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Paul: Attentat auf Oppositionspolitiker muss aufgeklärt werden

Nils Naumann26. Juli 2013

Tunesien ist in Aufruhr. Der Oppositionspolitiker Mohamed Brahmi wurde brutal ermordet. Die Gewerkschaften riefen einen Generalstreik aus. Tausende gingen auf die Straße. Was steckt hinter dem Attentat?

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Proteste gegen den Mord an Brahimi (Foto: EPA/MOHAMED MESSARA)
Bild: picture-alliance/dpa

Mohamed Brahmi verließ gerade sein Haus, als er am Donnerstag (25.07.2013) vor den Augen seiner Frau von Kugeln durchsiebt wurde. 14 Projektile fanden die Ärzte in seinem Körper. Der Oppositionspolitiker Brahmi war Abgeordneter der Verfassungsversammlung. Er vertrat den Wahlkreis Sidi Bouzid. Dort hatte die tunesische Revolution begonnen.

Der arabisch-nationalistisch ausgerichtete Brahmi ist nicht der erste prominente Oppositionelle der Opfer eines Mordanschlags wird. Im Februar ermordeten Unbekannte den Oppositionspolitiker Chokri Belaid. In beiden Fällen wurde die gleiche Waffe benutzt. Das teilten die tunesischen Behörden am Freitag mit.

Mohamed Brahmi (Foto: EPA/STR)
Ermordet: Mohamed BrahmiBild: picture-alliance/dpa

Was bedeutet der Mord für die Entwicklung in Tunesien? Fragen dazu an Joachim Paul, Leiter der Heinrich Böll Stiftung in Tunis.

Deutsche Welle: Wer könnte hinter dem Mord an Mohamed Brahmi stecken?

Joachim Paul: Zunächst fällt auf, dass der Mord nach einem ähnlichen, wenn nicht dem gleichen Muster verlaufen ist, wie der Mord an dem Oppositionspolitiker Chokri Belaid Anfang des Jahres. Und zwar sowohl was die Art des Anschlags als auch das Profil des Opfers betrifft.

Natürlich gibt es verschiedene Mutmaßungen. Die einen vermuten, dass Teile des alten Regimes hinter den Anschlägen stecken, andere vermuten radikale islamistische Untergrundorganisationen.

Die Familie des Opfers wirft der islamistischen Regierungspartei Ennahda vor, sie stünde hinter dem Mordanschlag. Wie bewerten sie diese Vorwürfe?

Das ist sehr schwer zu beurteilen. Die linke Opposition hat auch bei dem Mord an Chokri Belaid die Ennahda verantwortlich gemacht. Die Ennahda und ihr Chef Rached Ghannouchi haben dagegen sofort erklärt, dass sie das Attentat auf Brahmi für ein Attentat auf den Transformationsprozess in Tunesien halten.

Trauer nach dem Brahmi-Mord (Foto:EPA/MOHAMED MESSARA)
Trauer nach dem Brahmi-MordBild: picture-alliance/dpa

Es ist deswegen sehr wichtig für die Ennahda, für die Regierung in Tunesien und überhaupt für die Bevölkerung, dass diese Attentate aufgeklärt werden und zwar auf eine glaubwürdige und transparente Art und Weise - und das möglichst schnell.

Welche Folgen wird der Mord haben?

Er kann erhebliche politische Konsequenzen haben. Schon das politische Attentat auf Chokri Belaid im Februar hat ein politisches Erdbeben ausgelöst. Es führte zum Rücktritt der ersten Ennahda-Regierung. Von der linken Seite und aus der Zivilgesellschaft gibt es schon jetzt Forderungen, dass die Regierung zurücktreten sollte. Diese Stimmen wollen eine Regierung der nationalen Einheit. Sie soll den Transformationsprozess neu gestalten und zu einem erfolgreichen Ende bringen.

Im Moment ist geplant, die neue Verfassung im Sommer in der Verfassungsversammlung endgültig zu verabschieden. Ende diesen oder Anfang nächsten Jahres soll dann gewählt werden. Doch ob das so durchzuhalten ist, bleibt abzuwarten.

In Ägypten hat das Militär den islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi gestürzt. Wie groß ist die Gefahr, dass es in Tunesien eine ähnliche Entwicklung wie in Ägypten gibt?

Die Entwicklung in Tunesien und Ägypten hängt natürlich zusammen. Beide Länder sind aber strukturell unterschiedlich. Ägypten war über Jahrzehnte eine Militärdiktatur und das Militär hat ja auch wieder die Macht übernommen. In Tunesien hat das Militär keine direkte politische Rolle. Auch die Diktatur Ben Alis, die ja im Januar 2011 durch den Volksaufstand hinweggefegt wurde, stützte sich eher auf die Polizei und die Geheimdienste und nicht auf ein Militärregime. Von daher glaube ich nicht, dass man es so direkt vergleichen kann.

Joachim Paul, Leiter der Heinrich Böll Stiftung in Tunis
Joachim Paul, Leiter der Heinrich Böll Stiftung in TunisBild: Heinrich Böll Stiftung

Allerdings hat sich auch in Tunesien eine Rebellionsbewegung gegründet. Diese hat den gleichen Namen wie in Ägypten, Tamarud, das arabische Wort für Rebellion. Die Bewegung hat zur Auflösung der Verfassungsversammlung aufgerufen. Ich vermute, dass diese Bewegung nach dem Attentat stärkeren Zulauf bekommt.

Wäre ein Sturz der Islamisten auch in Tunesien möglich?

Die Ennahda-Partei regiert in einer Koalition mit zwei kleineren Parteien, unter anderem der Partei des Präsidenten Moncef Marzouki. Es ist eine gewählte Regierung. Ich halte es für möglich, dass es eine politische Dynamik gibt, die eine Weiterführung dieser Regierung in Frage stellt.

Wie hat sich das politische Klima in Tunesien seit dem Sturz Ben Alis entwickelt?

Es gibt eine sehr starke Unzufriedenheit in der Bevölkerung. In den zweieinhalb Jahren nach der Revolution ist bisher wenig geschehen was auf veränderte Lebensbedingungen und eine verbesserte wirtschaftliche Situation schließen lässt. Ein Großteil der Bevölkerung ist enttäuscht darüber, dass der Verfassungsprozess so lange dauert. Der Prozess war ursprünglich auf ein Jahr angesetzt. Er sollte im Oktober 2012, ein Jahr nach den Wahlen von 2011, abgeschlossen werden. Doch die Verfassung wird immer noch debattiert.

Wie stark ist die Opposition?

Die Opposition ist durchaus sehr stark. Wenn sich alle oppositionellen Kräfte zusammenschließen, könnten sie Ennahda wirklich politisch in Wahlen gefährlich werden. Von daher würde ich sagen, dass der Ausgang der politischen Auseinandersetzung wirklich offen ist.