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"Elnaz Rekabi ist eine Heldin"

Andreas Sten-Ziemons | Farid Ashrafian Mitarbeit
21. Oktober 2022

Taekwondo-Kämpferin Parisa Farshidi stammt aus dem Iran. Den Fall der Sportkletterin Elnaz Rekabi und die gewaltsame Niederschlagung der Proteste gegen das Mullah-Regime in ihrer Heimat betrachtet sie mit großer Sorge.

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Sportkletterin Elnaz Rekabi im iranischen Nationaltrikot ohne Kopftuch
Sportkletterin Elnaz Rekabi ist ohne Kopftuch zum Wettkampf angetreten und hat damit ein Tabu gebrochenBild: iwsports.ir/dpa/picture alliance

"Elnaz Rekabi ist definitiv eine Volksheldin. Während andere Nationalsportler durch ihr Schweigen negativ aufgefallen sind, hat sie durch ihren Mut ihren Protest gegen das diktatorische Mullah-Regime eindrucksvoll demonstriert", sagt Parisa Farshidi im Gespräch mit der DW. Sie findet, dass die Sportkletterin nach ihrem Auftritt ohne Kopftuch bei den Asienmeisterschaften in Seoul zurecht mit Applaus am Flughafen empfangen wurde. "Diese Tat von Elnaz Rekabi ist ohne Zweifel ein großer Tabubruch innerhalb des diktatorisch-islamischen Regimes." 

Farshidi kommt zwar aus einer anderen Sportart als Rekabi, doch auch sie weiß, welcher Druck auf Athletinnen lastet, die bei internationalen Wettbewerben im Ausland für den Iran antreten. Die Taekwondo-Kämpferin hatte 2010 bei den Asienspielen in Guangzhou in China die Silbermedaille für ihr Heimatland gewonnen. Jedoch zeigte sie sich danach bei Feierlichkeiten nach Ansicht der Sittenwächter des Regimes zu freizügig.

"Ich wurde wegen des Tragens einer Sonnenbrille und weil ich meine Fingernägel lackiert hatte, von der Sittenpolizei festgenommen und zum Verhör zitiert", berichtet Farshidi. "Ich musste deswegen gegenüber dem iranischen Taekwondo-Verband Rechenschaft ablegen und wurde außerdem aus dem Nationalteam geworfen." 2019 verließ Farshidi ihre Heimat. Sie beantragte in Deutschland Asyl und lebt und trainiert seitdem in Berlin. Hier führt sie ein freies Leben, wie es für junge Frauen im Iran nicht möglich ist. 

"Ich hätte anstelle von Mahsa Amini sein können"

Heute erschreckt es sie, wenn sie darüber nachdenkt, was mit Mahsa Amini passiert ist. Die junge Frau wurde auf offener Straße wegen eines schief sitzenden Kopftuchs von der Sittenpolizei verhaftet. Ihr noch immer ungeklärter Tod in Polizeigewahrsam war der Auslöser für die heftigen Proteste, die den Iran seit Wochen beherrschen - und die seitdem vom Mullah-Regime gewaltsam niedergeschlagen werden. "Ich hätte selbst anstelle von Mahsa Armini sein können", sagt Farshidi. "Ich habe dasselbe erlebt wie sie, wenn ich im Iran zur Universität oder zum Training gegangen bin. Die Sittenpolizei hat mich in ähnlicher Form drangsaliert."

Seit Aminis Tod und dem Beginn der Proteste kommt Farshidi in Deutschland kaum zur Ruhe. Sie verfolgt die Geschehnisse mit großer Sorge. "Als ich zuletzt mit meiner Schwester sprechen konnte, erzählte sie mir, dass meine Familie auch auf die Straße geht, protestiert und für die Freiheit kämpft", berichtet Farshidi der DW. "Meine Nichte wurde von der Polizei misshandelt, ihre Hände sind blutig geschlagen worden."

Auch um Elnaz Rekabi macht sich Farshidi Sorgen. Zwar bestätigte das Internationale Olympische Komitee (IOC) Stunden nach deren Ankunft in Teheran am Mittwoch, dass Irans Sportführung die Sicherheit Rekabis garantiert habe, jedoch bleiben Befürchtungen. Die Athletin hatte nach ihrer Landung in der Heimat in einem öffentlichen Statement bedauert, was in Seoul passiert war. Sie habe durch ein "unabsichtliches Versehen" kein Kopftuch getragen.  

