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Schätze für alle

Das Gespräch führte Aygül Cizmecioglu17. Dezember 2012

Deutsche Archäologen graben seit Jahrhunderten in Kleinasien - und fanden unter anderem Troja und den Pergamon-Altar. Jetzt fordert die Türkei einige Kulturschätze zurück. Teilweise zu Unrecht, meint Hermann Parzinger.

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Hermann Parzinger (Foto: dapd)
Bild: dapd

DW: Herr Parzinger, der türkische Kulturminister will in Ankara ein archäologisches Mega-Museum eröffnen. Fast 3000 Objekte hat er dafür schon aus der ganzen Welt zurückgeholt. Macht Sie das als Archäologen  und Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz nicht nervös? Ist der Pergamon-Altar in Berlin in Gefahr?

Hermann Parzinger: Überhaupt nicht! Ich finde es begrüßenswert, dass die Türkei ihre Schätze im eigenen Land präsentieren möchte. Aber es gibt auch einen anderen Aspekt. Viele der Objekte, die die Türkei zurückfordert, sind in den letzten Jahrzehnten über den illegalen Antikenmarkt ins Ausland geschmuggelt worden. Das ist ein völlig anderes Thema. Aber leider wird das von der türkischen Seite manchmal vermischt. Im Übrigen wurde der Pergamon-Altar nie offiziell von der Türkei zurückgefordert, weil man weiß, dass die Aktenlage eindeutig ist.

Touristenmagnet in Berlin - der Pergamon-Altar. Foto: Barış Coşkun
Touristenmagnet in Berlin - der Pergamon-AltarBild: Barış Coşku

Gibt es denn andere Rückgabe-Forderungen an Deutschland?

Ja! Sie beziehen sich auf drei Objekte, die Anfang des 20. Jahrhunderts legitim nach Deutschland gekommen sind. Das ist einmal ein Torso aus der Berliner Antikensammlung, der sogenannte "Fischer von Aphrodisias", und zwei Objekte aus dem Museum für Islamische Kunst. Das waren Schenkungen. Die Türkei behauptet aber, irgendein deutscher Diplomat hätte sie damals gestohlen. Es gibt aber keine Belege dafür. Insofern ist das für uns kein Thema.

In den letzten Jahren sind sie aber der Türkei entgegen gekommen und gaben die "Sphinx von Hattuscha" zurück...

Ja, das stimmt! Wir hatten die Rückgabe zunächst abgelehnt, weil die Aktenlage nicht eindeutig war, sowohl von türkischer als auch von deutscher Seite. Wir haben dann aber von uns aus entschieden, sie zurückzugeben. Nicht als Restitution, sondern als freiwillige Geste. Gerade in Bezug auf die Archäologie sind die Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland sehr wichtig. Wir haben dann gemeinsam eine Kooperation unterzeichnet, um die Zusammenarbeit zu intensivieren. Die deutsche Seite hat Wort gehalten. Doch im Gegenzug präsentierte die Türkei direkt neue Rückgabeforderungen. Das fanden wird irritierend.

Die "Sphinx von Hattuscha", Foto: Tobias Kleinschmidt/dpa
Objekt der Begierde - die "Sphinx von Hattuscha"Bild: picture alliance/dpa Fotografia

Wie sieht es zurzeit mit den Arbeitsmöglichkeiten von ausländischen Archäologen in der Türkei aus?

Sie stehen unter einem größeren Druck. Die französischen Grabungen mussten schon beendet werden. Soweit ich weiß, haben die deutschen Archäologen in diesem Jahr zwar eine Lizenz bekommen, allerdings nur für Rekonstruktionen und  nicht für Grabungen. Die türkischen Behörden wünschen sich, dass ausländische Teams Denkmäler restaurieren, für den Tourismus natürlich. Ich hoffe, dass wir in Zukunft mit der türkischen Seite mehr ins Gespräch kommen und dass man wieder eine vernünftige Form der Zusammenarbeit finden kann.

Archäologen posieren mit der Statue der Kaiserin Faustina Maior in Burdur, Foto: dpa
Gemeinsam statt Gegeneinander - die Zukunft der Archäologie liegt in der kulturellen ZusammenarbeitBild: picture-alliance/dpa

Sind denn diese Grabungslizenzen an bestimmte Rückgabeforderungen gekoppelt?

