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PolitikEuropa

Orban, das Veto und der Kriegstreiber Kyrill

3. Juni 2022

Ungarns Premier blockiert in der EU erfolgreich Sanktionen gegen den russischen Patriarchen Kyrill. Was bezweckt Viktor Orban damit?

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Belgien Brüssel | EU Gipfeltreffen - Viktor Orban
Viktor Orban beim EU-Gipfel in Brüssel am 30.5.2022Bild: Nicolas Landemard/Le Pictorium/IMAGO

Ungarns Premier Viktor Orban nutzt das Veto-Recht, das sein Land als EU-Mitglied in vielen Fragen und Entscheidungen der Europäischen Union hat, seit Jahren regelmäßig für seine politische Agenda. Er blockierte EU-Beschlüsse zur Migration, drohte bei der Verabschiedung des EU-Haushalts Ende 2020 mit einem Veto und verhinderte mehrfach, dass die EU gemeinsame kritische Stellungnahmen zu Menschenrechtsverletzungen durch Israel und China abgab. Auch seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine erhob Orban immer wieder Einspruch gegen bestimmte antirussische Sanktionen.

Natürlich geht es Ungarns Regierungschef dabei vor allem um die Durchsetzung eigener politischer Ziele und um die Schärfung seines politischen Profils. Aber nicht nur. Oft genug führte Orban die EU mit seinen Vetos und dementsprechenden Drohungen schlicht und einfach vor - meistens, wenn aus Brüssel wieder einmal Kritik am Demokratieabbau in Ungarn zu hören war oder die EU-Kommission Rechtsstaatsverfahren gegen das Land anstrengte.

Viktor Orban beim EU-Gipfel in Brüssel am Montag im Gespräch mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron
Viktor Orban gab sich beim EU-Gipfel am 30.5.2022 zunächst konziliant - später verlangte er ZugeständnisseBild: Olivier Matthys/AP Photo/picture alliance

Nun allerdings hat Viktor Orban die EU in bisher ungekannter Weise blamiert. In der Debatte um das sechste antirussische Sanktionspaket der EU, bei dem es vor allem um ein Ölembargo ging, hatte Ungarns Premier von vornherein weitreichende Ausnahmen für sein Land gefordert - und sie auch bekommen. Ungarn darf in den kommenden drei Jahren weiterhin Erdöl aus Russland importieren.

Doch nachdem das Sanktionspaket unter Dach und Fach schien und die Einigung in Brüssel bereits verkündet wurde, schoss Orban noch einmal nach: Er legte sein Veto dagegen ein, den Patriarchen der Russisch-Orthodoxen Kirche, Kyrill, auf die Sanktionsliste zu setzen. In Brüssel war man überrascht und schockiert. Und doch hatte Orban Erfolg: Am Donnerstag  strich die EU Kyrill von der Sanktionsliste.

Anstachelung zu Kriegsverbrechen

Welche Dimension diese Blamage hat, wird bei einem Blick auf die Person des Patriarchen deutlich. Während die EU sogar russische Oligarchen mit Sanktionen belegt hat, die sich indirekt gegen Putins Krieg aussprechen, ist Kyrill nicht einfach nur ein treuer Anhänger des russischen Präsidenten. Vielmehr rechtfertigt er dessen Krieg gegen die Ukraine in geradezu ungeheuerlicher Weise und stachelt indirekt sogar zu Kriegsverbrechen an.

Orthodoxer Patriarch Kyrill im Bischofsornat macht eine Geste der Segnung (27.03.2022)
Das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill, in Moskau (im März)Bild: Sergei Karpukhin/TASS/picture alliance

Kyrill spricht davon, dass Russland niemanden angegriffen habe, sondern sich nur gegen seine Feinde verteidige. Gegenüber diesen Feinden könne es keine "Vergebung ohne Gerechtigkeit" geben, ihr Tod sei das "gerechte Gericht Gottes". Konkret habe Russland sich verteidigen müssen, so Kyrill, weil unter den Menschen im ukrainischen Donbass eine "fundamentale Ablehnung der so genannten Werte herrscht, die heute von denen angeboten werden, die die Weltmacht beanspruchen". So etwa hätten sich die Menschen im Donbass geweigert, Schwulenparaden abzuhalten und sollten deshalb vom Westen vernichtet werden. Dagegen verteidige sich Russland.

Was treibt Orban an?

Ob Kyrill auf einer EU-Sanktionsliste steht oder nicht, ist unter praktischen Gesichtspunkten weniger erheblich. So etwa hat er in der Europäischen Union im Vergleich zu den Milliarden manch anderer russischer Staatsbürger ein eher kleines Vermögen gebunkert. Kaum zu überschätzen ist hingegen die moralische und symbolische Bedeutung, einen Kriegshetzer wie den russischen Patriarchen auf Druck von Orban von einer Sanktionsliste zu streichen. Immerhin hat kein Geringerer als Papst Franziskus Kyrill vor wenigen Wochen für seine Hass-Rhetorik verurteilt.

