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Paris aus der weiblichen Perspektive

Sonia Phalnikar
20. August 2022

Die Geschichte von Paris steckt voller außerordentlicher Frauen. Allerdings gibt es kaum Statuen, Fassaden oder Straßennamen, die an sie erinnern. Deshalb erzählen neue Stadtführungen von ihren Leistungen.

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Namen von französischen Frauen als Projektion auf einer Fassade in Paris
Kennen Sie diese Frauen? Auf einer Stadtführung in Paris stehen sie im FokusBild: Sonia Phalnikar/DW

Ein sonniger Vormittag in Paris. Reiseleiterin Mina Briant führt eine Touristengruppe am legendären Café "Les deux Magots" und der Kirche Saint-Germain-des-Prés vorbei. Doch sie lässt die beiden beliebten Sehenswürdigkeiten links liegen und biegt stattdessen in einen begrünten Innenhof in einer Seitenstraße ein. Dort hält sie inne. In dieser grünen Oase residiert die Édition des femmes, der erste europäische Frauenverlag, der Anfang der 1970er-Jahre von Antoinette Fouque gegründet wurde.

Mina Briant arbeitet für die Agentur Women of Paris. Sie erklärt, wie es zur Gründung des kleinen Verlags kam. "Es war die Zeit, als Frankreich von Protesten gegen ein Abtreibungsmanifest erschüttert wurde, das unter anderem von der feministischen Schriftstellerin Simone de Beauvoir mitverfasst worden war." Den Verlag gibt es bis heute, inklusive einer Buchhandlung und einer Galerie, die das Werk von Schriftstellerinnen vorstellt.

Raum der Frauen - steht in einem grünen Innenhof auf einem Transparent
"Espace des femmes" ist ein Verlag, der nur Bücher von Frauen veröffentlichtBild: Sonia Phalnikar/DW

Paris-Rundgang

Ein gelungener Auftakt für einen Rundgang, der sich mit den Kämpfen und Leistungen von Frauen - Schriftstellerinnen und Verlegerinnen - in der französischen Hauptstadt befasst. Ein paar Straßen entfernt von dem Verlag zeigt Briant auf ein sonnendurchflutetes Appartement, das in den 1890er Jahren die französische Schriftstellerin Sidonie-Gabrielle Colette, besser bekannt als Colette, zusammen mit ihrem ersten Ehemann Willy, einem Verleger und Herausgeber, bewohnte. "Colette schrieb hier ihre ersten Bücher, die später zu Bestsellern wurden, doch veröffentlicht wurden alle unter Willys Namen - nicht unter ihrem", erklärt Briant. "Willy sperrte Colette auch stundenlang in ihrem Zimmer ein, damit sie sich auf ihre Arbeit konzentrieren konnte und möglichst viel schrieb, denn er verdiente an ihrem Talent."

Colette, George Sand, Simone de Beauvoir

An einer anderen unscheinbaren Ecke weist die Tourführerin auf ein Haus, in dem die Bestsellerautorin George Sand, geboren 1804 als Amantine Aurore Lucile Dupin, eine Weile wohnte. Sie war die erste Frau, die für die Zeitung "Le Figaro" arbeitete. Sie schrieb über 80 Romane und Kurzgeschichten und war für ihre zahlreichen Affären mit Männern wie Frauen bekannt, unter anderem mit dem Pianisten Frédéric Chopin.

"Ihr Verleger meinte, sie würde mehr Exemplare verkaufen, wenn sie den Namen eines Mannes trüge, und so nannte sie sich fortan George Sand. Ihr männliches Alter Ego lebte sie voll aus", sagt Briant. "Sie kleidete sich maskulin, rauchte in der Öffentlichkeit Pfeife und schaffte es, eine Lizenz für Crossdressing zu bekommen, was damals illegal war."

Beide Seiten der Geschichte von Paris

Für die meisten der in diesem Jahr erwarteten 33 Millionen Touristinnen und Touristen sind solche Anekdoten und Geschichten von Frauen wohl noch immer Neuland. Das Intellektuellen-Viertel Saint-Germain-des-Prés wird meistens mit den Namen Jean-Paul Sartre oder Ernest Hemingway und anderen männlichen Intellektuellen in Verbindung gebracht, die sich hier in den Cafés trafen. "In den meisten Führungen durch Paris fallen Namen wie Heinrich IV., Napoleon Bonaparte, Victor Hugo oder Ludwig XIV.", erklärt Heidi Evans, Gründerin der Women-of-Paris-Touren, im DW-Interview.

