kein Herz für die Roma

Erst kurz nach Prozessende versprach die Orbán-Regierung den Überlebenden der Mordserie und ihren Angehörigen schnelle Entschädigungen. Bürgerrechtler und Anwälte hatten zuvor in dramatischen Appellen auf die Situation der Betroffenen aufmerksam gemacht: Nahezu alle leben in bitterster Armut in heruntergekommenen Wohnhäusern. "Sie sind ständig mit zermürbenden finanziellen Alltagssorgen konfrontiert und können oft Rechnungen nicht bezahlen", sagt der liberale Politiker József Gulyás, der 2009 einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu den Roma-Morden mitinitiierte.

Das Grab von Robert Csorba und seinem kleinen Sohn in Tatárszentgyörgy (Foto: DW/Keno Verseck)
Erinnerungsstätte: Das Grab von Robert Csorba und seinem kleinen Sohn in TatárszentgyörgyBild: DW/K. Verseck

Gulyás kümmert sich um einige der Überlebenden und Angehörigen, sammelt im Freundes- und Bekanntenkreis immer wieder Spenden für sie. Ende letzten Jahres beispielsweise kam Geld zusammen, von dem die Familie Csorba Brennholz für den Winter kaufen konnte. Elf Personen sind die Csorbas, fünf Erwachsene und sechs Kinder, die in drei Zimmern wohnen. Die Familie lebt von umgerechnet 500 Euro im Monat. Das Haus müsste dringend renoviert werden, erzählt Erzsébet Csorba. Einige Wasserleitungen sind kaputt, Wasser dringt in die Wände ein, aber Geld für die Reparatur hat sie nicht.

Doch die Überlebenden und Angehörigen haben nicht nur finanzielle Sorgen - viele leiden auch schwer an den physischen und psychischen Spätfolgen der Anschläge und Morde, sind arbeitsunfähig und können sich keine angemessene medizinische Behandlung leisten. Erzsébet Csorbas Mann Csaba starb vor einem Jahr - auch aus Kummer über den Mord an seinem Sohn und seinem Enkel, sagt sie.

Die Entschädigung soll kommen - irgendwann

Eigentlich wollte die Regierung die Entschädigungsfrage bis Ende Oktober 2013 geregelt haben. Doch seither geschah nichts. Erst Anfang Februar beauftragte das für Soziales und Minderheiten zuständige Ministerium das ungarische Büro der Opferhilfsorganisation "Weißer Ring" damit, die Lebensumstände aller Betroffenen der Roma-Mordserie zu ermitteln. Inzwischen haben Vertreter der Organisation alle Betroffenen besucht. Bis Ende Februar wolle man dem Ministerium einen Abschlussbericht mit Hilfsvorschlägen präsentieren, sagt László Fügedi, der "Weiße-Ring"-Vorsitzende im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Wie lange es dann noch dauern wird, bis die Opfer tatsächlich Hilfe erhalten, ist unklar. Die bisherige Verzögerung erklärt man im Ministerium unter anderem mit "juristischen Schwierigkeiten", wie der zuständige Staatssekretär Zoltán Kovács in ungarischen Medien sagte. So sei es aus rechtlichen Gründen nicht möglich, Entschädigungen zu zahlen, der Staat könne nur eine gewisse Schadensmilderung leisten.

Häuser der Roma in Tatárszentgyörgy (Copyright: DW/Keno Verseck)
Abgelegen: Die Häuser der Roma in TatárszentgyörgyBild: DW/K. Verseck

Erzsébet Csorba wünscht sich, mit ihrer Familie endlich wegzuziehen vom Ort des Mordes. Sie, ihre Kinder und ihre Enkel leben noch immer in Angst in ihrem Haus am Waldrand. Erszébet Csorba würde am liebsten einen hohen Zaun um das Grundstück ziehen lassen, aber sie hat kein Geld dafür. Manchmal schrecken ihre Söhne und ihre kleinen Enkel nachts aus dem Schlaf hoch, weil sie Geräusche hören. Erzsébet Csorba beruhigt sie dann. Im Stillen fragt sie sich aber, ob draußen wieder Mörder lauern.