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Meere in Not brauchen Schutz

8. Juni 2020

Klimawandel, Plastikmüll, Fischfang und Radioaktivität belasten die Weltmeere. Das Ökosystem ist in Not, Arten sterben im verborgenen. Können Schutzzonen helfen?

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2012 machte Greenpeace in einem Aquarium in Sydney auf das bedrohte Great Barrier Reef aufmerksam
Bild: Greg Wood/AFP/Getty Images

Es klingt irrwitzig, verrückt: Vor Australien haben Forscher Wolken aufgehellt, um das Meerwasser abzukühlen, den Klimawandel einzudämmen und das Great Barrier Reef zu regenerieren. Die Wissenschaftler derSouthern Cross University und des Meereswissenschaftlichen Instituts in Sydney entzogen dem Meer Salz und schossen die Salzkristalle in die Luft. Die erhellten Wolken reflektierten die Sonnenstrahlen besser ins All.

Was das einzigartige 2300 Kilometer lange Riff angeht, so gibt eine andere Studie Anlass zu großer Sorge. Denn Untersuchungen hatten zuvor ergeben, dass die Unterwasserwelt mit den einst farbenprächtigen Korallen unter der schlimmsten Bleiche aller Zeiten leidet. 

Grün-blaue und orange farbene Fische tummeln sich zwischen den beige und gräulichen Korallenriffs im Great Barrier Reef vor Australien
Grau und beige statt knallrot - Korallenriff "Great Barrier Reef" vor AustralienBild: University of Exeter/Tim Gordon

Die aktuelle Bleiche ist die dritte Beschädigung des Weltnaturerbes vor Australien in den letzten fünf Jahren. Die Vereinten Nationen prophezeien ein Absterben nahezu aller Korallen, sollten die globalen Temperaturen um 1.5 Grad ansteigen.

Plastikmüll blockiert den Mkwajuni-Fluss in Tansania
Eine Flut Plastikmüll: Sie verstopft den Mkwajuni-Fluss in Tansania, Tiermägen und Meere Bild: DW/S. Khamis

Artensterben im Verborgenen

"Das Artensterben im Meer läuft für die meisten im Verborgenen ab", sagt der Biologe Ulrich Karlowski, der sich als Autor und bei der Deutsche Stiftung Meeresschutz (DSM) intensiv mit den Problemen auf und unter Wasser beschäftigt. "Unzählige Arten verschwinden, ohne dass wir sie überhaupt jemals zu Gesicht bekommen haben." 

Die Liste durch Belastungen, die das größte zusammenhängende Ökosystem bedrohen, ist immens lang: Überfischung, ungewollter Beifang, Plastikmüll, Gifte, radioaktive Stoffe, Munition, Öl- und Gasförderung, Jagd auf Rohstoffe, Schifffahrt mit Dieselmotoren, Sand- und Kiesabbau, Salzgewinnung, Nährstoffeinträge aus der Landwirtschaft, Tourismus, Offshore-Windkraft, Tiefseebergbau, temporäre Umweltkatastrophen, der Klimawandel mit seinen Auswirkungen wie Anstieg der Meeresspiegel, Überflutungen, Versauerung der Ozeane.

Schutzzonen für unser Meer

Greenpeace-Meeresschutz-Experte Thilo Maack hat die Liebe zum Meer mit in die Wiege gelegt bekommen: an der Küste aufgewachsen, verbrachte er während des Meeresbiologiestudiums viel Zeit auf und in der See. Zwei Jahre lang, so Maack, habe Greenpeace mit Wissenschaftlern der Universitäten von York und Oxford zusammengearbeitet und einen und einen Schutzgebietsvorschlag vorgelegt, der 30 Prozent der Ozeane umfasst.

"Wenn man diese 30 Prozent der Meere unter Schutz stellt, haben unsere Ozeane eine Chance, zu überleben," sagt Maack.

Mit Petitionen, die millionenfach unterzeichnet werden, setze Greenpeace die politischen Entscheider unter Druck, ergänzt Maack. "Das Ziel der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie zum Beispiel, besagt, bis 2020 die europäischen Meere inklusive Nord- und Ostsee in einen guten Umweltzustand zu bringen. Die Zustandsbewertung beider Meere durch das Umweltminsterium 2018 belegt, dass man von diesem Ziel noch sehr weit entfernt ist."

