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Argentiniens neuer Präsident gerät unter Druck

Tobias Käufer6. September 2016

Vor gut neun Monaten übernahm Argentiniens neuer Präsident Macri die Amtsgeschäfte. Die Menschen erwarteten von ihm spürbare Erfolge. Doch Armut und Arbeitsloigkeit nehmen zu. Tobias Käufer aus Buenos Aires.

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Argentinien Proteste gegen Politik von Präsident Mauricio Macri
Bild: picture-alliance/EFE/D. Fernandez

Im Schatten des Kongresses hat sich Luis Urquia eine rote Clownsnase aufgesetzt. Das hilft, den Kindern mitten im Herzen von Buenos Aires ein Lächeln auf das Gesicht zu zaubern. Zusammen mit Paula Martin verteilt er zuerst Würstchen an die hungrigen Gäste, wenig später gibt es Spielzeug. "Wir versuchen, den Kindern zumindest für ein paar Stunden eine schöne Zeit zu bereiten", sagt Luis, ehe er sich wieder in das Knäuel der spielenden Jungs und Mädchen stürzt. Gleich gegenüber haben sie ein Plakat angebracht: "Die Straße ist für Kinder kein Platz zum Leben", steht darauf geschrieben. Doch schon in Blickweite hat sich eine Familie im wärmenden Eingang einer Bank ein Plätzchen gesucht.

Argentinien: Ein gespaltenes Land

Schnell entwickelt sich in der Gruppe, die sich für ein paar Stunden vor dem Kongress versammelt hat, um den Kindern zu helfen, eine Diskussion darüber wer Schuld hat, an dem Anstieg der Arbeitslosigkeit und der Armut. "Cristina Kirchner hat das Land in den Ruin gewirtschaftet", sagt ein Vater und sofort regt sich Widerspruch: "Macri hat die Menschen doch entlassen", ruft eine Mutter aus der Gruppe. Für derart ideologische Diskussionen ist an diesem Nachmittag auf dem Plaza Congresso aber kein Platz, findet Paula Martin von der Gruppe "SUMAR Solidario", die mithalf die Aktion zu organisieren. "Armut gab es auch schon vor Macri. Aber wir müssen sie endlich ernsthaft bekämpfen und solidarisch sein, mit denen die auf der Verliererseite stehen." Argentinien ist auch ein knappes Jahr nach Macris Amtsantritt immer noch gespalten in zwei Lager. In das der ehemaligen Präsidentin Cristina Kirchner mit ihrem einflussreichen Netzwerk von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen. Und in das von Mauricio Macri, dem neuem Staatsoberhaupt, der für einen marktwirtschaftlichen Kurs steht, um das Land aus der Krise zu führen.

Argentinien Aktion für bedürftige Kinder in Buenos Aires
Paula Martin (links mit grüner Plastiktüte) und Luis Urquia (mit Clownsnase) beim Verteilen von Spielzeug für bedürftige Kinder vor dem Nationalkongress in Buenos AiresBild: DW/T. Käufer

Ein Land ohne untere Mittelklasse

Macri, der seit neun Monaten im Amt ist, hat vor allem in der Verwaltung Personal abgebaut. Auch an dieser Entscheidung entzünden sich die Gemüter: Längst überfällig sei der Schritt gewesen, sagen seine Anhänger. Denn Vorgängerin Kirchner habe Menschen mit dem richtigen Parteibuch aber ohne Qualifikation eingestellt. Die Folge sei eine völlig aufgeblähte und teure Bürokratie gewesen. Macris Gegner werfen ihm vor, durch die Massenentlassungen die Arbeitslosigkeit mutwillig in die Höhe getrieben zu haben. Die Kirche veröffentlichte jüngst eine Statistik, die belegt, dass die Armut in Buenos Aires wie auch im ganzen Land gestiegen sei. Aber sie hütet sich vor Schuldzuweisungen: "Die Zahlen sind hart und wie eine Röntgenaufnahme des Patienten", sagte der Vorsitzende der argentinischen Bischofskonferenz, Erzbischof Jose Maria Arancedo dem Radiosender Cadena 3. Sie könnten aber auch helfen, dass Argentinien endlich in Gang kommt, um die Probleme anzupacken.

Argentinien Maria Angeles de Gimenez
Maria Angeles de Gimenez aus Buenos Aires beklagt sich über den Raubbau an der MittelschichtBild: DW/T. Käufer

Maria Angeles de Gimenez gehört zu denen, die klein Glück hatten in den letzten Monaten. Ihr Ehemann verlor seinen Job am Flughafen noch in der Kirchner-Ära, dann musste die Familie raus aus ihrer Wohnung und später verlor auch sie selbst ihre Arbeitsstelle. "Es gibt in Argentinien praktisch keine untere Mittelklasse mehr", klagt sie. Sie habe sich ganz allein gelassen gefühlt. Durch die Hilfe von "SUMAR Solidario" fand sie inzwischen mit ihrer Familie eine neue Unterkunft. Nun fordert sie Solidarität mit all jenen, die wie sie vom Schicksal auf die Verliererseite des Lebens gespült wurde. "Was wir dringend brauchen ist bezahlbarer Wohnraum. Viele Menschen verlieren ihr Obdach, weil sie einfach die teuren Mieten nicht mehr bezahlen können."

Kalter Winter in Buenos Aires

Am gleichen Wochenende lassen auch Argentiniens mächtige Gewerkschaften ihre Muskeln spielen. Sie rufen zu einem bundesweiten Marsch nach Buenos Aires auf. Doch es folgen weniger Menschen als erwartet der Einladung. Auf der Plaza de Mayo sind einige Lücken, als die Gewerkschaftsführer ihre Botschaften an Macri senden. Sie fordern ein Stopp der Entlassungen und Unterstützung für die Bedürftigen. Macri kämpft derweil beim G20-Gipfel in China um neue Investoren und Vertrauen in das kränkelnde Argentinien. Der bürgerlich-konservative Politiker braucht dringend wirtschaftspolitische Erfolge, sonst könnte ihn die Wut über die schlechte Lage Argentiniens, die ihn Ende 2015 ins Amt spülte, sehr schnell selbst einholen.

Argentinien Protest in Buenos Aires
Protestaktion gegen Zwangsräumung von Mietern vor dem Nationalkongress in Buenos AiresBild: DW/T. Käufer

Solange können Clown Luis und Aktivistin Paola aber nicht warten. Sie lassen inzwischen das Wasser für neue Würste heiß werden. Zwei Stunden wollen sie noch bei den Familien bleiben. Dann beginnt wieder der tägliche Kampf um ein paar Pesos und ums Überleben von Neuem. Es ist ein kalter und hässlicher Winter in Buenos Aires. Und nicht nur die Kinder vor dem Kongress sehnen die Zeit herbei, bis es wieder wärmer wird in der argentinischen Hauptstadt.