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Elektronik als Waffe im Libanon: Völkerrechtlich erlaubt?

20. September 2024

Wer hat die Pager und Walkie-Talkies mit Sprengstoff präpariert, die in Hochburgen der islamistischen Terrorgruppe Hisbollah im Libanon explodierten? Wie ist die Aktion aus Sicht des Völkerrechts zu bewerten?

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Das Bild zeigt ein zerstörtes Funkgerät, einen so genannten Pager
Ein Funkgerät, in denen Händen des Besitzes explodiert: Solche Pager benutzt die islamistische Hisbollah im LibanonBild: AFP

Wenig ist wirklich gesichert nach den Explosionen von Pagern und Walkie-Talkies im Libanon in dieser Woche. Fest steht bislang, dass mindestens 37 Menschen getötet und über 3000 verletzt wurden, und dass der Krieg zwischen Israel und Milizen im Libanon erneut eskaliert.

Pager sind Funkgeräte, die die Kämpfer der islamistischen Hisbollah nutzen. Die Hisbollah wird von der EU, den USA und weiteren Staaten als Terrororganisation eingestuft. Die Organisation setzte Walkie-Talkies und Pager ein, weil diese - anders als Mobiltelefone - nicht ortbar sind. In Taiwan hat die dortige Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen die Herstellerfirma solcher Geräte eingeleitet. Zuvor hatte die "New York Times" berichtet, der israelische Geheimdienst habe Sprengstoff in die Lieferung von Pagern des Unternehmens an die Hisbollah eingebaut. 

Wie kam der Sprengstoff in die Funkgeräte?

Funkgeräte, eingesetzt als Waffen in einem Krieg? Wie lässt sich diese Art der Kriegsführung völkerrechtlich beurteilen? Israels Regierung hat sich bislang zu den Explosionen nicht geäußert oder gar zu den Anschlägen bekannt. Unübersichtlich und verwirrend sind die Meldungen, etwa die, dass auch eine Firma in Bulgarien an der Herstellung der Funkgeräte beteiligt gewesen sein soll, die dann im Libanon explodierten.
Helmut Aust ist Völkerrechtler an der Freien Universität Berlin. Im Gespräch mit der DW macht er deutlich, wie schwierig die Bewertung der jüngsten Ereignisse aus völkerrechtlicher Sicht ist: "Im Völkerrecht muss man erst einmal ermitteln, was ist das für eine Konfliktform? Ist das ein internationaler oder ein nicht-internationaler bewaffneter Konflikt? Und das ist ja hier trotz des grenzüberschreitenden Charakters nicht so ganz eindeutig. Denn der internationale bewaffnete Konflikt ist eigentlich der zwischen den Streitkräften von zwei Staaten." Schon davon kann im Nahost-Konflikt schwer die Rede sein. Die Hisbollah jedenfalls ist nicht die Streitmacht des Libanon. "

Chaos und Panik im Süden Beiruts, nach dem Sprengstoffexplosionen mit Funkgeräten am vergangenen Mittwoch - Menschen in Panik auf der Straße
Chaos und Panik im Süden Beiruts, nach dem Sprengstoffexplosionen mit Funkgeräten am vergangenen Mittwoch Bild: FADEL ITANI/AFP

Israel pocht auf das Selbstverteidigungsrecht

Klar ist: Israel reklamiert für sich seit dem 7.Oktober vergangenen Jahres das Recht auf Selbstverteidigung. Damals griff die islamistische Terrorgruppe Hamas  aus dem Gaza-Streifen  heraus das Land massiv an. Gilt dieses Recht auf Selbstverteidigung aber auch für vermeintliche Angriffe auf die Hisbollah im Libanon, die vom Iran unterstützt wird? Helmut Aust: "Das Selbstverteidigungsrecht im Völkerrecht setzt voraus, dass man sich gegen einen bewaffneten Angriff verteidigt. Der auch noch andauert. Natürlich gibt es den Raketenbeschuss der Hisbollah auf das israelische Staatsgebiet. Aber es gibt ja auch schon lange israelische Militäroperationen im Libanon. Es ist insgesamt  schwierig, den Anfangspunkt der aktuellen Auseinandersetzung zu finden. Im Nebel des Krieges bleibt vieles undeutlich."

