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PolitikPakistan

Pakistan: Afghanische Flüchtlinge fürchten Abschiebung

Jamila Achakzai
31. Oktober 2023

Die neue pakistanische Regierung bereitet die Abschiebung zahlreicher Afghanen vor – auch solcher, die seit Jahrzehnten im Lande leben.

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Afghanische Flüchtlinge verlassen Karatschi. Blick auf Menschen mit Reisegepäck vor einem Bus.
Erzwungene Rückkehr: Afghanische Flüchtlinge verlassen die pakistanische Großstadt Karatschi in Richtung Afghanistan Bild: Sabir Mazhar/AA/picture alliance

Ein Datum, das viele in Pakistan lebende Geflüchtete aus Afghanistan mit Sorge erfüllt: Ab dem 31. Oktober gilt, dass Migranten ohne Papiere das Land verlassen müssen. Dies trifft auf viele seit Jahren im Land lebende Afghanen zu. Nun wenden sie sich an die Gerichte, um ihre mögliche Abschiebung zu verhindern.

Deen Muhammad hat afghanische Wurzeln, ist aber in Pakistan geborenen und aufgewachsenen. Für ihn ist der Rechtsweg die einzige Hoffnung.

Die Eltern und Verwandte des 32-jährigen paschtunischen Straßenhändlers flohen 1982 - drei Jahre nach der russischen Invasion - aus der Nähe von Kabul in die pakistanische Provinz Punjab, rund 70 Kilometer entfernt von der Hauptstadt Islamabad.

Muhammad wurde 2017 repatriiert, kehrte aber aufgrund der Gefechte zwischen NATO-Truppen und lokalen Kämpfern, fehlenden Geschäfts- und Beschäftigungsmöglichkeiten und anderer Probleme nach Pakistan zurück.

Pakistan droht 1,7 Millionen Afghanen mit Ausweisung

"Meine Wurzeln liegen zwar in Afghanistan, aber ich sehe mich als Pakistaner. Auch meine Frau und meine vier minderjährigen Kinder wurden hier geboren. Wir haben Dokumente, die das belegen", sagt Muhammad der DW.

Auf Anraten eines Anwalts habe er nun eine Petition beim Obersten Gerichtshof eingereicht, so Mohammed. "Ich hoffe, ich habe Erfolg, denn ich habe Angst vor der Abschiebung." Seine Frau und seine Kinder gingen aus Angst nicht mehr aus dem Haus und schliefen schlecht.

"Wir hatten nie das Gefühl, auf ein Visum angewiesen zu sein"

Auch Shireen Gula und ihre Familie sind von der Abschiebung bedroht. Im Alter von 13 Jahren floh sie 1979, kurz nach der russischen Invasion, mit ihren Eltern und neun Geschwistern nach Pakistan. Die Familie ließ sich in der Provinz Belutschistan im Südwesten des Landes nieder, nahe der Grenze zu Afghanistan.

Die männlichen Mitglieder ihrer Familie halfen auf den nahegelegenen Obstplantagen, während die Frauen bei Bauern arbeiteten, die ihnen im Gegenzug Unterkunft, Nahrung und finanzielle Unterstützung boten. "Wir hatten nie das Gefühl, auf ein Visum angewiesen zu sein, denn wir wurden nie von den Behörden danach gefragt. Jetzt aber sind wir ernsthaft besorgt. Denn die Regierung scheint ernsthaft entschlossen zu sein, Ausländer ohne Papiere zurückzuschicken", so Gula zur DW.

Afghanische Frauen in einem Flüchtlingslager in Karatschi
Afghanische Frauen in einem Flüchtlingslager in KaratschiBild: Rizwan Tabassum/AFP/Getty Images

Ihre Familie, sagt die Mutter von sechs in Pakistan geborenen Kindern, habe in Afghanistan keinerlei Besitz mehr. Sie weiß nicht, wie es weiter geht: In Pakistan gebe es derzeit kaum Informationen über rechtliche Angelegenheiten, insbesondere über Flüchtlingsrechte.

Umfangreiche Rückführungsmaßnahmen

Anfang Oktober kündigte die pakistanische Regierung an, sie wolle alle Migranten ohne Papiere und diejenigen, deren Visa abgelaufen seien, abschieben. Zugleich warnte sie pakistanische Bürger davor, den Betroffenen Unterschlupf zu gewähren. In der Folgezeit häuften sich Beschwerden über Verhaftungen, Schikanen und Erpressungsversuche durch die Polizei. Betroffene berichteten, dass in Flüchtlingssiedlungen hunderte Häuser ohne Vorwarnung abgerissen worden seien. Aufgrund dieser Repressionen kehren immer mehr Betroffene in ihre jeweiligen Länder zurück.

