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Politik

"Wichtiger Startschuss" für Südkorea

Esther Felden
10. März 2017

Das Urteil des Verfassungsgerichts gegen Präsidentin Park ist ein Sieg für die südkoreanische Demokratie. Doch das Land steht vor großen Herausforderungen, meint Korea-Experte Hannes Mosler von der FU Berlin.

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Park Geun-Hye bei einer Rede vor einer südkoreanischen Flagge
Bild: Getty Images/AFP/J. Heon-Kyun

Deutsche Welle: Das südkoreanische Verfassungsgericht hat eine historische Entscheidung getroffen und einstimmig die endgültige Amtsenthebung von Präsidentin Park Geun Hye beschlossen. Haben Sie diese Entscheidung erwartet oder hat sie Sie doch überrascht?

Hannes Mosler: Nein, ich war nicht überrascht. Das war zu erwarten. Zum einen natürlich, weil die Anschuldigungen, die auf dem Tisch lagen, qualitativ und quantitativ sehr schwerwiegend waren - auch im historischen Vergleich mit dem Amtsenthebungsverfahren gegen den ehemaligen Präsidenten Roh Moo-Hyun im Jahr 2004.

Es gab trotzdem die Befürchtung, dass die Entscheidung am Ende gegen eine Amtsenthebung fallen könnte, weil beispielsweise zwei der Richter, die von der konservativen Partei in ihr Amt nominiert wurden und denen nachgesagt wird, dass sie eher konservativ sind, dagegen stimmen würden. Ich habe mich in meiner Einschätzung aber eher auf das gestützt, was die Geschichte zeigt.

Hannes Mosler
Hannes Mosler lehrt an der Freien Universität BerlinBild: Marcus Reichmann.

Bisher hat das Verfassungsgericht sich immer im Sinne der allgemeinen Meinung  entschieden. Es ist ja wichtig, wie die Stimmung im Volk ist, was die Umfragen ergeben, ob die Leute auf die Straße gehen oder nicht und was die wichtigen Entscheidungsträger über die Sache denken. Und daran hat sich das Gericht in jedem wichtigen Entscheidungsfall orientiert. Insofern war die Amtsenthebung für mich zu erwarten.

Wie haben die Richter ihr Urteil begründet?

Da war zum einen die Schwere der Vergehen, die man ihr nachweisen konnte. Es gab ja einen ganzen Katalog von Anschuldigungen in der Anklageschrift. Dazu haben die Richter geurteilt, dass einige Punkte nicht vom Verfassungsgericht gewertet werden können, weil sie entweder nicht legal juristisch bewertet werden können oder weil nicht nachgewiesen werden konnte, dass die Angeklagte sich dieser Vergehen tatsächlich schuldig gemacht hat.

Die Richter haben sich dann auf die Schwere der Vergehen konzentriert, die man ihr nachweisen konnte. Unter anderem hieß es, dass die Präsidentin während ihrer Amtszeit  und auch während des ganzen Verfahrens immer wieder aktiv versucht hat, Dinge zu verschleiern: die Unregelmäßigkeiten und die  nicht rechtliche Einflussnahme ihrer Freundin Choi Soon-Sil, die ja kein offizielles Amt bekleidete. Und das, obwohl von den Medien oder vom Parlament immer wieder angeprangert wurde, dass im Blauen Haus, dem Präsidentensitz, nicht alles mit rechten Dingen zugeht.

Zwar konnte man Frau Park nicht nachweisen, dass sie direkt Einfluss auf Geldeintreibungen bei Firmen genommen hat. Aber nach Einschätzung der Richter hat sie auf jeden Fall Frau Choi bei ihren Aktivitäten unterstützt. Und das war für die Richter eine Verletzung des Prinzips der repräsentativen Demokratie und des Rechtsstaatlichkeitsprinzips.

Außerdem hat Park sich nicht der Staatsanwaltschaft zur Untersuchung gestellt, obgleich sie das immer wieder behauptet hat. Sie hat auch die Hausdurchsuchung im Blauen Haus verhindert. Das, so sagen die Richter, kann man ihr so auslegen, dass der Wille zum Schutz der Verfassung – was ja ihre Pflicht ist als Präsidentin -  nicht erkennbar war. Sie sagen zwar nicht, sie hätte aktiv gegen die Verfassung gehandelt. Aber das allein reicht schon aus.

Ist das Urteil ein Sieg der Demokratie?

Ja, genau. Und insbesondere ist es ein Sieg des Demokratieverständnisses oder der demokratischen Kultur in Südkorea. Dieses ganze Verfahren, was jetzt dazu geführt hat, dass diese Präsidentin ihres Amtes enthoben wurde, wurde ja eingeläutet von der Presse und vor allem den Menschen, die auf die Straße gegangen sind und ihrem Willen Ausdruck verliehen haben. Es war nicht so, dass die Parteien die Initiative ergriffen hätten, sie waren sich da ganz unschlüssig, weil ja so oder so bald die nächsten Wahlen bevorstehen. Nein, es waren die Bürger, die gesagt haben: 'Das machen wir nicht mehr mit, es reicht uns. Entweder tritt sie zurück oder sie erklärt sich.' Spätestens seit Oktober letzten Jahres sind jede Woche hunderttausende, teilweise Millionen auf der Straße gewesen. Irgendwann haben sich die Parteien dann genötigt gefühlt, tatsächlich etwas zu unternehmen im Parlament. Hier sieht man tatsächlich die Demokratie in der Art und Weise, wie sie funktionieren sollte: ausgehend vom Volk.

