Wulff: Kirche muss ihren Standort finden
22. September 2011Mit Salutschüssen und Militärmusik wurde Benedikt XVI. in Berlin von Bundespräsident Wulff empfangen. Der Papst trippelte mit kleinen Schritten über die roten Teppiche im Garten des Schloss Bellevue, dem Sitz des Bundespräsidenten. Der 84-Jährige wirkte müder und zerbrechlicher als bei seinem letzten Besuch in Bayern 2006. Im Garten von Schloss Bellevue warteten 600 geladene Gäste, die in herzlichen Applaus ausbrachen. Der Papst winkte mit beiden Händen und sagte, er sei zwar zu einem offiziellen Besuch in Deutschland, aber er wolle keine Politik machen.
Das Zeremoniell mit dem Abspielen der Nationalhymne schien ihm irgendwie lästig. "Ich will lieber den Menschen begegnen“, sagte der Papst in einer kurzen Erwiderung auf die Begrüßung durch den Bundespräsidenten. Joseph Ratzinger hatte bei seinem dritten Besuch in Deutschland als Papst eine deutliche Botschaft im Gepäck. Es bedürfe einer Rückbesinnung auf Glaube und Werte. Dazu solle seine Reise nach Berlin, Erfurt und Freiburg ein kleiner Beitrag sein.
Freundlicher Empfang
Bundespräsident Christian Wulff rief dem Papst zu: "Willkommen zuhause, Heiliger Vater!“ Millionen Menschen, so Wulff, würden sich in Deutschland über den Besuch des Papstes freuen, auch wenn der Glaube nicht mehr überall selbstverständlich zum Leben dazugehöre. Die Kirche stehe deshalb täglich vor großen Herausforderungen. Sie müsse Antworten auf viele Fragen finden und ihren Standort neu bestimmen. "Wie geht sie mit Verfehlungen von Amtsträgern um? Wie sieht sie die Aufgabenverteilung von Männern und Frauen in der Kirche?“ fragte Wulff in seiner Begrüßungsansprache. Kirche und Staat seien in der Bundesrepublik Deutschland zwar getrennt, aber das heiße nicht, dass Kirche eine Parallelgesellschaft sei. Sie lebe mitten in der Gesellschaft, so Wulff: "Ihr Besuch wird die Christen und alle Menschen in Deutschland stärken“.
"Hoffung für die Menschen“
Joachim Kardinal Meisner, konservativer Erzbischof in Köln und ein enger Vertrauter des Papstes, gehörte zu den Gästen im Garten von Schloss Bellevue. Er sagte der Deutschen Welle, er freue sich, dass der Papst schon zum dritten Mal in Deutschland sei. "Aller guten Dinge sind drei. Er wird Hoffnung bringen für alle Menschen, nicht für Katholiken. Er spricht im Namen der ganzen Christenheit.“
Am Nachmittag wird der Papst seine Thesen über das Verhältnis von Glaube und Vernunft in einer Rede vor dem deutschen Parlament weiter ausführen. Eine Premiere, denn Benedikt XVI. ist der erste Papst, der im Bundestag sprechen wird. Während des Fluges von Rom nach Berlin ließ der Papst gegenüber Reportern durchblicken, dass er im Reichstag keine politische Rede halten wird. Mehrere Dutzend Abgeordnete der Oppositionsfraktionen, SPD, Grüne und Linke, wollen der Rede demonstrativ fernbleiben, weil sie den Auftritt eines Religionsführers im Parlament ablehnen.
Höchste Sicherheitsstufe
Von den Menschen, die Benedikt XVI. nach eigenen Worten in Deutschland erreichen will, wird er nicht viele zu Gesicht bekommen. Es gilt die höchste Sicherheitsstufe. Deshalb wird das Oberhaupt von über einer Milliarde Katholiken weltweit völlig abgeschirmt. Ein Bad in der Menge ist nicht vorgesehen. Die Apostolische Nuntiatur in Berlin-Kreuzberg ist schon seit Tagen zur Festung ausgebaut worden. Auf den Dächern der Nachbarhäuser haben Scharfschützen Stellung bezogen. Insgesamt sechs Gegendemonstrationen sind am späten Nachmittag in der Berliner Innenstadt geplant.
Für den größten Demonstrationszug, zu dem schwul-lesbische Organisationen und feministische Gruppen aufgerufen haben, werden 20.000 Teilnehmer erwartet. In der ganzen Stadt sind 6.000 Polizisten aus neun Bundesländern im Einsatz. Der Verkehr in der Hauptstadt wird empfindlich gestört, wenn die päpstliche Wagenkolonne unterwegs ist. Das regt die Berliner am meisten auf. Ansonsten können die meisten mit dem Besuch wenig anfangen, wie Umfragen ergeben haben. Berlin ist mehrheitlich protestantisch oder atheistisch geprägt. Trotzdem wird am Abend zu einer Messfeier das Olympia-Stadion mit 70.000 Menschen bis auf den letzten Platz besetzt sein. Aus Westdeutschland kamen viele Papstpilger mit Sonderzügen. Aus Polen reisen 2.000 Gläubige an. Die nächste Station des Besuches wird am Freitag die Stadt Erfurt in Thüringen sein. Dort spricht der Papst mit den Spitzen der Evangelischen Kirche in Deutschland über eine Annäherung der Konfessionen.
Autor: Bernd Riegert
Redaktion: Silke Wünsch