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Osteuropäische Lkw-Fahrer: Protest auf Autobahnraststätte

Katarzyna Domagala-Pereira
26. September 2023

Seit zehn Wochen streiken Lkw-Fahrer aus osteuropäischen Ländern auf einer Raststätte in Hessen. Sie fordern von ihrem polnischen Arbeitgeber die Zahlung ausstehender Löhne.

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Ein Mann in roter Fleece-Jacke blickt in die Kamera, im Hintergrund Männer neben Lkw, an einem Lkw hängt ein Transparent mit der Aufschrift: "Wir streiken"
Raststätte bei Gräfenhausen in Hessen: Streik der Fahrer der Mazur-Gruppe. Im Vordergrund steht der Lkw-Fahrer RomanBild: K. Domagala-Pereira/DW

Seit Mitte Juli lebt der Lkw-Fahrer Kacha auf der Raststätte Gräfenhausen an der A5, nicht weit vom Frankfurter Flughafen entfernt. Über 80 Lkw-Fahrer streiken dort und fordern von der polnischen Speditionsgruppe Mazur ihre ausstehenden Löhne. Sie kommen hauptsächlich aus Georgien und Usbekistan, aber auch aus der Ukraine und der Türkei.

Kacha arbeitet seit drei Jahren für Mazur. Für 80 Euro am Tag fährt er durch ganz Europa. "Sie haben immer spät gezahlt oder einen unklaren Betrag vom Lohn abgezogen", sagt er im DW-Interview. Dann bekam er monatelang keinen Lohn. In Gräfenhausen befand er sich fast eine Woche lang, bis zum Montag, mit 29 anderen Fahrern im Hungerstreik. Der wurde inzwischen auf Anraten von Ärzten abgebrochen - doch die Fahrer streiken weiter.

Monate ohne Lohn: Lkw-Fahrer der Spedition Mazur streiken

Roman arbeitet seit Mitte März 2023 für Mazur. Bis zum 3. August war er unterwegs. Nach seinen Angaben schuldet ihm die Firma aus Polen fast 6000 Euro. Er fuhr hauptsächlich durch Deutschland, Österreich und den Benelux-Ländern und weiß, dass er mehr als 80 Euro pro Tag verdienen müsste. Normalerweise hätte er Anspruch auf den deutschen Mindestlohn. Die Forderungen von Roman sind jedoch bescheiden: "Ich will ja nicht mal wie ein Deutscher bezahlt werden, aber niemand wird umsonst arbeiten. Sie sollen das zahlen, was sie versprochen haben."

Männer liegen auf Matratzen in einem Lkw-Anhänger
Um ihre Forderungen zu erzielen, sind einige Lkw-Fahrer sogar in den Hungerstreik getreten Bild: Boris Roessler/dpa/picture alliance

Roman verbrachte Wochen und Monate im Lastwagen. Eine Hotelunterkunft bezahlte ihm das Unternehmen nicht - obwohl der Arbeitgeber nach zwei Wochen Fahrzeit dazu verpflichtet ist.

Der zweite Protest

Dies ist der zweite Streik der Lkw-Fahrer von Mazur auf dem Parkplatz an der A5. Bereits im April dieses Jahres streikten dort über 60 Fahrer. Der Protest schlug hohe Wellen, als Mazur eine Privatmiliz nach Gräfenhausen schickte, um die Lkws abzuholen. Die deutsche Polizei musste eingreifen, die Staatsanwaltschaft Darmstadt ermittelt in dem Fall.

Nach etwa vier Wochen Streik erzielten die Fahrer eine Einigung mit Mazur. Der Spediteur verpflichtete sich zur Zahlung.

Schon damals machten die Arbeitsbedingungen im internationalen Güterverkehr Schlagzeilen, weit über Deutschland hinaus. Es geht um Fahrer, die monatelang für Niedriglöhne durch die EU fahren und in ihren Lkw leben. Und obendrein häufig keinen Lohn ausbezahlt bekommen.

"No money"

Jetzt stehen Mazurs Lastwagen auf der Raststätte Gräfenhausen auf beiden Seiten der Autobahn. An Masten wehen die Flaggen von Georgien und Usbekistan, große Transparente informieren über den Streik. "Mazur Debtor. No Money" steht auf der Plane eines Lastwagens.

Auf einer Lkw-Plane steht: "No money". Davor läuft ein Mann
Die Botschaft der Lkw-Fahrer ist deutlichBild: Arne Dedert/dpa/picture-alliance

Auf einer anderen Plane sind Plakate zu sehen, die zeigen, welche Unternehmen mit der Mazur-Gruppe zusammenarbeiten. Unter ihnen sind einige der größten deutschen Konzerne - Deutsche Bahn, DHL, Audi, Dachser und andere. In ihren Verhaltenskodexen steht, was sie von Geschäftspartnern erwarten: "Menschenrechte einschließlich der Kernarbeitsnormen" zu befolgen und "ehrlich, verantwortungsbewusst und fair zu agieren".

"Das sind Raubtiere!"

Für die Fahrer, die sich seit zehn Wochen im Streik befinden, sieht die Realität anders aus. Die großen Anhänger sind zu ihren Wohnzimmern geworden, Paletten dienen als Tische, Kisten als Stühle. Neben den Fahrzeugen stehen Gaskocher, auf denen sie Nudeln kochen oder Dosenessen aufwärmen. Wasser steht in Kanistern bereit, Handtücher und Wäsche trocknen an den Türen. Mehrere mobile Toiletten stehen auf dem Parkplatz. Die einzige Dusche ist immer wieder außer Betrieb. Man muss improvisieren. "Du erhitzt Wasser in einem Kanister in der Sonne. Dann gehst du in einen leeren Anhänger, hängst den Kanister hoch und wäschst dich", sagt Roman.

