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Politik

"Pakistan braucht einen Richtungswechsel"

Atif Tauqeer kkl
24. April 2019

Ziauddin Yousafzai, Vater der Friedensnobelpreisträgerin und Menschenrechtsaktivistin Malala Yousafzai, spricht mit der DW über die pakistanische Politik und das Erstarken einer paschtunischen Friedensbewegung.

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Malala Yousafzai mit der Familie
Bild: Privat

Deutsche Welle: Herr Yousafzai, erzählen Sie uns von Ihrem neuen Buch "Let Her Fly - A Father's Journey" (Lasst sie fliegen - Die Reise eines Vaters).

Ziauddin Yousafzai: "Let Her Fly" handelt von meiner Familie. Es ist eine Geschichte von der Verwandlung einer patriarchalischen, männlich dominierten Familie in eine, die sich für die Gleichberechtigung der Geschlechter einsetzt. Ich sage immer: Obwohl wir (in Pakistan - d.Red.) arme Leute waren, so waren wir doch reich an Werten. Von diesen Werten und unserer Wandlung handelt dieses Buch.

Der Malala-Fond, begründet von Ihrer Tochter, ist an einer Reihe von Entwicklungsprojekten beteiligt. Was ist das wichtigste Ziel der Organisation?

Wir arbeiten für Schulbildung für Mädchen auf der ganzen Welt, wollen kostenlose, sichere und gute Bildung garantieren. Dabei konzentrieren wir uns auf Länder, in denen die Zahl der Mädchen in den Schulen sehr niedrig ist, z.B. Afghanistan, Brasilien, Indien, Nigeria und Pakistan. Wir arbeiten außerdem mit syrischen Flüchtlingen in Jordanien, im Libanon und in der Türkei zusammen. Wir haben Schulen in Pakistan gebaut und auch für syrische Flüchtlinge im Libanon.

Malala Yousafzai
Malala Yousafzai wurde 2012 von Taliban angeschossen, weil sie sich für die Gleichberechtigung von Mädchen einsetzteBild: picture-alliance/dpa

Was denken Sie über die gegenwärtige pakistanische Regierung unter Premierminister Imran Khan?

Die Regierung hat groß angekündigt, alles anders machen zu wollen. Nach den ersten 100 Tagen muss man ehrlich sagen: Es ist ein Fiasko. Die Wirtschaft ist am Boden, der so genannte Nationale Aktionsplan (der sich gegen militante Gruppen richtet - d.Red.) ist ein Fehlschlag, und die Regierung hat nichts für die Entwicklung der Stammesregionen (an der Grenze zu Afghanistan - d.Red.) getan.

Aber es ist nie zu spät. Statt Zeit für die Förderung eines "islamischen Präsidialsystems" zu verschwenden, sollte die amtierende Regierung versuchen, das Vertrauen des Volkes in die parlamentarische Demokratie wiederherzustellen. Sie sollte die Opposition bei wichtigen Themen wie der Wiederherstellung der Wirtschaft und der Bekämpfung des Terrorismus mit ins Boot holen. Das ist der einzige Weg, der uns weiterbringt. Eine starke und beständige Demokratie ist Pakistans  einzige Hoffnung.

Da Sie die Stammesregion im Nordwesten des Landes erwähnt haben: In dieser Gegend hat eine Volksbewegung zum Schutz der Paschtunen, bekannt als Pashtun Tahaffuz Movement (PTM), viele Anhänger gewonnen. Die Anführer dieser Bewegung sind gegen den Krieg und kritisieren angebliche Gräueltaten des pakistanischen Militärs in der Gegend. Halten Sie die Forderungen dieser Gruppe für legitim?

Die PTM  wird angeführt von jungen Paschtunen. Sie sind gebildet, gut organisiert und klar in ihren Forderungen. In der Swat-Region haben wir einen gewalttätigen Konflikt durchlebt und Grausamkeiten der Taliban gesehen. Darauf folgte der Krieg gegen den Terror in Form von militärischen Operationen gegen die Taliban und andere Milizen. Die Menschen im Nordwesten Pakistans leiden seit Jahrzehnten unter kriegerischen Auseinandersetzungen. Tausende wurden gefoltert und getötet. Familien wurden vertrieben, Besitz wurde zerstört. Die Region erlebte einen Massen-Exodus.

