Terrorgefahr auf den Philippinen
11. April 2019Von der einst prächtigen Bato Ali-Moschee mit der grünen Kuppel ist nur noch ein zerbombtes, hässliches Gerippe mit durchlöchertem Minarett übriggeblieben. Wie kaum ein anderes Gebäude erinnern die Trümmer dieser Moschee an das, was hier im äußersten Süden der Philippinen vor fast zwei Jahren passiert ist.
"Am Anfang dachten alle, das ist nur ein Witz", erinnert sich Norodin Lucman. Er stammt aus einer der einflussreichsten muslimischen Familien in der Stadt Marawi, in der monatelang die schwarze Fahne des selbsternannten 'Islamischen Staates' wehte. "Wie kann man nur eine Stadt angreifen und zehntausende Zivilisten als Geiseln nehmen?" Doch was undenkbar schien, ist passiert. "So funktioniert Terrorismus", sagt Lucman.
Das "Kalifat" im Südosten Asiens
Marawi hat etwas mehr als 200.000 Einwohner und ist die größte muslimische Stadt auf den katholisch geprägten Philippinen. Sie liegt sehr idyllisch am Lanao-See auf der Insel Mindanao im Süden des Inselstaates. Zwei lokale islamistische Terrorgruppen, die dem IS die Treue geschworen hatten, wollten Marawi 2017 zur Hauptstadt des "Kalifats" im Südosten Asiens machen. Von Mai bis Oktober gelang es ihnen, mit ein paar hundert Kämpfern das Zentrum zu besetzen.
Die IS-Dschihadisten ermordeten Christen, nahmen Geiseln und verschanzten sich in den größten Moscheen der Stadt. Im Keller der Bato Ali-Moschee hielten sie unter anderem einen katholischen Priester gefangen, der nach 117 Tagen Häuserkampf befreit werden konnte.
Die Terroristen zwangen das philippinische Militär in seine verlustreichste Schlacht seit dem Zweiten Weltkrieg. Am Ende waren es die permanenten Luftangriffe und die Unterstützung durch die US-Armee, die den Kampf entschieden. Mehr als 1200 Menschen starben.
Marawi "nur der Anfang"
Marawi ist heute genauso zerstört wie die Städte Rakka in Syrien oder Mossul im Irak, vom versprochenen Wiederaufbau ist nur wenig zu sehen. Noch immer leben zehntausende Menschen in Notunterkünften. Auf ganz Mindanao gilt das Kriegsrecht. IS-Kämpfer sind in den Untergrund abgetaucht. Nach dem verheerenden Bombenanschlag auf eine Kirche auf Mindanaos Nachbarinsel Jolo am 27. Januar 2019 reklamierte der IS die Tat für sich. Marawi war "nur der Anfang", warnt auch Norodin Lucman.
Als Clan-Führer genießt er Respekt. Er kannte viele der jungen IS-Kämpfer persönlich. Junge, wütende Männer aus der Nachbarschaft ohne Perspektive. Sie ließen es zu, dass Lucman am zwölften Tag der Schlacht mehr als 150 Zivilisten aus der Kampfzone führte. Muslime und Christen.
Die Bombardierung und Zerstörung Marawis habe "eine Menge Elend hinterlassen. Ressentiment. Wut. Empörung. Jeden Tag." Wenn die Regierung das Problem nicht energisch angehe, "wird es hier wieder zu einem Aufstand kommen", sagt Lucman und spricht von einem "bis heute andauernden Kolonialkrieg."
Auf Mindanao und seinen südlichen Nachbarinseln wie Jolo schwelt einer der ältesten Konflikte Asiens - ein immer wieder aufflammender Machtkampf zwischen der christlichen Mehrheit, die heute den philippinischen Staat dominiert, und der muslimischen Minderheit. Nur etwa fünf Prozent der Gesamtbevölkerung sind Muslime. Fast alle leben auf Mindanao, der zweitgrößten Insel der Philippinen. Früher gab es hier mächtige Sultanate. Dann kamen die christlichen Kolonialherren und Siedler.
"Diskriminierung" der Muslime
Samira Gutoc sieht sich wie Norodin Lucman als Repräsentantin der Unterdrückten und Diskriminierten. Die 43-jährige Politikerin aus Marawi will Senatorin werden. Seit 25 Jahren ist kein Muslim mehr in den philippinischen Senat gewählt worden. "Wenn wir weiterhin glauben, dass Frieden nur durch Männer in Uniform und auf nationaler Ebene geschaffen werden kann, ohne die lokale Bevölkerung vor Ort einzubeziehen, wird Marawi ein gescheitertes Experiment bleiben", sagt sie.
