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Es muss aufgeklärt werden

Andrea Grunau18. Februar 2013

Mehmet Daimagüler vertritt die Familien von zwei NSU-Opfern. Im DW-Interview sagt er, was gut ist an einem Treffen des Bundespräsidenten mit den Angehörigen, er äußert aber auch, was dringend getan werden muss.

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Der Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler (Foto: Bernhard Ludewig)
Bild: Bernhard Ludewig

Deutsche Welle: Welche Bedeutung hat das Treffen von Bundespräsident Gauck mit den Angehörigen für Ihre Mandanten?

Mehmet Daimagüler:Es ist wichtig, dass der Staat sich uneingeschränkt solidarisiert mit den Opferfamilien, insofern ist es gut, wenn das Staatsoberhaupt sich mit den Familien trifft. Allerdings müssen wir auch sehen, dass der Bundespräsident eben überwiegend repräsentative Aufgaben in unserem Land übernimmt, das heißt, er hat eine reine Symbolwirkung. Jetzt ist es halt wichtig, dass wir Aufklärung betreiben und dass wir Ergebnisse bekommen, das kann zum Teil durch das Gericht geschehen, durch den Prozess gegen die NSU-Terroristen. Das kann geschehen durch die Untersuchungsausschüsse, gerade der Bundestagsuntersuchungsausschuss muss da Arbeit leisten. Jetzt nach einem Jahr der Untersuchungen müssen wir sehen, dass viele Fragen offen sind und dass viele Bundesbehörden und Landesbehörden eben nicht in dem Maße mitmachen, wie sie mitmachen müssten.

Wie haben Sie und Ihre Mandanten die Aufklärung wahrgenommen, auch nachdem Sie Ermittlungsakten kennen? Würden Sie sagen, es waren Pannen, oder steckte System dahinter?

Mir macht nicht das Sorge, was ich aus den Akten kenne, sondern ich bin besorgt darüber, was ich nicht kenne. Ich bin besorgt über die Akten, die mir nicht vorgelegt werden. Ich bin besorgt über die Akten, die nicht zum Bundestagsuntersuchungsausschuss kommen oder zum Oberlandesgericht (Anm. d. Red.: OLG München, wo der NSU-Prozess stattfindet), eben all jene Akten, die zurückgehalten oder vernichtet werden, weil einige Verfassungsschützer in unserem Land immer noch nicht verstanden haben, worum es geht. Es geht nicht "nur" um die Aufklärung der Mordfälle, sondern es geht auch darum, dass wir erinnern müssen, dass das Ansehen unserer Demokratie und des Rechtsstaates insgesamt Schaden nimmt.

Welche Hinweise haben Sie aus den Akten, die Sie gesehen haben, darüber, wo die schwersten Versäumnisse lagen?

Es fängt damit an, dass in der Garage, die 1998 durchsucht wurde, wo die NSU-Terroristen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe Ausrüstungsgegenstände hinterlassen haben, dass dort auch eine Liste war mit Kontaktnamen, über 30 Personen. Unter diesen Leuten waren unter anderem auch mindestens vier V-Leute und es gab keine Befragung dieser Kontaktpersonen über das Verbleiben der Rechtsterroristen. Man muss sich das so vorstellen: Wir haben hier Terroristen und als solche waren sie damals schon wahrnehmbar, sie hatten in der Garage Sprengstoff gebunkert. Die Terroristen tauchen ab, da liegt eine Namensliste, und keiner macht sich die Mühe, diese Namensliste abzutelefonieren. Das ist einfach eine Schlamperei, die man mit dem Wort Panne nicht mehr umschreiben kann. Ein anderer Vorgang ist die Anwesenheit eines Beamten des hessischen Verfassungsschutzes am Tatort in Kassel, als der junge Halit Yozgat kaltblütig ermordet wurde. Ich habe bis heute aus den Akten nicht verstehen können, was der Mann zur Tatzeit dort getrieben hat. Und ich habe auch nicht den Eindruck, dass die Untersuchungsausschüsse, die wir haben, vollumfänglich Zugang zu den Hintergründen haben. All das sind Versäumnisse, die sich Landesinnenminister und zum Teil auch Bundesinnenminister zurechnen lassen müssen. Das steht in einem eklatanten Widerspruch zum Versprechen der Bundeskanzlerin, die ja gesagt hat, dass vollumfänglich aufgeklärt wird, und da erwarten wir einfach, dass da noch was kommt.

