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PolitikIsrael

Palästinensische Autonomiebehörde unter Druck

16. Oktober 2023

Auch die Palästinensische Autonomiebehörde ist vom Israel-Hamas-Konflikt betroffen: In den Autonomiegebieten höchst umstritten, die Hamas im Nacken, sieht sich die PA mit zunehmenden Bedeutungsverlust konfrontiert.

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Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen auf Israel, 15.10.23
Der Terror der Hamas trifft auch die Palästinensische Autonomiebehörde. Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen auf Israel, 15.10.23Bild: AMIR COHEN/REUTERS

Für die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) ist es eine besonders schlechte Nachricht: Im Westjordanland hat es erneut Tote gegeben. Bei Auseinandersetzungen mit israelischen Sicherheitskräften an mehreren Orten im Westjordanland sind am Samstag Agenturberichten zufolge mehrere Menschen getötet worden. Damit hat sich die Zahl der bei derartigen Zusammenstößen ums Leben gekommenen Palästinenser seit vergangenem Samstag, dem Tag, als die islamistische, in Deutschland, der Europäischen Union, den USA und einigen anderen Staaten als Terrororganisation eingestufte palästinensische Hamas ihren Angriff auf Israel startete, auf insgesamt 54 erhöht. Im gleichen Zeitraum nahm Israels Armee eigenen Angaben zufolge bei Razzien im Westjordanland 280 Palästinenser fest. Davon seien 157 Hamas-Anhänger, hieß es.

Zwar hat die PA - sie regiert ausschließlich im Westjordanland, während der Gaza-Streifen unter der Kontrolle der Hamas steht - mit den Ereignissen im Gazastreifen nur mittelbar zu tun. Dennoch zeigt die jüngste Entwicklung: Der PA entgleitet zunehmend die Kontrolle über die ihrer Regierung unterstehenden Gebiete. Jeder Tote ist ein Hinweis darauf, dass sie die Bevölkerung eventuell nicht mehr erreicht und vielleicht auch nicht mehr von ihrer Politik eines gewaltlosen Verhältnisses zu Israel zu überzeugen vermag. Zugleich dokumentieren die Einsätze israelischer Sicherheitskräfte, dass Israel der PA immer weniger zutraut, für Stabilität und Gewaltfreiheit in den ihr unterstehenden Gebieten zu sorgen.

"PA irrelevant geworden"

In der zurückliegenden Woche sei klar geworden, dass die PA irrelevant geworden sei, sagt Steven Höfner, Leiter des Büros der Konrad Adenauer Stiftung in Ramallah. "Die PA hat sich kaum zu der Situation geäußert, oder wenn, wie es etwa Präsident Abbas tat, dann eher zurückhaltend und vor allem, ohne auf die Hamas einzugehen und ohne sie zu verurteilen." Damit setze sie ihren bisherigen Kurs fort, nämlich die Autonomiegebiete nur noch zu verwalten, aber keine Ideen zu deren Zukunft mehr zu unterbreiten. "Die PA ist vor allem am eigenen Machterhalt interessiert. Und sie ist kaum in der Lage, noch Kontrolle im Westjordanland auszuüben. Eben das sehen wir derzeit bei den Zusammenstößen."

US-Außenminister Anthony Blinken mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas in Amman, 13.10.23
Gespräche am Rande des Terrors: US-Außenminister Anthony Blinken mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas am Freitag in AmmanBild: Jacquelyn Martin/AP Photo/picture alliance

Am Sonntag (15.10.) meldeten Nachrichtenagenturen zwar, dass sich Abbas mehr als eine Woche nach dem Großangriff auf Israel nun doch von der Hamas distanziert habe. Die Politik und die Aktionen der Hamas "repräsentieren nicht das palästinensische Volk", sagte Abbas laut der amtlichen palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa in einem Telefongespräch mit dem venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro. Später jedoch wurden genau dieser Passus und damit auch die namentliche Erwähnung der Hamas ohne jede weitere Erklärung von der amtlichen Nachrichtenagentur wieder gestrichen, meldete Reuters.  

Die PA war 1994 im Kontext des ersten Oslo-Abkommens aus dem Jahr 1993 zwischen Israel und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) gegründet worden. Ihr Ziel: die Grundlagen für einen späteren unabhängigen palästinensischen Staat zu legen.

Diese Hoffnungen sind längst zerstoben. Die PA selbst gilt vielen Palästinensern als gescheitert. Die Kundgebungen, mit denen Palästinenser in vielen Ortschaften Presseberichten zufolge den Terror der Hamas begrüßten, machten einmal mehr deutlich, dass die Sympathien vieler Einwohner des Westjordanlands bei der islamistischen Konkurrenz und eben nicht mehr bei der säkularen Fatah, der stärksten Kraft der PA, liegen. "Wir würden es vorziehen, wenn die Hamas dies nicht getan hätte" zitiert das Magazin The Economist einen PA-Beamten. "Aber wenn Israel antwortet, wird das nicht als Angriff auf die Hamas gesehen, sondern als Teil eines 75 Jahre andauernden Krieges gegen die palästinensische Nation."

Kritik an Menschenrechtslage

In den Autonomiegebieten selbst wie auch international werden der PA zahlreiche Missstände zur Last gelegt. So sprach die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch im Juni 2022 von willkürlichen Verhaftungen und Misshandlungen von Kritikern und Oppositionellen. Und die Unabhängige Kommission für Menschenrechte (Independent Commission for Human Rights – ICHR), verzeichnete 2021 129 Beschwerden über willkürliche Festnahmen im Westjordanland und 80 im Gazastreifen, viele davon im Zusammenhang mit der Meinungs- und Vereinigungsfreiheit. Das berichtet die Menschenrechtsorganisation Amnesty International.