Noch viel besser wäre natürlich gewesen, wenn die Parteien funktioniert hätten und das Ganze vorher im Parlament geregelt hätten. Aber das in Korea immer schon ein Schwachpunkt gewesen.

Ist das denn jetzt der Schlussstrich unter die innenpolitische Krise, die Südkorea seit Monaten im Griff hat, oder erst der Anfang eines umfassenden Wandlungsprozesses?

Das ist ganz eindeutig ein ganz wichtiger Startschuss. Vielleicht vorweg: Die Verteidiger der Präsidentin haben geäußert, dass sie mit dem Gedanken spielen, die Entscheidung anzufechten, was interessanterweise theoretisch auch geht. Die Wahrscheinlichkeit auf Erfolg ist allerdings sehr gering.

Am Schluss der Entscheidung hat einer der Richter noch seine persönliche Meinung geäußert – was ihm zusteht. Er sagte, dass dies eben auch eine ganz wichtige Entscheidung für die Zukunft sei. Dass hiermit klar gestellt werden solle, dass es keine ideologische Frage zwischen links und rechts oder progressiv und konservativ war, sondern dass es um den Schutz der Verfassungsordnung ging. Und er erklärte, dass in Zukunft "schlechte und schädliche politische Gewohnheiten" ausgeräumt werden sollen. Damit sind die Verquickung von Politik und Wirtschaft, Amtsmissbrauch und der Eingriff in Staatsgeschäfte von nicht gewählten Personen gemeint. Der Richter hat also ganz explizit darauf hingewiesen, dass das Urteil dafür der Startschuss gewesen sein soll.

Was passiert jetzt mit Park Geun Hye? Als amtierende Präsidentin war sie ja immun gegen Strafverfolgung, jetzt ist sie es nicht mehr.

Wenn sie jetzt ihres Amtes enthoben ist, ist sie wieder eine ganz normale Zivilperson, und dementsprechend kann die Untersuchung der Staatsanwaltschaft gegen sie umso intensiver weiter betrieben werden. Es ist dann durchaus denkbar, dass es tatsächlich zu einer ganz konkreten Strafverfolgung kommen wird.

Andererseits wäre es auch denkbar, dass es da auch wieder Deals gibt. Nach dem Motto: Jetzt haben wir sie schon ihres Amtes enthoben, muss das jetzt noch weiterverfolgt werden? Also das kann ich mir theoretisch vorstellen. Vor allem im Vorlauf zu den Präsidentschaftswahlen, die ja sowieso wieder ein Riesenchaos werden. 

Dass Park ins Gefängnis muss, halten sie für unwahrscheinlich?

Es ist immerhin möglich.  Und wenn die Anschuldigungen, die erhoben werden, sich als wahr herausstellen sollten, wäre das auch nötig. Eine gründliche Aufarbeitung wäre sogar noch entscheidender als die heute gefällte wichtige Entscheidung. Und zwar wegen der Rechtsstaatlichkeit. Korea könnte zeigen, dass auch die höchste Person im Staate dem Gesetz gehorchen muss.

Innerhalb von 60 Tagen wird der neue Präsident gewählt. Er wird ein Land in größter Unruhe vorfinden. Wer ist der aussichtsreichste Kandidat?

Im Moment stellt es sich so dar, dass der Kandidat der oppositionellen Demokratischen Partei, Moon Jae In, die besten Aussichten hat, gewählt zu werden. Er hatte in den letzten Monaten immer mit Abstand die besten Umfragewerte. Es gibt mehrere Lager, aber im Prinzip nur zwei große. Die formieren sich jetzt. Das ist einmal das Lager des linksliberalen Moon Jae In und gewissermaßen ein Anti-Moon-Lager. Es wäre fatal, wenn die Opposition sich spalten würde. Präsidentschaftswahlen in Korea sind immer unberechenbar. Dennoch würde ich sagen, dass Moon die größten Chancen hat.

Genau wie dieses Amtsenthebungsverfahren wäre es ein ganz wichtiges Zeichen, wenn ein demokratischer Präsident an die Macht käme. Es ist natürlich immer möglich, dass er es dann genauso schlecht macht wie seine Vorgänger, aber nach dem, wie er sich bisher präsentiert hat, glaube ich das eher nicht. Es wäre jeden Fall wichtig, dass nach 2008, wo es ja es ja den Regierungswechsel von progressiv auf konservativ gab, wieder zurückgewechselt wird zu einer progressiven oder eher liberalen Regierung. Das würde auch zur Festigung der Demokratie in Korea beitragen.

Glauben Sie, dass sich die Stimmung im Land jetzt schnell wieder beruhigt?

Ich bin ganz sicher, dass die kleine Gruppe, die Park bis zuletzt unterstützt hat, noch für ein paar kleine Meldungen sorgen wird. Aber im Allgemeinen wird das jetzt alles geschluckt vom Wahlkampf, der nun sofort einsetzt. Da gelten jetzt wieder die üblichen Spielregeln, die in Korea immer gelten: Alles ist erlaubt. Wie im Krieg und der Liebe. Aber ich bin auch sicher, dass es nicht zu irgendwelchen Tumulten kommt. Wenn erst einmal der neue Präsident gewählt ist, wird das Land in ruhiges Fahrwasser zurückkehren. Die Demokratie in Südkorea ist stabil genug.

Hannes Mosler ist Junior-Professor am Institut für Koreastudien der Freien Universität Berlin.