Die Bundeskanzlerin will sich auch noch einmal mit den Angehörigen treffen, denken Sie, dann wird es darum gehen?

Das hoffe ich. Es muss darum gehen, wieso es zu den Taten kommen konnte, wieso nicht aufgeklärt wurde und vor allem auch um die Frage, wie können wir in Zukunft so etwas verhindern. Aber ich habe das Gefühl, dass die Bundeskanzlerin persönlich diese Sache sehr ernst nimmt und ich habe auch Vertrauen in ihre Worte, wenn sie Transparenz und Aufklärung ankündigt. Ich bin besorgt, wenn es um die nachgeordneten Behörden geht, bislang.

Wie ist Ihren Mandanten, also den Familien der Mordopfer, zumute, wenn sie erleben, wie mühsam und wie fehlerhaft die Aufklärung ist?

Ich kann nicht für alle Opferfamilien sprechen, weil ich nicht zu allen Kontakt habe, aber es ist schon klar, dass da milde gesagt Entsetzen vorherrscht, auch Trauer, und auch Enttäuschung, denn was wir in den letzten 15 Monaten erfahren haben, das hätte sich niemand auch nur annähernd vorstellen können: Dass da eine rassistische Rechtsterrororganisation mordend durchs Land ziehen kann und dass die Einzigen, die verdächtigt werden, die Opferfamilien selbst sind. Das ist schon ein Vorgang, der ist juristisch, politisch, aber auch menschlich nur schwer zu ertragen.

Es gab Absagen zum Treffen mit dem Bundespräsidenten, haben Sie dafür Verständnis?

Also einige der Familien haben ja abgesagt, andere wollten teilnehmen und ich kann beide Positionen sehr, sehr gut verstehen. Auf der einen Seite ist es auch ein Gefühl des Trostes, wenn man sieht, dass das Staatsoberhaupt sich zu diesen Familien bekennt. Es sind Familien, die ja zehn Jahre lang keine Opferfamilien sein durften. Es sind Familien, die ihre Liebsten verloren haben und zugleich der Tat verdächtigt wurden und jetzt können sie zum ersten Mal Opfer sein. Es ist ein gutes Gefühl, wenn sie wissen, dass der Staat - repräsentiert vom Staatsoberhaupt - bei ihnen ist. Ich kann aber auch die Familien verstehen, die gesagt haben: "Ich nehme nicht daran teil. Wir haben so viele Versäumnisse auf staatlicher Ebene, was die Verhinderung der Taten angeht und was auch die Aufklärung der Taten angeht. Wir wollen nicht Teil werden einer reinen Symbol-Veranstaltung, wo man nach der Veranstaltung zur Tagesordnung des Vertuschens übergeht." Das ist der Eindruck, den einige Familien haben und ich kann diese Gefühlslage der Menschen sehr gut nachvollziehen.

Mehmet G. Daimagüler wurde 1968 als Sohn türkischer Gastarbeiter in Siegen geboren. Er studierte Jura, Volkswirtschaftslehre und Philosophie in Bonn, Kiel, Witten-Herdecke, Harvard und Yale. Neben seinem Studium war er Assistent der Bundestagsabgeordneten Gerhart Baum und Burkhard Hirsch. Als Mitglied im Bundesvorstand der FDP war er der erste Türkischstämmige, der in das oberste Beschlussgremium einer deutschen Partei gewählt wurde. 2007 trat er aus der FDP aus. Er war Berater der Boston Consulting Group und ist als Rechtsanwalt und Strategieberater in Berlin tätig.