Bis zu einem gewissen Grad war Pakistans Krieg gegen militante Gruppen erfolgreich; das bleibt aber zwiespätlig, weil klar ist, dass die pakistanischen Sicherheitskräfte in der Region Swat militante Gruppierungen schon von Anfang an unter ihre Kontrolle hätten bekommen können. Unglücklicherweise durften diese Gruppen zunächst ungehindert agieren und gewannen dabei eine Menge Einfluss.

Vor diesem Hintergrund entstand die PTM. Die Bewegung ist die Antwort auf alle diese Grausamkeiten und Probleme - und auch auf die Politik, die den Konflikt erst ausgelöst hatte.

Malala zurück in Pakistan

Paschtunen sollten wie gleichberechtigte pakistanische Bürger behandelt werden; das ist ihr verfassungsmäßiges Recht. Ihre Forderungen sind legitim und verfassungsgemäß. Der einzige Grund, weshalb manche diese Bewegung kritisch bewerten, ist ihre Herausforderung des pakistanischen Militärs. Das Militär muss die Notlage der Paschtunen erkennen. Sie als "Verräter" zu bezeichnen, verstärkt die Entfremdung nur noch. Jahrzehnte der Gewalt, die Talibanisierung der Region und die Operationen des Militärs haben für einen enormen Vertrauensverlust zwischen den Sicherheitskräften und den Menschen in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa und den Stammesgebieten geführt. Wir brauchen jetzt echte vertrauensbildende Maßnahmen. Das Militär sollte mit der Führung der PTM sprechen, auf sie hören und ihre verfassungsmäßigen Forderungen beachten. Aber auch die PTM sollte sich für Verhandlungen und Versöhnung öffnen. Aus meiner Sicht ist das der einzige Ausweg. Pakistan braucht einen politischen Richtungswechsel ebenso wie einen, was die innere Sicherheit angeht.

In den letzten Jahren hat sich die Menschenrechtslage in Pakistan verschlechtert. Die Gesellschaft beklagt sich über zunehmende Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Wie sehen Sie das?

Demokratie ist gleichbedeutend mit Meinungsfreiheit. Wenn die Behörden die Menschen davon abhalten, Kritik zu äußern, wenn sie eine eingeschränkte Auffassung von Redefreiheit haben und versuchen, die Medien unter Kontrolle zu halten, wäre das gleichbedeutend mit Faschismus.

Die Lage ist sehr schlimm in Pakistan. Massenmedien und soziale Medien werden von der Regierung unterdrückt; Fernsehsender werden gezwungen, unabhängig denkende Journalisten zu entlassen; Zeitungen müssen die Artikel ihrer Kolumnisten zensieren. Ich glaube, so etwas hat es in Pakistan noch nicht gegeben.

Wie sehen Sie den andauernden Friedensprozess in Afghanistan und Pakistans Rolle darin?

Ich glaube, wenn alle interessierten Gruppierungen, die Taliban und die afghanische Regierung, in einem Boot sitzen, und wenn Pakistan, der Iran und andere regionale Mächte sich zusammentun, um den Prozess zu fördern, dann ist die Chance für Frieden in Afghanistan groß. Aber das erfordert Ehrlichkeit und den echten Wunsch nach einem Frieden, der allen Männern und Frauen in Afghanistan gleiche Grundrechte garantiert. Da sollte es keine Kompromisse über Bildung für Mädchen und Freiheit für Frauen geben.

Und wenn Islamabad den afghanischen Friedensprozess ernsthaft unterstützt, wäre das auch eine gute Gelegenheit für Pakistan, sein Bild in der Welt zu verbessern.

Ziauddin Yousafzai ist ein pakistanischer Menschenrechtsaktivist. Er protestierte gegen das Vorrücken der Taliban in Pakistan und engagierte sich für die Schulbildung für Mädchen. Zur Zeit lebt er mit seiner Familie in Großbritannien.

Das Interview führte Atif Tauqeer