Moskaus Patriarch Kyrill bei seiner Amtseinführung im Februar 2009 neben Präsident Putin und weiteren kirchlichen Würdenträgern
Präsident Putin steht Kyrill nahe. Er nahm bereits an seiner Amtseinführung im Februar 2009 teilBild: picture-alliance/ dpa

Doch was treibt Orban an, ausgerechnet einem so exponierten Kriegstreiber wie dem russischen Patriarchen in dieser Art und Weise beizuspringen? Da ist zunächst die ideologische Dimension: Seit der Flüchtlingskrise von 2015 betonen Orban und seine Regierung, dass sie nicht grundsätzlich antihumanistisch eingestellt seien, sondern sich nur einer kulturellen und demographischen Überfremdung Europas durch Menschen mit islamischem Hintergrund widersetzten. Um das unter Beweis zu stellen, hilft Ungarn verfolgten Christen in verschiedenen Teilen der Welt und hat Beziehungen zu christlichen Kirchen in und außerhalb Europas intensiviert.

Gemeinsame Werte Orbans und Kyrills

Die Beziehung Orbans zur Russisch-Orthodoxen Kirche geht jedoch weit darüber hinaus. Während Ungarns Premier Papst Franziskus in der Vergangenheit wegen seiner Einstellungen zu Flüchtlingen immer wieder kritisierte, steht er dem Patriarchen Kyrill ideologisch sehr viel näher, etwa beim Thema Homo- und Transsexualität oder in der Ablehnung der vermeintlichen "LGBTQ- und Genderideologie".

​​Homosexuelle demonstrieren im Juli 2021 in Budapest für ihre Rechte
​​Homosexuelle demonstrieren im Juli 2021 in Budapest für ihre RechteBild: Anna Szilagyi/AP Photo/picture alliance

Im Februar 2022 sagte Orban in einer Rede zu Lage der Nation: "Das christliche Europa ist wegen seiner inneren Schwächen und starker äußerer Schläge in großer Not. Es scheint, und auch ich sehe das so, dass das lateinische Christentum in Europa sich nicht mehr auf den eigenen Beinen halten kann. Ohne ein Bündnis mit der Orthodoxie, mit dem östlichen Christentum, werden wir die kommenden Jahrzehnte kaum überleben."

Im Gegenzug schrieb Kyrill vor wenigen Wochen an Orban: "Sie sind einer der wenigen europäischen Politiker, die während ihrer Arbeit bemerkenswerte Anstrengungen unternehmen, um die christlichen Werte zu erhalten und die Normen der öffentlichen Moral und die Institution der traditionellen Familie zu stärken."

Geste in Richtung Putin

Beim Veto gegen das EU-Vorhaben, Kyrill mit Sanktionen zu belegen, dürfte es Orban auch um eine Geste in Richtung Putin gehen. Ungarns Premier ist der einzige Regierungschef der EU, der Russlands Angriffskrieg zunächst gar nicht und später nur mit knappen, lauwarmen Worten verurteilt hatte. Zugleich kann Orban sich jedoch nicht mehr so offen Putin-freundlich zeigen wie noch vor Beginn des Kriegs.

Druschba-Pipeline kommt in der Raffinerie bei der Stadt Szazhalombatta in der Nähe von  Budapest an
Ungarn bezieht russisches Öl durch die Druschba-PipelineBild: Attila Kiskbenedek/AFP/Getty Imgaes

Das Wohlwollen des russischen Präsidenten und gute Beziehungen zu Russland sind für Orban durchaus von Belang. Ungarn ist eines der EU-Länder, das am abhängigsten ist von russischen Gas- und Öllieferungen. Außerdem ist das Land wegen seines Atomkraftwerkes Paks, das etwa die Hälfte des ungarischen Stroms erzeugt, auf eine Kooperation mit russischen Kernkraftunternehmen angewiesen.

Ungarns Premier ist isoliert

Auch politisch kann Orban gute Beziehungen zu Machthabern wie Putin gebrauchen, denn in der EU steht Ungarns Premier immer isolierter da: Seine einstigen Verbündeten in Mittel- und Südosteuropa sind in den vergangenen Jahren fast alle abgewählt worden, zuletzt der konservative Premier Sloweniens, Janez Jansa. Auch die rechtskonservative Achse Budapest-Warschau ist inzwischen fast gebrochen: Die beiden Regierungen trennt in der Position zu Russland ein tiefer Graben. Vor kurzem hatte Polens Vize-Premier Jaroslaw Kaczynski Orban in scharfen, polemischen Worten wegen seiner mangelnden Solidarität mit der Ukraine verurteilt.

Insgesamt und längerfristig dürfte sich Orban mit seinem Veto gegen eine Sanktionierung Kyrills durch die EU auch in Brüssel selbst politischen Schaden zugefügt haben. Kopfschütteln und Wut über Ungarns Regierungschef haben unter EU-Politikern und -Diplomaten einen neuen Höhepunkt erreicht. In der Europäischen Volkspartei (EVP) etwa, zu der Orbans Partei Fidesz bis März 2021 gehörte, twitterte der außenpolitische Sprecher Michael Gahler zum Thema aus Budapest: "Schämen Sie sich! Eines Tages wird der Kompromat, mit dem die Russen Sie gefügig halten, aufgedeckt werden. Was für eine Blamage für das freiheitsliebende Ungarn!"

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Keno Verseck Redakteur, Autor, Reporter