"Dieses Zwangsgeständnis erfolgte mit absoluter Sicherheit unter enormem Druck seitens der iranischen Führung", sagt Farshidi gegenüber der DW. "Ihr Außenkontakt mit Bekannten und mit den Medien ist seitens des Regimes unter die Lupe genommen worden. Es ist absolut realistisch, dass ihre mutige Tat letzten Endes dazu führen könnte, dass sie inhaftiert und zudem auch vom Sportbetrieb suspendiert wird." Laut eines Berichts der ARD-Sportschau, der sich auf Meldungen von BBC Persian stützt, des persisch-sprachigen Rundfunksenders der BBC, befindet sich Rekabi unter Hausarrest und wird massiv von den Sicherheitsbehörden bedrängt. 

Sardar Azmoun: "Ihr seid die Lügner!"

Farshidi ist derweil nicht die einzige prominente Stimme aus der Welt des Sports, die klar und deutlich Stellung gegen das Regime bezieht. Einer der Lautesten ist der ehemalige Fußball-Nationalspieler Ali Karimi. Der Ex-Spieler von Bayern München und Schalke 04 nimmt kein Blatt vor den Mund und kritisiert die iranische Führung mit harten und klaren Worten. Er verurteilte den Tod Aminis und schrieb, nicht einmal Weihwasser könne "diese Schande abwaschen". Karimi wohnt derzeit in Dubai, im Iran selbst wäre er wegen seiner unverblümten Meinungsäußerungen in großer Gefahr, verhaftet und bestraft zu werden.

Neben Karimi gibt es andere prominente Fußballer - aktive wie ehemalige - die ihre Stimmen erheben. Der frühere Nationalspieler Hossein Mahini wurde verhaftet, weil er die Proteste nach Aminis Tod unterstützte. Erst einige Tage später kam er gegen Kaution wieder frei. "Schämt euch alle, wie leichtfertig Menschen ermordet werden. Lang leben die iranischen Frauen", hatte Sardar Azmoun, iranischer Nationalspieler in Diensten von Bayer 04 Leverkusen, nach Aminis Tod in einem inzwischen gelöschten Posting geschrieben. Rekord-Nationalspieler Ali Daei unterstützte die Proteste der iranischen Frauen auf Social Media ebenfalls. Die iranischen Behörden beschlagnahmten vorübergehend den Pass des ehemaligen Bundesliga-Profis, der für den FC Bayern, Arminia Bielefeld und Hertha BSC in Deutschland aktiv war.

Fußballspieler Sardar Azmoun im Trikot von Bayer 04 Leverkusen
"Ihr seid die Lügner!" Leverkusens Angreifer Sardar Azmoun greift das Regime mit scharfen Worten anBild: Laci Perenyi/picture alliance

Daraufhin legte Bayer-Profi Azmoun in den sozialen Netzwerken nach: "Selbst wenn auch Ali Daei sterben sollte, könnt ihr ihn nicht in Verruf bringen und ihn kaputt machen!", schrieb der Stürmer. "Die DNA dieses Idols ist wie die DNA des Volkes. Sein Schatten möge stets über uns schweben! Ihr seid hier die Lügner!"

"Endlich wieder Freiheit"

"Das Internet ist seitens des Mullah-Regimes massiv eingeschränkt worden. Deswegen spielen die sozialen Medien eine sehr große Rolle im Rahmen der aktuellen Freiheitsbewegung der Menschen in Iran", sagt Parisa Farshidi, die - auch wenn sie in Deutschland und damit weit weg ist - nicht nur Zuschauerin sein möchte.

"Das Einzige, was in meiner Macht steht, ist, dass ich mich beteilige, wenn sich in Deutschland Demonstrationen gegen das iranische Regime formieren. Und dass ich dies in den sozialen Netzwerken wiedergebe und multipliziere. Alle sollen sehen, was für unfassbare Ereignisse sich gegenwärtig im Iran abspielen", sagt Farshidi. "Mein innigster Wunsch ist, dass meine Mitbürgerinnen und Mitbürger diese krasse Auseinandersetzung mit dem Mullah-Regime im Iran für sich entscheiden. Und dass mein Land endlich wieder Freiheit erlebt."