Ein Pelikan mit weit geöffnetem Maul, dessen Gefieder bei der Ölpest vor Mexiko 2010 verklebt wurde
Mexiko 2010. Die Berichterstattung über die jüngste Ölpest in Brasilien ist im Zuge der Corona-Krise untergegangenBild: picture-alliance/AP Photo/C. Riedel

Auch das EU-Ziel der gemeinsamen Fischereipolitik, die Speisefischbestände bis 2020 in einen Zustand zu bringen, der einen maximal nachhaltigen Dauerertrag erlaubt, wurde verfehlt, so Maack. Die Gründe dafür lägen in den notwendigen Ressortabstimmungen. Bei umweltschutzrelevanten Entscheidungen müssen das Wirtschaftsministerium, das Verkehrsministerium und das Landwirtschaftsministerium mit einbezogen werden. "Und dabei haben Wirtschaftsinteressen offensichtlich Vorrang vor den Meeresschutzinteressen", kritisiert Maack.

Japan Thunfisch-Markt in Tokio. Einzelne Stücke wurden bereits abgetrennt. Ein Mann untersucht mit einer Taschenlampe das Fleisch eines Manns großen Fisches
Thunfisch - in Dosen, verteilt auf Pizza oder frisch in Sushi - ist der wirtschaftlich bedeutendste Speisefisch weltweitBild: Getty Images/Tomohiro Ohsumi

Auch Biologe Karlowski hält die Meeresschutzpolitik Deutschlands und der EU für unzureichend: "Deutschland erlaubt zum Beispiel auch den Einsatz von Stellnetzen in unseren sehr wenigen Meeresschutzgebieten, sogar im einzigen Walschutzgebiet vor Sylt, um nur ein Beispiel von vielen zu nennen." Im Nationalpark Wattenmeer richten Bodenschleppnetze Schäden an.

Ozeane brauchen Wildnisbereiche, unberührte Zonen zur Regeneration 

Knapp 600 Abkommen zum Meeresschutz gibt es. Doch scheiterten viele an Bürgerkriegen, fehlender technischer Ausstattung und den Mitteln zur Kontrolle der Einhaltung der Ziele. Deutschland hat sich gerade erst im Mai der freiwilligen Allianz zum Schutz der Meere, Global Ocean Alliance, angeschlossen, die bis 2030 ein Drittel der Weltmeere unter Schutz stellen will. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) begründete den Beitritt damit, "die negativen Auswirkungen menschlicher Aktivitäten verringern, die Fischbestände besser erhalten und die Widerstandsfähigkeit der Meere gegen den Klimawandel erhöhen" zu wollen.

"Dazu braucht es nun einen globalen, rechtsverbindlichen Ozeanvertrag, vergleichbar mit dem Parisabkommen für den Klimaschutz", sagt Maack angesichts der Tatsache, dass es sich bei den Gewässern meist um internationale Hoheitsgebiete handelt.

"Aktuell gibt es Verhandlungen dazu auf Ebene der Vereinten Nationen. Angesicht der Corona-Pandemie wurden Treffen allerdings auf das nächste Jahr verschoben", erklärt Maack. "Mit dem Ozeanvertrag werden unter anderem auch Modalitäten festgelegt, wie Schutzgebiete im Bereich jenseits der nationalen Hoheitsgewässer ausgewiesen, gemanaged und kontrolliert werden sollen."

Ein Riesenschritt in die richtige Richtung sei das. Allerdings müssten Länder wie Russland, Norwegen und die USA noch überzeugt werden, einem solchen Vertrag zuzustimmen. In den geschützten Bereichen dürfen weder Fische gefangen, noch Rohstoffe abgebaut oder andere industrielle Eingriffe durchgeführt werden.

Maack glaubt, dass die Erholung der Meere und seiner Bewohner gelingen kann. "Es gibt Beispiele, bei denen sich Fischbestände binnen weniger Jahre in den Schutzgebieten so zahlreich vermehrt haben, dass die Fische aus den Schutzgebieten ausgewandert sind und dort der Fischerei zur Verfügung stehen." Belegt sei, so Maack, dass entlang der Schutzgebietsgrenzen größere Fische unterschiedlicheren Arten gefangen werden als anderswo.