Zwei Männer an einer Palette, auf der Wasserkanister, Spülmittel und Geschirr stehen, im Hintergrund ein Lkw
Essen und Abwaschen auf Paletten: Streikende LKW-Fahrer an der Raststätte GräfenhausenBild: K. Domagala-Pereira/DW

Auf den Fahrerkabinen kleben Zettel mit dem Betrag, den Mazur jedem einzelnen Fahrer schuldet. Die Gesamtsumme beläuft sich auf mehr als eine halbe Million Euro. Aber Mazur will nicht zahlen. "Das sind Raubtiere!", sagt Edwin Atema vom Niederländischen Gewerkschaftsbund FNV und der Europäischen Transportarbeiter-Gewerkschaft. Er vertritt die streikenden Fahrer im Streit mit ihrem Arbeitgeber.

Laut Mazur ist das Ganze "ein strafrechtlicher Fall". Die Firma habe "Strafanzeigen wegen versuchter Erpressung sowie der Aneignung und des Diebstahls der Fahrzeuge und Waren" eingereicht, schreibt die Mazur-Gruppe auf DW-Anfrage. Der Fall werde von der polnischen und deutschen Staatsanwaltschaft untersucht. "Unabhängig davon haben wir auch zivilrechtliche Ansprüche gegen die Fahrer im Zusammenhang mit den uns entstandenen Kosten geltend gemacht", so Mazur.

Problematische Lieferketten

Auf die Frage, wie dieser Streik enden könnte, antwortet der Gewerkschafter Atema: "Ganz einfach, in zehn Minuten, wenn die deutschen Generalunternehmer, die das zugelassen haben, diese Fahrer direkt bezahlen." Atema hat die Unternehmen angeschrieben, deren Ware in Gräfenhausen steht. Bislang haben nur zwei österreichische Speditionen gezahlt - jeweils 20.000 Euro. Und sie haben sich verpflichtet, ihre Zusammenarbeit mit Mazur zu beenden. "Die großen Fische sollen jetzt das Gleiche machen", so Atema.

Edwin Atema in schwarzem T-Shirt, zeigt mit dem ausgestreckten Arm auf einen Punkt links außerhalb des Bildes
Der niederländische Gewerkschafter Edwin AtemaBild: Kirill Kudryavtsev/AFP/Getty Images

Der Streik in Gräfenhausen wirft ein Schlaglicht auf den gesamten Transportsektor und zeigt, welche unmenschlichen Bedingungen in der Branche herrschen. Generalunternehmen seien die Hauptschuldigen, die Änderungen in der Lieferkette vornehmen müssen. "Nach dem ersten Streik versicherten alle Generalunternehmer, dass sie nicht mehr mit Mazur zusammenarbeiten würden. Einige Monate später tauchten diese Unternehmen wieder in der Lieferkette auf", sagt Edwin Atema.

Die Polnische Arbeitsinspektion (PIP) führte im Juli Kontrollen in Mazurs Unternehmen durch. Die von ihm vorgelegten Unterlagen deuteten darauf hin, dass die Fahrer entsprechend der gearbeiteten Stunden entlohnt wurden, aber nur ein paar Dutzend Stunden pro Monat tätig waren, schreibt das Internet-Portal Trans.info. Als die Kontrolleure anschließend das Unternehmen aufforderten, die digitalen Dateien der Fahrtenschreiber und Fahrerkarten vorzulegen, waren diese beschädigt und nicht mehr zu entziffern.

"Die Hoffnung stirbt zuletzt"

Deutsche und europäische Politiker kommen nach Gräfenhausen und versprechen Hilfe. Der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat eine Sonderprüfung der Auftraggeber der polnischen Spedition erwirkt, der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil hat persönlich mit verschiedenen Firmen telefoniert, die zugesagt hätten, ihre Lieferketten erneut zu überprüfen.

Frontansicht eines Lkws, auf der Scheibe steht: "Mazur's Race To The Bottom"
"Rennen nach ganz unten": Für viele Lkw-Fahrer geht es um die wirtschaftliche ExistenzBild: K. Domagala-Pereira/DW

Deutsche Gewerkschaften und verschiedene Organisationen unterstützen die Streikenden mit Lebensmitteln, Getränken und notwendigen Dingen. In den umliegenden Orten haben Sportvereine den Fahrern Duschen zur Verfügung gestellt und die Anwohner Fahrräder gespendet. "Wir sind für jede Hilfe dankbar. Ohne sie kämen wir nicht zurecht", sagt der Georgier Zaal.

Noch halten die Fahrer zusammen, aber einige von ihnen scheinen die Hoffnung inzwischen zu verlieren. "Ich glaube nicht, dass Lukasz Mazur uns bezahlen wird", sagt Sergej, dem der polnische Spediteur 7500 Euro schuldet. Sein Kollege Roman ist des Wartens müde, hat aber noch einen Hoffnungsschimmer. Das gilt auch für Zaal. "Wir werden bis zum Ende kämpfen. Ich will nur Geld für meine Arbeit", sagt er und fügt hinzu: "Die Hoffnung stirbt zuletzt."

Kommentarbild Katarzyna Domagala-Pereira
Katarzyna Domagala-Pereira Journalistin und Publizistin, stellvertretende Leiterin von DW-Polnisch.