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Philipp Lahm: DFB-Team muss vor EURO 2024 seinen Kern finden

Max Merrill
9. September 2023

Der Turnierdirektor der Fußball-EM 2024 hofft auf ein erfolgreiches Abschneiden der deutschen Nationalmannschaft. Mit der DW spricht er darüber, was der deutschen Mannschaft fehlt und was ein Heimeffekt bewirken könnte.

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Philipp Lahm
"Wir sind sicher nicht die Favoriten", sagt EM-Turnierdirektor Philipp Lahm über das DFB-TeamBild: Uwe Koch/Eibner-Pressefoto/picture alliance

Neun Jahre nach seinem 113. und letzten Länderspiel für das DFB-Team blickt Philipp Lahm gespannt auf die anstehende Fußball-Europameisterschaft, die im Juni 2024 in Deutschland stattfinden wird. Als Turnierdirektor der EURO 2024 hat der Kapitän der Weltmeistermannschaft von 2014 ein Interesse daran, dass das deutsche Team, nachdem zuletzt bei zwei Weltmeisterschaften in Folge bereits in der Vorrunde Schluss war, ein erfolgreiches Heimturnier bestreitet.

Angesichts der zuletzt schwachen Ergebnisse in den Testspielen gegen die Ukraine, Polen und Kolumbien stellt sich Lahm allerdings Fragen, die mit den Führungsqualitäten der aktuellen Spieler zu tun haben. "Ich weiß nicht, wer aktuell die Verantwortung trägt. Wer ist das Gesicht der Mannschaft? Wer gehört zum Kern?", fragt er bei einem Exklusivinterview mit der DW und zieht den Vergleich zu früheren, erfolgreicheren Zeiten, als die Rollen noch klar verteilt waren. "Jede erfolgreiche deutsche Mannschaft hatte einen Kern, der jetzt noch geformt werden muss. Es ist noch genug Zeit", meint Lahm.

Kern der Mannschaft formen

Allerdings sind die Gelegenheiten knapp, bei denen Bundestrainer Hansi Flick vor der EM noch Spieler und Formationen testen und die das Team nutzen kann, um sich einzuspielen. Zudem steht Flick selbst unter Erfolgsdruck. Die anstehenden Spiele gegen Japan und Frankreich könnten auch über seine Zukunft entscheiden. "Die anstehenden Länderspielpausen müssen jetzt genutzt werden, um den Kern und das Gesicht dieser Mannschaft zu formen", fordert Lahm gegenüber der DW. "Ich glaube, das ist wichtig - auch innerhalb einer Mannschaft. Wer hat die Führung? Das muss ich herauskristallisieren."

Vor der letzten Länderspielpause hatte Flick davon gesprochen, dass man die Fans "mitreißen" und vor dem Turnier 2024 auf seine Seite ziehen müsse. Doch im Anschluss konnte die Mannschaft in drei Spielen nicht begeistern. Nach Lahms Meinung bedarf es drastischer Veränderungen. Er geht sogar so weit, dass er meint, Deutschland müsse an den Grundlagen arbeiten.

Bundestrainer Hansi Flick gestikuliert und ruft vor der Bank
Unter Druck: Bundestrainer Hansi Flick braucht gute Ergebnisse und möchte die Fans wieder mitreißenBild: Laci Perenyi/IMAGO

"Ich denke, was in den letzten Jahren versäumt wurde, ist die Konzentration auf das Wesentliche, einfach auf den Fußball", sagte der 39-Jährige in den Räumen seiner Stiftung in München. "Wir haben uns auf alle möglichen Dinge rund um das Spiel konzentriert, aber nicht auf das Wichtigste, worum es im Fußball geht. Wir haben uns ein bisschen verrannt und müssen jetzt aufholen."

Tatsächlich wurde im Vorfeld der WM in Katar mehr über die "One Love"-Binde von Kapitän Manuel Neuer und mögliche politische Statements zur Menschenrechtslage im Gastgeberland gesprochen, als über den Sport. Zuvor - noch unter der Führung von DFB-Sportdirektor Oliver Bierhoff - hatte es Kritik am DFB-Team gegeben, weil scheinbar Sponsorentermine wichtiger waren als Training, die "stakeholder", wie Bierhoff sie nannte, wichtiger als die eigenen Fans.

Marokkos WM-Erfolg als Beispiel

In den vergangenen Länderspielen waren herausragende Leistungen und starke Persönlichkeiten eher selten zu sehen. Deutschlands Nationalmannschaft, früher ein Inbegriff für Willensstärke, Einstellung und Einsatzbereitschaft wirkte unzusammenhängend und verloren. "Ich glaube, dass wir die Qualität in unserem Kader haben", ist Lahm trotz der Flaute optimistisch. "Wir haben gute Spieler, die erfahren genug sind, um erfolgreichen Fußball zu spielen."

Als Beispiele, wie man erfolgreich sein kann, auch ohne den besten Kader des Turniers zu haben, führt Lahm Marokko und Kroatien an. "Es geht darum, ein Kollektiv zu sein, und das muss man formen. Ich habe die Hoffnung, dass wir das in der kurzen Zeit, die uns noch bleibt, erreichen können."

Heimeffekt wie beim Sommermärchen 2006?

Zudem setzt der Ex-Nationalspieler für die EURO 2024 auf den Heimeffekt - und spricht dabei aus eigener Erfahrung. 2006 war Lahm Teil der deutschen Mannschaft, die ohne große Vorschusslorbeeren in die damalige Heim-WM startete, sich aber im Turnier steigerte, große Begeisterung entfachte und letztlich WM-Dritter wurde. Lahm selbst leitete das spätere "Sommermärchen" mit einem herrlichen Weitschusstor zum 1:0 gegen Costa Rica im WM-Auftaktspiel der Deutschen ein.

Torjubel Philipp Lahm mit Bastian Schweinsteiger und Torsten Frings nach seinem Tor gegen Costa Rica bei der WM 2006
Initialzündung: Philipp Lahm (2.v.r.) bejubelt das erste WM-Tor der DFB-Elf beim Heimturnier 2006 Bild: Florian Eisele/Pressefoto ULMER/picture-alliance

"Ich weiß nicht, ob wir die drittbeste Mannschaft waren oder der drittbeste Kader. Aber die Mannschaft hat sich mit der Aufgabe identifiziert. Und ich glaube, das haben die Menschen einfach gespürt", erinnert sich Lahm, der damals mit 22 Jahren noch ein junger Spieler war. "Ich glaube, da ist Deutschland wieder eine Einheit geworden. Das Gefühl hatte man auch als Spieler und das darf man nicht unterschätzen. Das ist der große Vorteil eines Heimturniers."

Doch vor sich diese Begeisterung wieder einstellen kann, müssen Hansi Flick und seine Spieler nun aber erstmal in Vorleistung gehen. Zwei gute Leistungen - am besten mit Siegen - gegen Japan und Frankreich könnten viel dazu beitragen, dass das DFB-Team mit Rückenwind in die letzten neun Monate bis zum EM-Start geht.

Der Text wurde aus dem Englischen adaptiert.