Papst kritisiert autoritäre Tendenzen
7. Juli 2015Der Schrei nach Freiheit, der vor 200 Jahren zur Unabhängigkeit der lateinamerikanischen Staaten geführt habe, habe auch heute nichts an Überzeugungskraft eingebüßt, sagte Papst Franziskus bei einem Gottesdienst mit mehr als einer Million Menschen in der Hauptstadt Quito. Erfolgreich sei dieser Ruf nur dort gewesen, wo man fortan auf Personenkult und autoritäre Führung verzichtet habe. In der Predigt hob der 78-Jährige hervor, dass die Anliegen der verschiedenen Unabhängigkeitsbewegungen in Lateinamerika mit denen des Christentums "tief überstimmten". Er verglich das Flüstern Jesu beim Letzen Abendmahl mit dem Schrei nach Freiheit, der damals aus dem Bewusstsein der Freiheitsberaubung und der Unterdrückung durch die jeweiligen Machthaber hervorgegangen sei.
Der Gottesdienst fand im Bicentenario-Park von Quito statt. Der Name erinnert an die Unabhängigkeit der südamerikanischen Staaten von der spanischen Kolonialmacht vor 200 Jahren. Kritiker halten mehreren Staatspräsidenten Lateinamerikas einen autoritären Regierungsstil vor, etwa Nicolas Maduro in Venezuela, Evo Morales in Bolivien, aber auch Rafael Correa im Gastgeberland Ecuador.
Correa wohnte der Messe bei. In Ecuador hatte es in den vergangenen Wochen etliche Protestzüge gegen die Steuerpläne der Regierung gegeben. Correa fror die Pläne vor dem Papstbesuch ein und bezeichnete die Kundgebungen als Verschwörung.
Für Dialog einsetzen
Weiter rief Franziskus dazu auf, sich für Einheit und Dialog einzusetzen. Kriege und Gewaltausbrüche der aktuellen Welt seien nicht nur auf Spannungen zwischen Staaten und sozialen Gruppen zu beziehen. In Wirklichkeit seien sie ein Ausdruck des "verbreiteten Individualismus, der uns trennt und uns gegeneinander stellt". Christen müssten darauf beharren, "den anderen anzuerkennen, die Wunden zu heilen, Brücken zu bauen, Beziehungen zu knüpfen und einander zu helfen", so Franziskus.
Der Gottesdienst unter freiem Himmel gilt als der geistliche Höhepunkt am dritten Tag der Südamerika-Reise von Franziskus. Dabei wurde auch eine Bibellesung in Ketschua vorgetragen, einer Sprache der indigenen Bevölkerung. Zuvor war Franziskus in dem Park mit den Bischöfen Ecuadors zusammengetroffen.
Familien stärker unterstützen
Am Montag hatte der Papst bei einem Gottesdienst mit etwa 600.000 Gläubigen in der ecuadorianischen Hafenstadt Guayaquil die Bedeutung der Familie gewürdigt. Dort rief er die Christen auf, Familien größere Wertschätzung zukommen zu lassen. Die Gesellschaft müsse ihrer "sozialen Schuld" gegenüber Familien gerecht werden und diese mehr unterstützen.
Ecuador ist die erste Station der Südamerika-Tour des Papstes. Nach dem Besuch von Papst Johannes Paul II. im Jahr 1985 ist es für Ecuador der zweite Besuch eines katholischen Kirchenoberhaupts. An diesem Mittwoch fliegt Franziskus nach Bolivien weiter. Erstmals seit 27 Jahren besucht damit wieder ein Papst den Andenstaat. Im 3600 Meter hoch gelegenen Regierungssitz La Paz trifft Franziskus mit Staatschef Evo Morales zusammen. Seine achttägige Reise will der 78-Jährige am Wochenende in Paraguay abschließen. Es ist die längste Reise des aus Argentinien stammenden Papsts seit seiner Wahl im März 2013. Ecuador, Bolivien und Paraguay gehören zu den ärmsten Ländern Lateinamerikas.
kle/uh (kna, dpa, afp)