Gutoc wirft dem philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte vor, Marawi im Kampf gegen den Terror geopfert zu haben. "Marawi ist ein Beispiel für Diskriminierung. Für das Verbot, unsere Konflikte selbst zu lösen." Aus ihrer Sicht war es falsch, Verhandlungen mit den lokalen IS-Kämpfern so kategorisch abzulehnen, wie Duterte es tat.
Verhandelt hat die philippinische Regierung vor allem mit der 'Islamischen Befreiungsfront der Moros' (MILF). Die größte muslimische Rebellengruppe auf Mindanao hat Mitglieder an den IS verloren. Die MILF kämpfte jahrzehntelang für einen unabhängigen islamischen Staat im Süden der Philippinen. Doch nach langjährigen Verhandlungen ist sie von ihren Maximalforderungen abgewichen und akzeptiert eine weitreichende muslimische Autonomie - mit eigenem Parlament, eigenem Haushalt und islamischen Gesetzen. Nur wenn auch wirklich eine Autonomieregierung im Bangsamoro (wörtlich: Land der Moros) zustande kommt, will sie bis zu 30.000 Kämpfer entwaffnen.
Ein erster Schritt Richtung Föderalismus
Die Katastrophe von Marawi hat den Prozess beschleunigt. Der Kampf gegen den IS lieferte Präsident Duterte, der im Ausland vor allem für seinen brutalen Anti-Drogen-Krieg bekannt ist, wichtige Argumente. "Ich weiß, dass Duterte auch in Deutschland einen äußerst schrecklichen Ruf hat", sagt der philippinische Politikwissenschaftler Richard Heydarian. Doch für den eingeschlagenen Weg in Mindanao verdiene er Respekt: "Er hat die geballte Macht seiner Präsidentschaft und sein ganzes politisches Kapital eingesetzt, um die philippinische politische Elite dazu zu zwingen, das Bangsamoro-Projekt zu unterstützen."
Viele Muslime in Mindanao sprechen vom "imperialen Manila", wenn sie über die Regierung in der fernen Hauptstadt reden. Ihr autonomes Bangsamoro, das in den nächsten drei Jahren entstehen soll, ist im zentral regierten Inselreich tatsächlich so etwas wie ein erster Schritt Richtung Föderalismus. Für Senatskandidatin Samira Gutoc ist es "ein Mechanismus, lokale Probleme endlich lokal zu lösen". Doch ist es auch eine Erfolgsgarantie im Kampf gegen den Terror?
Zwischen Rivalität und Korruption
Präsident Duterte ist nur noch bis 2021 im Amt. Es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass sein Nachfolger das Autonomieversprechen brechen könnte. Genauso wenig kann ausgeschlossen werden, dass Machtkämpfe innerhalb der MILF oder zwischen der MILF und anderen Rebellengruppen ausbrechen. Auch zwischen den traditionellen muslimischen Clans auf Mindanao herrscht große Rivalität. Korruption und Vetternwirtschaft sind weit verbreitet. Daran ist der erste Versuch der Selbstverwaltung gescheitert.
Vier Jahrzehnte Bürgerkrieg und mehr als 120.000 Tote haben Spuren hinterlassen. Die Gebiete, in denen die muslimische Bevölkerung lebt, gehören heute zu den ärmsten und am wenigsten entwickelten auf den Philippinen.
Die neue Front
"Als der IS im Nahen Osten beschloss, einen Emir in dieser Region zu ernennen, entschied sich die Führung nicht für einen Indonesier oder Malaysier", betont Politikwissenschaftler Heydarian. Die IS-Führer ernannten den Filipino Isnilon Hapilon, "weil sie glauben, dass die Front nicht in Indonesien oder Malaysia liegt, sondern im Süden der Philippinen." Nur hier greift für die Propaganda das Narrativ vom vermeintlichen Kampf einer christlichen Regierung gegen Muslime.
Nach dem Untergang des IS-"Kalifats" in Syrien und im Irak könnte Mindanao jetzt noch viel stärker als bisher ausländische Kämpfer anlocken. Schon bei der Schlacht um Marawi waren einige Kämpfer aus den muslimischen Nachbarländern Indonesien und Malaysia dabei. Auch dort gibt es aktive Terrorzellen.
Die großen Dschungel- und Sumpfgebiete auf den nahegelegenen südphilippinischen Inseln bieten gute Verstecke und sind per Boot leicht zu erreichen. "Mindanao ist jetzt die andere Rückfalloption, um eine Chance auf eine vermeintliche dschihadistische Erlösung zu haben", glaubt Richard Heydarian.
Es gibt im Süden der Philippinen eine Chance auf Frieden, doch noch ist die Autonomie für die Muslime nicht verwirklicht. Sollte das Projekt scheitern, bestünde die Gefahr, dass islamistische Terroristen hier eine neue Front eröffnen.