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Palermo in der Ukraine

Roman Goncharenko 13. Juli 2015

In der ukrainischen Stadt Mukatschewe spielen sich Gewaltszenen wie in einem Mafia-Film ab. Im Mittelpunkt: die rechtsextreme Organisation "Rechter Sektor". Für Präsident Poroschenko ist es ein Dilemma.

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Demo Rechter Sektor in Kiew 27.03.2014 (Foto: GENYA SAVILOV/AFP/Getty Images)
Bild: Genya Savilov/AFP/Getty Images

Seit dem Wochenende hält die Stadt Mukatschewe im äußersten Westen der Ukraine das Land in Atem. Ein im Internet veröffentlichtes Amateurvideo zeigt, wie vier Geländewagen mit schwer bewaffneten Männern in Tarnanzügen in die Stadt einziehen. Sie fahren langsam und ohne sich zu verstecken. Manche Männer zeigen ihre Kalaschnikows aus den Autofenstern. Sie stellen sich als Vertreter des "Rechten Sektors" vor. Ihr Ziel: ein ehemaliger Club und ein Fitnesszentrum. Dort treffen diese Männer ukrainischen Medienberichten zufolge einen Parlamentsabgeordneten. Was genau besprochen wird, ist noch unklar.

Dann eskaliert die Lage, es gibt Schüsse, ein Mann stirbt auf dem Gelände. Die Kämpfer des "Rechten Sektors" flüchten mit ihren Autos und schießen mit Maschinengewehren und Granatenwerfern auf die Polizisten, die sie verfolgen. Mindestens zwei der Kämpfer sterben bei den Schusswechseln mit der Polizei, zwei weitere werden schwer verletzt. Zum Schluss verstecken sie sich in einem Dorf, das von ukrainischen Spezialkräften umstellt wird. Der Anführer des "Rechten Sektors", Dmytro Jarosch, verhandelt auf höchster Ebene mit der ukrainischer Führung. Die vorläufige Bilanz am Montagnachmittag: mindestens drei Tote, rund ein Dutzend Verletzte und drei verbrannte Polizeiautos. In Kiew wird nun darüber spekuliert, dass es sich bei dem Vorfall um Zigarettenschmuggel und kriminelle Machtkämpfe handeln könnte.

Dmitri Jarosch (Foto: EPA/MAXIM SHIPENKOV +++(c) dpa - Bildfunk)
Dmytro Jarosch, Anführer der Gruppe "Rechter Sektor"Bild: picture-alliance/dpa

"Das ukrainische Palermo"

Die 85.000-Einwohner-Stadt Mukatschewe liegt im Südwesten der Ukraine, nur 30 Kilometer von der Grenze zu Ungarn entfernt. Auch die Slowakei und Polen sind vergleichbar nah. Es ist nicht das erste Mal, dass Mukatschewe in die Schlagzeilen kommt: ähnliche Zusammenstöße habe es dort schon vor rund zehn Jahren gegeben, sagte Viktor Neboschenko, Politologe aus Kiew, der DW. In kriminellen Kreisen sei die Stadt als "das ukrainische Palermo" bekannt. "Das Problem dort besteht darin, dass man Sicherheitskräfte und lokale Politiker kaum von der Mafia unterscheiden kann", so Neboschenko. Die Tatsache, dass Ministerpräsident Arseni Jazenjuk am Montag die Führung des Zollamtes in der Westukraine entlassen ließ, spricht für die Schmuggel-These.

Freiwillige der ersten Stunde

Beim "Rechten Sektor" handelt es sich um eine gut organisierte und kampferprobte Organisation, aus deren Reihen Tausende in der Ostukraine kämpfen. Sie entstand aus mehreren Splittergruppen während der oppositionellen Proteste auf dem Maidan in der Hauptstadt Kiew im Winter 2013/2014. Damals erwiesen sie sich als gute Straßenkämpfer, auch wenn sie noch nicht so zahlreich waren.

Nach dem Machtwechsel in Kiew und dem Beginn des bewaffneten Konflikts in der Ostukraine eilten die Rechtsextremen in das Kohlerevier Donbass. Sie gründeten Freiwilligenbataillone, kämpften an vorderster Front gegen prorussische Separatisten. Doch ihr Ruf ist umstritten. Erst vor wenigen Wochen warf die Menschenrechtsorganisation Amnesty International dem "Rechten Sektor" Folter der festgenommenen Separatisten vor.

Anders als an der Front bleibt der "Rechte Sektor" in der ukrainischen Politik eine Randnotiz. Eine neu gegründete gleichnamige Partei konnte mit Ausnahme zweier Direktkandidaten bei der Wahl im Herbst 2014 nicht ins Parlament einziehen.

Poroschenkos Dilemma

Mit dem Vorfall in Mukatschewe fordert der "Rechte Sektor" die ukrainische Politik und Justiz, vor allem aber Präsident Petro Poroschenko, heraus. Seine Versuche, die paramilitärische Organisation in staatliche Strukturen einzubinden, sind bisher gescheitert. So wollte Poroschenko den "Rechten Sektor" entweder dem Innen- oder dem Verteidigungsministerium unterstellen. Doch die Rechtsextremen stellten dafür eigene Bedingungen. Ein von ihnen ins Parlament eingebrachtes Gesetz zum "Ukrainischen Freiwilligenkorps" wurde nicht verabschiedet.

Präsident Poroschenko (Foto: REUTERS/Valentyn Ogirenko)
Für Präsident Poroschenko ist der "Rechte Sektor" eine HerausforderungBild: Reuters/V. Ogirenko

Poroschenko, so die überwiegenden Meinung in Kiew, stehe in den kommenden Tagen und Wochen vor einem Dilemma. Der "Rechte Sektor" sei eine Herausforderung für das staatliche Gewaltmonopol und müsse in die Schranken gewiesen werden. Die Gefahr dabei sei aber, dass die Gruppe sich aus den Kampfgebieten zurückziehen und die Truppe insgesamt schwächen könnte. Außerdem könnte der "Rechte Sektor" neue gewaltsame Proteste in Kiew anstoßen. Vor diesem Hintergrund dürfte es für Poroschenko keine einfache Entscheidung sein, gegen die Organisation vorzugehen.