Perspektiven der EU-Integration des Westbalkan
13. Juli 2006In Berlin fand Ende vergangener Woche (6./7.7.) eine internationale Konferenz zur europäischen Perspektive des westlichen Balkan statt. An der Konferenz, die von der Heinrich-Böll-Stiftung organisiert wurde, nahmen zahlreiche Politiker und Experten teil. Die Perspektive ist klar formuliert. In einigen Jahren sollen alle Länder des Westbalkans Mitglied der Europäischen Union sein. Wolfgang Petritsch, Botschafter Österreichs bei der Vereinten Nationen, zeichnet ein visionäres Bild: "Ich bin der Meinung, dass in 15 Jahren, von heute aus gesehen, wir sozusagen Albaner, Bosnier, Serben, Kroaten, Mazedonier, Kosovaren in Brüssel am Tisch gemeinsam mit den anderen europäischen Staaten sitzen sehen werden."
Zwischen Gewissheit und Zweifel
Aber soll der Westbalkan wirklich zur EU gehören? Viele Bürger in den jetzigen EU-Mitgliedsstaaten stellen diese Frage. Azra Djajic, Referentin bei der Heinrich-Böll-Stiftung, hat hier eine klare Antwort: Für sie gehört der Westbalkan schon deshalb dazu, weil er geographisch inmitten der zukünftigen EU liegen wird, eingerahmt von Griechenland, Italien, Bulgarien und Rumänien. "Wenn wir fragen, was ist Europa, dann ist der westliche Balkan ein Teil Europas. Und die Europäer sollen einfach diese Region auch im Bewusstsein haben so wie die anderen westlichen Staaten. Nicht mehr und nicht weniger. Wir sind alle Europäer und das ist es", so Djajic.
Diese Erklärung reicht aber manchen EU-Bürgern nicht. Die vorherrschende Skepsis gegenüber neuen EU-Erweiterungen sehen einige Experten als berechtigt an. Dennoch betonen sie, dass die EU-Integration den Endpunkt eines 15-jährigen Krisenmanagements der EU bedeuten würde. Die Erfolge bei der Befriedung der Krisenregionen der 90er Jahre müsse zu einem Abschluss geführt werden, allerdings unter der Voraussetzung, dass die Länder die Aufnahmekriterien der EU erfüllen. Jost Lagendijk, Mitglied des Europäischen Parlaments, meint: "Der Eindruck der Mehrheit der europäischen Bevölkerung ist derzeit, dass alle Länder des Westbalkan Kriminalität und mehr Probleme nach Europa bringen werden. Das ist schlecht, es ist aber die Wirklichkeit. Es gibt Probleme in der Region und es gibt auch starke Verbindungen der organisierten Kriminalität von außerhalb der EU durch den Balkan nach Europa. Es geht dabei um Waffen und Drogenhandel ebenso wie um Menschenhandel und so weiter. Der andere Teil der Wirklichkeit ist aber, dass der Balkan nicht ein schwarzes Loch in Europa bleiben darf. Wir haben keine Alternative, als den Balkan aufzunehmen."
Ziel: Zone des Friedens
Der Balkan liegt zudem in einer geostrategisch sehr sensiblen Zone. Der Nahe Osten liegt in unmittelbarer Nachbarschaft von Griechenland und der Türkei. Die ungelöste Problematik des israelisch-palästinensischen Konflikts ist auch eine Herausforderung für die EU. Umso wichtiger ist es daher, dass die EU in Südosteuropa eine Zone des Friedens und der Stabilität vorfindet. Jamie Shea vom politischen Planungsstab des NATO-Generalsekretärs betont vor diesem Hintergrund die europäische Identität des Balkans: "Der Balkan ist ein Teil Europas. Diese Debatte über die Nähe des Nahen Ostens, sollte sich nicht auf den Balkan projizieren. Er ist geographisch absolut ein Teil Europas. Wenn wir die Balkanstaaten bitten, eine große Anzahl politischer, wirtschaftlicher und sozialer Reformen umzusetzen, dann müssen wir auch glaubwürdig sein und unsere Versprechen halten."
Prinzip der Gegenseitigkeit
Aber auch die Wirtschaft spielt eine sehr wichtige Rolle. In EU-Europa ist die wirtschaftliche Entwicklung eher verlangsamt, während in den Balkan-Ländern die Wirtschaft höhere Zuwachsraten verzeichnet. Das heißt, Westeuropa kann dort gute Geschäfte tätigen und es lohnt sich, für Investitionen nach Partnern auf dem Balkan zu suchen, hieß es auf der Konferenz.
Für den österreichischen Diplomaten und ehemaligen Hohen Repräsentanten in Bosnien, Wolfgang Petritsch, beruht das Interesse auf Gegenseitigkeit: "Ich bin der Meinung, dass man diese Fragen als Ganzes sehen muss. Wir investieren dort, aber wir bekommen auch etwas zurück. Das heißt, es ist keine Einbahnstraße, sondern eine Beziehung. Diese ist zwar im Augenblick noch asymmetrisch und noch nicht gleichberechtigt. Aber unser Ziel muss es sein, dass es zu einem gleichberechtigten partnerschaftlichen Beziehungsgeflecht zwischen dem Balkan und den anderen Teilen Europas kommt."
Chancen für eine dynamische Wirtschaftsregion
So könnte der Balkan sich zu einer sehr dynamischen Wirtschaftsregion entwickeln. Das Potential dafür ist vorhanden. Voraussetzungen sind Rechtstaatlichkeit, Reduzierung der Korruption und Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Lagendijk meint, dass die Wirtschaft es einfacher habe als die Politik: "Sie können Geschäfte machen und eine Wirtschaftsentwicklung haben, auch wenn ansonsten nicht alles in Ordnung ist. Damit meine ich Minderheitenrechte, freie Medien oder Menschenrechte. Auch wenn diese nicht vorhanden sind, sind Geschäfte möglich. Aber ein Politiker wie ich, der die Erweiterung der EU befürwortet, erwartet, dass bestimmte Kriterien erfüllt werden. Diese Kriterien sind aber die schwierigsten. Sie betreffen die Polizei, die Justiz, die Menschenrechte. Man kann zunächst eine Wirtschaftsentwicklung haben, aber die Politiker haben dann die Aufgabe das umzusetzen, was viel schwieriger als Wirtschaft ist."
Aida Cama
DW-RADIO/Albanisch, 7.7.2006, Fokus Ost-Südost