Aber auf jeden Fall, betont der Wissenschaftler, verbiete das humanitäre Völkerrecht so genannte "unterschiedslose Angriffe". Aust: "Die bestehen darin, dass man Kampfmethoden oder Mittel wählt, die man nicht gegen ein militärisches Ziel richten kann. Oder deren Wirkung auch nicht begrenzt werden kann. Angriffe sind hier auch dann verboten, wenn damit zu rechnen ist, dass auch Verluste und Verwundungen unter der Zivilbevölkerung vorkommen, die in keinem Verhältnis zum erwartbaren militärischen Vorteil stehen."

Porträt von Helmut Aust, Völkerrechtler an der FU Berlin.
Helmut Aust von der "Freien Universität" in Berlin glaubt trotz aller Schwierigkeiten weiter an den Wert des VölkerrechtsBild: FU Berlin

Völkerrechtler Talmon: Kombattanten dürfen angegriffen werden 

Das könnte im Fall der Pager und Walkie-Talkies durchaus der Fall sein. So gab es etwa Berichte, nach denen auch Kinder durch die Explosionen zu Schaden gekommen seien. Dennoch meint etwa der Bonner Jurist Stefan Talmon, ein wichtiger Grundsatz des Völkerrechts sei der, dass sich Militärschläge gegen Kombattanten richten müssten. Und das möglichst präzise. Talmon sagte der "Süddeutschen Zeitung": "Die Kombattanten der Hisbollah bleiben grundsätzlich auch abseits des Schlachtfeldes legitime militärische Ziele, auch wenn sie sich in ihre Kasernen zurückziehen oder in ihre Unterkunft." Auch wenn sie nicht an der Front stünden, sondern im Hintergrund etwa mit der Planung beschäftigt seien, dürfe Israel sie angreifen. Ähnlich sieht das Marco Sassoli von der Universität in Genf. Er sagt dem Schweizer Rundfunk SRF: "Aus Sicht des humanitären Völkerrechts stellt sich vor allem die Frage, ob die Getöteten legitime Ziel waren. Dies wären entweder Kombattanten in einem bewaffneten Konflikt oder eine bewaffnete Gruppe. Wer eine ständige Kampffunktion hat, darf angegriffen werden. Und ich glaube, dass Israel geltend machen kann, dass es sich in einem bewaffneten Konflikt mit der Hisbollah befindet."

Das UN-Waffenübereinkommen 

Helmut Aust aus Berlin nennt dann eine völkerrechtliche Bestimmung, die bei der Bewertung der Attacken ebenfalls eine Rolle spielt: "Es gibt genau für solche Waffen spezielle Regeln im Völkerrecht. Das ergibt sich aus Protokoll 2 des UN-Waffenübereinkommens aus dem Jahr 1996. An dieses Protokoll ist auch Israel gebunden. Das Protokoll enthält eine Bestimmung, die den Gebrauch von Sprengfallen untersagt, die aus scheinbar harmlosen beweglichen Gegenständen bestehen, die eigens dafür bestimmt und gebaut worden sind, Sprengstoff zu enthalten. Die Pager und Funkgeräte können durchaus unter diese Definition fallen."

Aust: Am Völkerrecht festhalten

Ohnehin, das weiß auch Aust, ist kaum zu erwarten, dass sich Israel, die Hamas oder die Hisbollah von Warnungen über Verstöße gegen das Völkerrecht von immer neuen und drastischeren Formen der Kriegsführung abhalten lassen. Dennoch pocht der Wissenschaftler auf die Wichtigkeit der internationalen Bestimmungen, auch wenn sie in vielen Einzelfällen immer wieder grob missachtet werden: "Man darf sich vom Völkerrecht keine Zauberkräfte erwarten. Wenn man das Vorgehen Israels als völkerrechtswidrig definiert, wird das sicher nicht dazu führen, dass die Regierung ihr Verhalten ändert.  Aber das Festhalten an rechtlichen Standards bleibt ein Wert an sich. Würde man das ganz aufgeben, hätte man noch weniger Möglichkeiten, ein vergleichsweise objektives Kriterium für staatliches Handeln im Krieg zu haben."

So könnten, meint Aust, etwa internationale Partner mit dem Verweis auf das Völkerrecht ständig Druck auf die Kriegsparteien ausüben, sich in ihren Aktionen zu mäßigen.