Die PA habe sich in den vergangenen Jahren von der palästinensischen Bevölkerung entkoppelt, sagt Höfner. "Es hat sich gezeigt, dass sie ein Elitenprojekt ist, von dem nur ganz wenige Personen in den palästinensischen Gebieten profitieren. Es ist keine demokratische Institution mehr, die Legitimität ist schon lange verloren gegangen und die Menschen in den palästinensischen Gebieten haben kein Zutrauen, dass die PA oder die Fatah oder Präsident Abbas irgendwie eine Zukunftsperspektive entwickeln können."

Palästinensischer Präsident Mahmoud Abbas besucht Dschenin
Ein Friedhof in Dschenin nach den Zusammenstößen mit der israelischen Armee in Dschenin, Juli 2023 Bild: Ayman Nobani/dpa/picture alliance

"Dramatischer Autoritätsverlust"

Entsprechend deutet sich der Autoritätsverfall der PA immer dramatischer an. Noch Anfang September hatte die Behörde über Jordanien Waffen und gepanzerte Fahrzeuge erhalten. Diese, fasst die Jerusalem Post arabische Einschätzungen zusammen, dürften vor allem dazu dienen, ihre Kontrolle über das Westjordanland zu sichern, die an einigen Orten, etwa in Dschenin, zuletzt herbe Rückschläge erlitten habe.

Im Juli marschierte das israelische Militär in die Stadt Dschenin ein, nachdem im Juni zwei Hamas-Anhänger vier Israelis erschossen hatten. Auch in den Monaten zuvor war es immer wieder zu Angriffen auf israelische Siedler gekommen. Die Täter stammten oftmals aus dem Flüchtlingslager und dessen Umfeld. Terrorgruppen wie die Hamas und der Islamische Dschihad nutzen die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der PA wie auch mit Präsident Abbas, um sich politisch wie militärisch zu etablieren.

Abbas war 2005 für vier Jahre gewählt worden, 2006 wurde die Legislative der PA gewählt. Seitdem fanden Wahlen nur noch auf kommunaler Ebene statt - die Palästinenser hatten seitdem keine Möglichkeit, über ihren Präsidenten abzustimmen.  "Die PA durchläuft einen dramatischen Autoritätsverlust", sagt Höfner unter Verweis auf eine von der Konrad-Adenauer-Stiftung und dem Palestinian Center for Policy and Survey Research (PSR) herausgegebene repräsentative Meinungsumfrage aus dem September dieses Jahres - also nur wenige Wochen vor der Terror-Attacke der Hamas. Demnach fordern 78 Prozent der Bevölkerung den Rücktritt von Präsident Abbas - nur 19 Prozent wollen ihn weiterhin im Amt sehen. Und stünden im Westjordanland Präsidentschaftswahlen an, wäre die Wahlbeteiligung zwar gering: Nur 42 der Stimmberechtigten würden ihre Stimme auch abgeben. Käme es aber zu Präsidentschaftsrennen zwischen Abbas und Hamas-Chef Ismail Hanija, würden sich 58 Prozent für letzteren entscheiden. Abbas hingegen käme nur auf 37 Prozent.

Bei Parlamentswahlen hingegen könnte sich die Fatah gegen die Hamas durchsetzen, wenn auch nur knapp: Sie käme auf 36 Prozent, während die Islamisten 34 Prozent der Stimmen auf sich ziehen würden. Bereits im Jahr 2006 hatte die Hamas eine Mehrheit der Parlamentssitze gewonnen. Das Parlament wurde 2007, nach der Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen, aber suspendiert.

Nun hat Abbas im Gespräch mit Hamas-Chef Ismail Hanija die Bildung eines "Versöhnungskomitees" angekündigt. Er wolle damit den "Dialog fortsetzen" sowie "die Spaltung beenden und die nationale Einheit Palästinas erreichen", sagte Abbas in der ägyptischen Stadt Al-Alamain. 

 Mahmud Abbas (l.) und Hamas-Chef Ismael Hanija. In der Mitte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, Ankara, Juli 2023
Im Gespräch: Mahmud Abbas (l.) und Hamas-Chef Ismail Hanija. In der Mitte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, Ankara, Juli 2023Bild: ANKA

Künftige Beziehung zu Israel unklar

Offen ist, wie in dieser Situation das Telefonat aufgenommen wird, das Abbas am Samstag mit US-Präsident Biden führte. Bislang ist über dieses nur wenig bekannt. "Präsident Abbas unterrichtete Präsident Biden über sein Engagement in der Region und seine Bemühungen um die dringend benötigte humanitäre Hilfe für die palästinensische Bevölkerung, insbesondere im Gazastreifen", heißt es in einer Mitteilung des Weißen Hauses. "Präsident Biden bot Präsident Abbas und der Palästinensischen Behörde seine volle Unterstützung für diese wichtigen und laufenden Bemühungen an." Darüber sprach mit ihm auch US-Außenminister Anthony Blinken, der Abbas am Wochenende im jordanischen Amman traf.

Die große Frage ist, welche Beziehung Israel künftig zur PA haben wird. Das sei schwer zu beurteilen, sagt Steven Höfner. Klar sei aber, dass sich Israel im Kriegszustand befinde und die gesamte Situation komplett anders bewerten werde als noch vor dem Angriff der Hamas. "Das erklärte Kriegsziel Israels ist die Zerstörung der Hamas. Dafür dürfte es nicht ausreichen, in den Gazastreifen einzumarschieren. Vielmehr dürfte Israel auch im Westjordanland andere Methoden als bislang anwenden, um dort die Anhänger der Hamas oder Unterstützer der Hamas auszuschalten. Was das für die PA bedeutet, ist offen."

Dieser Text wurde am 16.10. mit einem Statement von Abbas aktualisiert.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika