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Papas Kino ist tot!

10. Juni 2009

Die Kohle- und Stahlstadt Oberhausen ist kein Ort, von dem man sich kulturelle Impulse erwartet. Trotzdem finden hier 1962 die Oberhausener Kurzfilmtage statt: Der neue deutsche Film ist geboren.

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Regisseur Peter Schamoni bei Dreharbeiten zu "Schonzeit für Füchse".
Geburtshelfer des neuen deutschen Films: Filmemacher Peter SchamoniBild: ullstein bild

"Der deutsche Film ist schlecht", schreibt 1961 der bekannte Publizist Joe Hembus und legt den Finger in die Wunde. Denn Anfang der Sechziger Jahre steckt die Filmszene künstlerisch, inhaltlich und wirtschaftlich in der Krise. Immer weniger Besucher gehen in die Kinos, Produktions- und Verleihfirmen gehen bankrott. Und der Anspruch sinkt. Das neue Filmgenre in Westdeutschland ist die Heimatidylle, ein Alptraum für den anspruchsvollen Kinogänger. "Wir sahen diese Schnulzenproduktion", erinnert sich der Regisseur Edgar Reitz, "und wie das Publikum geschmacklich verdorben wurde."

Der Regisseur und Filmproduzent Rainer Werner Fassbinder während der Dreharbeiten zu dem Film "Lola" in München.
Unterschreibt das Manifest nicht: Rainer Werner FassbinderBild: picture-alliance/ dpa

Die etablierte Branche verweigert dem Nachwuchs jeden Zugang auf das große Kino. Und so verkünden am 28. Februar 1962 26 junge Filmemacher auf den Oberhausener Kurzfilmtagen provokativ "Papas Kino ist tot!" Der neue deutsche Film ist geboren. "Der Zusammenbruch des konventionellen deutschen Films entzieht einer von uns abgelehnten Geisteshaltung endlich den wirtschaftlichen Boden. Dadurch hat der neue Spielfilm die Chance, lebendig zu werden". So lautet etwas hölzern der erste Satz des Textes, der als Oberhausener Manifest in die Geschichte eingeht. Zu den Unterzeichnern gehören neben Alexander Kluge auch Peter Schamoni, Hansjürgen Pohland und Edgar Reitz, damals noch absolute Neulinge in der Filmbranche.

Abschied von gestern

Als erste Reaktion auf das Oberhausener Manifest und die Kinokrise kommt es Mitte 1962 zu einem Treffen in Bonn. Politiker und Produzenten, Verleiher, Schauspieler, Autoren und junge Filmemacher diskutieren über die Zukunft des Films. Übereinstimmung herrscht allerdings nur darüber, dass es so nicht weitergehen könne. Die jungen Filmemacher stellen das System insgesamt in Frage. Der Filmkritiker Will Tremper antwortet auf die Frage, ob man in Deutschland auch als Außenseiter Filme machen könne: "In Deutschland nur als Außenseiter!"

Der Schriftsteller und Regisseur des Films "Abschied von gestern" Alexander Kluge (M), der Drehbuchautor Günther Mack (l) und die Schauspielerin Alexandra Kluge (r) in einem Cabrio während des Filmfestivals in Venedig 1966.
Ausgezeichneter Regisseur: Alexander Kluge triumphiert 1966 in CannesBild: picture alliance / dpa

Nach den mutigen Worten in Oberhausen folgen zunächst aber nur kleine Taten, vor allem Kurzfilme. Es dauert über vier Jahre, bis die ersten abendfüllenden Arbeiten in die Kinos kommen: Ulrich Schamonis "Es", Volker Schlöndorffs "Der junge Törless" und Alexander Kluges "Abschied von Gestern". Kluge erhält den Bundesfilmpreis 1966 und einen Sonderpreis auf den Filmfestspielen in Venedig.

Gesellschaftskritik und Alltagsmenschen

Die ersten Spielfilme des neuen deutschen Films versuchen, bundesdeutsche Wirklichkeit abzubilden und zu kritisieren. Die Themen stammen vorwiegend aus dem Alltag, man zeigt Durchschnittsmenschen und Partnerschaftsprobleme. Authentizität geht vor Perfektion. Die Bundesrepublik erscheint im Kino der neuen Generation als ein Land des Umbruchs, des Unwillens gegen das alte Wertesystem der Väter, die für Nationalsozialismus und millionenfachen Mord verantwortlich sind. Der Sinn beruflichen Erfolges wird in Frage gestellt und die traditionelle Rolle der Frau in Familie und Gesellschaft attackiert.

Das Bild aus dem Jahre 1979 zeigt den Schriftsteller Günter Grass (v.l), David Bennent als Blechtrommler Oskar Mazerath und Regisseur Volker Schlöndorff während einer Drehpause zu dem Film "Die Blechtrommel".
Ein Bestseller als Film: "Die Blechtrommel" von Volker Schlöndorff (rechts)Bild: dpa

1965 wird das Kuratorium junger deutscher Film mit fünf Millionen D-Mark Startkapital gegründet. Bayern, Nordrhein-Westfalen, Berlin und Hamburg beginnen, das Filmemachen zu unterstützen. Kommunale Kinos entstehen mit finanzieller Hilfe der Bundesländer. Die Film- und Fernsehakademien in Berlin und München werden gegründet. Keine andere nationale Kinematographie ist so erfolgreich wie die deutsche, wenn man die Festivalpreise zu Grunde legt, die der junge, der neue deutsche Film in den glorreichen siebziger Jahren bis in die frühen achtziger Jahre hinein erhält. "Ich glaube, dass das Oberhausener Manifest etwas vorbereitet hat", resümiert der Regisseur und Mitunterzeichner Wolfgang Urchs, "nämlich die Suche nach neuen Formen, nach künstlerischen und intelligenten Filmen."

Autor: Michael Marek

Redaktion: Ramon Garcia-Ziemsen