Das gab es in den früheren Jahren, aber heute dezidiert nicht mehr.

Viele archäologische Schätze in Deutschland sind auch ein Symbol des Kolonialismus. Denken sie nur an die Nofretete. Von Verhandlungen auf Augenhöhe konnte damals keine Rede sein. Was hindert Deutschland daran, einige dieser Objekte großmütig in ihre Ursprungsländer zurückzugeben?

Natürlich war das damals eine andere Situation. Ich würde das aber nicht nur unter dem Aspekt des Kulturimperialismus sehen. Es war eine Zeit, in der Europäer ihre eigenen Wurzeln, ihre eigene Geschichte in diesen Ländern gesehen haben. Ich finde, dass diese wunderbaren Schätze moralisch der ganzen Menschheit gehören. Es gibt eine Verantwortung dafür, diese Objekte zu pflegen, zu erforschen und Besuchern zugänglich zu machen. Das ist das Entscheidende. Und sie müssen natürlich auch mit Wissen und Einverständnis der jeweiligen Regierungen hierher gelangt sein.

Länder wie Ägypten oder die Türkei kritisieren, dass oft der Eindruck erweckt wird, diese archäologischen Schätze seien in Deutschland besser aufgehoben als in den Ursprungsländern. Ist da etwas dran?

Nein, das würde ich wirklich nicht sagen. Das war von unserer Seite aus auch nie ein Argument. Damit würde man diesen Ländern unrecht tun. Es gibt aber im Nahen Osten immer wieder Länder, in denen Krieg herrscht, zumindest kriegsähnliche Zustände. Denken sie an den Irak oder an Afghanistan.  Das sind besondere Situationen.

Die einzigartige "Himmelsscheibe von Nepra" wurde von Grabräubern entdeckt Foto: Lipták
Die einzigartige "Himmelsscheibe von Nepra" wurde von Grabräubern entdecktBild: Lipták/Archlsa

Was sind heute die Hauptprobleme der Archäologie?

Raubgrabungen und illegaler Antikenhandel, und zwar weltweit! Ich habe das in vielen Ländern selbst erlebt. In Pakistan, in Afghanistan liegt die Kulturgeschichte ganzer Länder auf den Ladentischen der Basare. Es ärgert mich immer, wenn man über weit zurückliegende Dinge heiß diskutiert und die Augen vor Problemen verschließt, die heute akut sind.

Was passiert bei diesen Raubgrabungen konkret?

Es gibt viele Ruinenplätze, die nicht rund um die Uhr bewacht werden können. Das ist ja sogar in Deutschland ein Problem. Illegale Gräber haben natürlich auch gewisse Kenntnisse. Die kommen nachts mit Metallsuchgeräten und klauen die besonders wertvollen Objekte. Dabei zerwühlen sie aber die antiken Plätze, zerstören im Grunde genommen das Denkmal, den Kontext.

Um welche Summen geht es dabei?

Es sind Millionen, weltweit betrachtet ist es vielleicht sogar ein Milliardengeschäft. Und diejenigen, die diese Raubgrabungen durchführen, wissen oft nicht, was sie anrichten. Und sie selbst verdienen dabei am allerwenigsten.

Wie könnte man diese Raubgrabungen verhindern?

Zunächst müsste man die Denkmalaufsicht weiter entwickeln und ein Bewusstsein für diese archäologischen Schätze schaffen. Es ist vor allem ein Bildungsproblem. Man müsste in diese Dörfer nahe der Ruinenplätze gehen und klar machen: Das sind Plätze unserer Vergangenheit, das kulturelle Erbe der Menschheit liegt hier. Ein anderes Problem ist auch, dass archäologische Fundstücke nur dann geschützt sind, wenn sie auf offiziellen Listen auftauchen. Aber wie soll etwas, was aus einer Raubgrabung kommt und vorher nicht aufgelistet wurde, beschlagnahmt werden? Da müssen wir eine Verbesserung, eine Verschärfung der gesetzlichen Regeln angehen.

Hermann Parzinger ist seit 2008 Präsident der Berliner Stiftung Preußischer Kulturbesitz, eine der größten Kulturstiftungen weltweit. Der gebürtige Münchner ist Prähistoriker und Archäologe. Er hat über die Jahre diverse Ausgrabungsprojekte geleitet, unter anderem in der Türkei, in Kasachstan und in Spanien.