"Französische Geschichte wird von Männern dominiert. Frauen tauchen vielleicht als böse Königinnen auf", sagt sie. "Doch das ist nur eine Seite der Geschichte, in der es darum geht, Männer zu glorifizieren und Frauen zu verteufeln, wie Marie-Antoinette (letzte Königin Frankreichs vor der Revolution von 1789) oder Katharina von Medici (Königin von Frankreich von 1547 bis 1559, Anm. d. Red.), die von allen Reiseführern als böse, blutrünstige Königinnen verunglimpft werden. Manche Frauen finden überhaupt auch nur als Mätresse oder Muse Erwähnung."

Heidi Evans sitzt an einem Tisch mit einem Kopftuch auf dem Kopf.
Heidi Evans gründete "Woman of Paris"Bild: Sonia Phalnikar/DW

Evans zog nach ihrem Studium der französischen Literatur von London nach Paris und begann 2014, Stadtführungen für verschiedene Unternehmen zu organisieren. So tauchte sie tief in die Geschichte der Stadt ein.

Königinnen haben in Frankreich ein schlechtes Image

Im Jahr 2016 startete Evans die Women-of-Paris-Touren und den ersten von mehreren thematischen Spaziergängen, die sich der Geschichte der Frauen und ihrem prägenden Einfluss auf Kunst, Theater, Literatur, Kultur und Politik der Stadt widmen. 

"Frauen waren in Frankreichs Geschichte jahrhundertelang unsichtbar", sagt Evans. "In London ist das ganz anders. Dort ist die Königin die größte Touristenattraktion; die beliebtesten Monarchen waren Frauen. Umso erstaunlicher fand ich, wie negativ Frankreichs Blick auf ihre Königinnen war."

Wie wenig Frankreich seine Frauen ehrt, zeigt sich auch im Panthéon, dem größten Mausoleum Frankreichs auf einem Hügel im Quartier Latin. Frauen sind dort nur wenige begraben. Die Physikerin und Nobelpreisträgerin Marie Curie hat es als erste geschafft, posthum, im Jahr 1995, dort eine Grabstätte zu erhalten. Weitere Frauen folgten, darunter die Holocaust-Überlebende und Frauenrechtsikone Simone Veil. Vergangenes Jahr wurde die in den USA geborene Tänzerin, Sängerin und Bürgerrechtsaktivistin Josephine Baker als erste Schwarze im Panthéon beigesetzt. Ähnlich sieht es in den Museen aus, zum Beispiel im Louvre. Nur etwa 300 von rund 500.000 Kunstwerken stammten von Frauen, sagt Evans.

Blick in das Pariser Pantheon.
Im Panthéon befinden sich nur drei Grabstätten von FrauenBild: Graham de Lacy/Greatstock/imago images

4000 von 6000 Straßen in Paris sind nach Männern benannt, nur 300 nach Frauen. Auch Denkmäler in der Stadt erinnern fast ausschließlich an Männer. Auf ihrer Tour erzählt Mina Briant, dass erst 2017 - nach mehreren Petitionen - die erste weibliche Schriftstellerin, Madame de La Fayette, neben der Pflichtlektüre berühmter männlicher Autoren wie Victor Hugo, Gustave Flaubert und Honoré de Balzac in den Lehrplan des französischen Abiturs aufgenommen wurde. In diesem Jahr kam noch die französische Dramatikerin und politische Aktivistin Olympe de Gouges, die für ihre "Erklärung der Rechte der Frau und des weiblichen Bürgers" von 1791 bekannt ist, in die Lektüreliste. "Schriftstellerinnen wie Colette und George Sand galten als leichte Kost und als zu frivol. Erst viel später im 20. Jahrhundert wurde das Schreiben von Frauen respektiert", so Briant. 

Die einzige nicht-französische Frau, über die auf der Tour gesprochen wird, ist die US-Amerikanerin Sylvia Beach, die die Buchhandlung Shakespeare and Company in Paris eröffnete und zu einem enorm wichtigen Treffpunkt für Schriftsteller wie Ernest Hemingway und James Joyce machte. Beach war es, die 1922 die Erstausgabe von Joyces "Ulysses" verlegte.

Geschichte vollständig erzählen

Die Women of Paris sind nicht die einzigen, die versuchen, die Geschichte von Paris aufzuarbeiten und die Aufmerksamkeit auf den Beitrag der Frauen zu lenken. Einige andere Nischengruppen bieten inzwischen auch feministische Führungen durch den Louvre und das Musée d'Orsay sowie über den berühmten Friedhof Père Lachaise an.

Heidi Evans sagt jedoch, dass sie das Wort "feministisch" bei ihren Führungen bewusst vermeide, um sie für ein breiteres Publikum zu öffnen und nicht nur für engagierte Frauen, die sich hauptsächlich anmelden. "Frauen haben genauso Großes erreicht wie Männer", sagt sie. "Ich denke, die Frauen der Vergangenheit können auch Inspirationsquelle für die Zukunft sein." 

Adaption aus dem Englischen: Sabine Oelze