Laut Angaben des pakistanischen Innenministeriums kehrten allein im Oktober über 72.000 Afghanen freiwillig in das Land ihrer Vorfahren zurück. Insgesamt leben derselben Quelle zufolge rund 4,4 Millionen Afghanen in Pakistan, rund 1,7 Millionen von ihnen besitzen keine legalen Aufenthaltspapiere. Die meisten von ihnen leben in den Provinzen Belutschistan im Südwesten und Khyber Pakhtunkhwa im Nordwesten, nahe der Grenze zu Afghanistan.

Ab dem 1. November sollen nun Flüchtlinge ohne gültige Papiere in Gewahrsam genommen, in großen Transitlagern untergebracht und dann zu den Grenzübergängen transportiert werden, um sie dort den afghanischen Behörden zu übergeben. Diese stehen unter Aufsicht der fundamentalislamistischen Taliban.

Leben vom Müll der anderen: Afghanische Kinder auf einer Müllhalde bei Peschawar
Leben vom Müll der anderen: Afghanische Kinder auf einer Müllhalde bei PeschawarBild: Muhammed Semih Ugurlu/AA/picture alliance

Voraussetzungen für Einbürgerung

Doch nicht alle Menschen mit afghanischen Wurzeln werden deportiert. Ausgenommen seien Personen, die in Pakistan geboren wurden, mit einem pakistanischen Staatsbürger verheiratet sind oder sieben von zwölf Jahren ein gültiges Visum besessen hätten, sagt Saifullah Muhib Kakakhel, Anwalt am Obersten Gerichtshof in der nordwestlichen Stadt Peshawar, der DW. Diese Personen hätten das Recht auf Einbürgerung.

Migranten, die diese Voraussetzungen erfüllten, könnten nicht ohne Zustimmung der Gerichte abgeschoben werden, so Kakakhel. Sie hätten sogar das Recht, gegen Abschiebebeschlüsse Berufung einzulegen. "Mangelnde Kenntnis des pakistanischen Staatsbürgerschaftsgesetzes von 1951 ist das Hauptproblem unserer afghanischen Brüder und Schwestern. Sie müssen nun um ihre Rechte kämpfen."

Rechtsexperten zufolge haben afghanische Flüchtlinge mit Registrierungsnachweisen das Recht auf einen vorübergehenden Aufenthalt in Pakistan. Zudem genießen sie Schutz vor Abschiebung.

Afghanische Migrantin in Peschawar
Afghanische Migrantin in PeschawarBild: Z.S.

UNHCR warnt vor Risiken

Der pakistanische Staat sei verpflichtet, Ausländer nicht an einen Ort abzuschieben, an dem sie dem ernsthaften Risiko von Verfolgung, Folter, Misshandlung oder einer Bedrohung ihres Lebens ausgesetzt sind, sagt Maheen Paracha, Sprecherin der unabhängigen Menschenrechtsorganisation HRCP. "Der Staat muss die Grundrechte der Flüchtlinge im Einklang mit einem mit Afghanistan geschlossenen Abkommen und in Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen [UNHCR] schützen, statt sie gewaltsam abzuschieben. Humanitäre Belange müssen Vorrang vor Sicherheitsbedenken haben." Die derzeitige, Mitte August gebildete geschäftsführende Regierung habe gar kein Mandat, Entscheidungen zur nationalen Abschiebepolitik zu treffen, so Paracha.

Auch das UNHCR fordert, irreguläre Migranten sollten aus freien Stücken und nicht unter Druck in ihre Heimatländer zurückkehren: "Afghanistan befindet sich in einer schweren humanitären Krise, während derer zahlreiche Rechte verletzt werden, insbesondere die von Frauen und Mädchen. Solche Pläne hätten schwerwiegende Folgen für alle, die gezwungen sind, das Land zu verlassen. Werden sie zurückgeführt, könnten sie ernsthaften Risiken ausgesetzt sein", sagt der Sprecher des UNHCR in Pakistan, Qaiser Khan Afridi, im Gespräch mit der DW.

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

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