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Das Phosphor-Urin-Projekt

11. Mai 2020

Ohne Phosphor kein Leben. Innovative Methoden des Urin-Recyclings sind wichtig, weil weltweite Ressourcen zur Neige gehen. Das Mineral ist Bestandteil von Dünger und wird mit der Nahrung aufgenommen und ausgeschieden.

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Magnesium-Ammonium-Phosphatkristalle
Eine ganz besondere "Berliner Pflanze" - der gebundene Phosphor aus Urin Bild: Berliner Wasserbetriebe

Kaum vorstellbar: Tennisfans düngen den strapazierten heiligen Rasen von Wimbledon mit Urin. Fußballfans spenden in der Halbzeitpause goldgelben Harn für sattes Grün in der Münchner Arena, kaufen im Fanshop Dünger aus Pipi und leisten damit einen wertvollen Beitrag für die Umwelt. Mit freundlicher Genehmigung der Schweizer, denn die haben den "Urin-Express" erfunden. 

Die mobile Anlage steht neben Rasensportplätzen. Beim Urin-Recycling werden wertvoller Phosphor und andere Mineralien gerettet, die sonst in der Kanalisation verschwänden. "Wir wollen damit auch einen Beitrag zur Ressourceneinsparung leisten", begründet Bastian Etter das Projekt: "Normalerweise spülen wir 100 Liter Wasser das WC hinunter, um einen Liter Urin zu entsorgen."

Von Abwasser zu reinem Wasser  - in Südafrikas Slums erprobt

Etter gehört zu den Initiatoren der mobilen Aufbereitungsanlage, die Urin zu Flüssigdünger und destilliertem Wasser verarbeitet. So geht's: Neben dem Pissoir wird die pure Hinterlassenschaft in einem Stahltank gesammelt. Dem Harn werden Bakterien zugeführt, diese eliminieren Schadstoffe, Krankheitskeime und schlechten Geruch. Medikamentenreste werden mit Aktivkohle herausgefiltert. 

Am Rande eines Sportplatzes: Links im Bild steht ein Auto-Anhänger, der einem Imbisswagen gleicht.  Darauf steht: "Urin-Express". Zu sehen: Die Zeichnung mit roten Äpfeln am Strauch, sowie zwei grüne Gartenzwerge. Einer zapft Wasser aus einer Zisterne ab. Einer beobachtet den Dünger in einem Behälter.
WC-Häuschen und mobile Kläranlage - vom Tennisplatz Biel geht es weiter durch die Schweiz Bild: Fa. Vuna/S. Etter

Aus 1000 Liter Urin können so binnen zwei bis drei Tagen 70 Liter Dünger und 930 Liter Wasser gewonnen werden. Das reicht zum Bewässern und Düngen von 2000 Quadratmeter Boden. In weiteren Reinigungsstufen ließe sich sogar reines Trinkwasser herstellen. "Das ist aber nicht unser Ansatz", so Etter. "Wir wollen Wasser vernünftig einsetzen, Nährstoffe gewinnen und WC-Häuschen für abgelegene Gegenden industriell herstellen." 

Getestet haben Etter und seine Kollegen von Vuna die Anlage in Nepal und  Townships in Südafrika . Dort gibt es keine zentrale Abwasserreinigung. 

Die Zivilisation und ihre Folgen

Anders die Berliner Wasserbetriebe (BWB): Sie sind auf die Ver- und Entsorgung von Wasser aus Millionen Haushalten mit  Spültoiletten und unterirdischer Kanalisation ausgerichtet: Die Hinterlassenschaften werden bei jedem Toilettengang weggespült und durch Leitungen in ein Klärwerk transportiert. Dort werden alle Stoffe aufwendig und mit hohem Wasserverbrauch gefiltert und gereinigt, um dann möglichst sauberes Wasser in die Gewässer abzuleiten.

Der dabei entstehende Klärschlamm steckt voller Nähr- und Schadstoffe, Hormone, und Medikamentenrückstände. Er wird getrocknet, zur Energieerzeugung verbrannt oder in der Landwirtschaft als Dünger verwendet - falls die Grenzwerte für Schwermetalle nicht überschritten werden. 

Mehrere viereckige, hinter- und nebeneinander angeordnete Klärbecken einer Abwasser-Aufbereitung sind zu sehen. In den beiden vorderen schäumt das Abwasser. Ganz weit entfernt im Hintergrund sind Bäume, Hochhäuser und Baukräne einer Stadt zu erkennen.
In Klärbecken werden die festen und flüssigen Stoffe aus Fäkalien getrennt und gereinigt: mechanisch, biochemisch und thermischBild: picture-alliance/Keystone/C. Beutler

Für Andreas Lengemann, BWB-Verfahrenstechniker, waren allerdings die Verkrustungen an den Abwasserrohren ein ständiges Ärgernis: auch übel riechende Phosphorrückstände aus menschlichem Urinstein. "Die Rohre mussten häufig aufgefräst und erneuert werden", so der Ingenieur. Zusammen mit seinen Kollegen begann Lengemann, ein neues Verfahren zu entwickeln, um Phosphorverbindungen aus dem Wasserkreislauf zu entfernen.

Phosphor in jeder Zelle aller Organismen

Dass soviel Phosphor ins Wasser gelangt, ist kein Wunder: Alle Lebewesen brauchen Phosphor, der Mensch rund 700 Milligramm pro Tag. Der Mineralstoff muss mit der Nahrung aufgenommen werden. Als Bestandteil von ATP liefert er Energie, in Verbindung mit Kalzium garantiert er feste Knochen und Zähne, und er ist ein wichtiger Baustein von Zellwänden, DNA, Proteinen und Enzymen. Zusammen mit anderen Nährstoffen wird Phosphor aber auch immer wieder ausgeschieden.

"Fast fünf Jahre haben wir geforscht, bis es in einem chemisch-physikalischen Vorgang mit Mikroorganismen gelang, die gebundenen Phosphorkristalle aus dem Wasserkreislauf zu lösen." 

Die Investitionen hatten, so Lengemann, einen bahnbrechenden Nebeneffekt: "Das kristalline Gemisch aus Magnesium-Ammonium-Phosphat (MAP) eignete sich prima als Dünger." Da Phosphor-Moleküle immer an andere Mineralien wie Kalzium oder Magnesium gebunden sind, spricht man von Phosphaten. 400 Tonnen Phosphate jährlich vermarkten die BWB jetzt unter dem patentierten Namen Berliner Pflanze.

In Beuteln und Dosen abgepackter Dünger der Marke "Berliner Pflanze" und Prospekte liegen neben einer Holzkugel mit der Aufschrift GreenTec Awards. Das Produkt erhielt die Auszeichnung 2015
Bereichert Schrebergärten und wurde ausgezeichnet mit dem renommierten "Green Tec Award" : hochwertiger Dünger aus der Kläranlage Bild: GreenTec Award/ 2015

"Leider werden durch das Verfahren nur zehn Prozent der Phosphorrückstände gerettet", fügt Stephan Natz, Sprecher der Berliner Wasserbetriebe hinzu. Weitere Lösungen sind gefragt. 

Nobelpreis verdächtig: Lösungen, den Phosphorkreislauf zu schließen

Die Zeit drängt, seit die deutsche Bundesregierung 2017 den Wert des Phosphors entdeckte und eine neueKlärschlammverordnung erließ. Ab 2029 sind Städte ab 100.000 Einwohnern zur Rückgewinnung von Phosphor aus Klärschlamm verpflichtet. Städten ab 50.000 Einwohnern gewährt der Gesetzgeber drei Jahre länger. 

Sehen Sie mehr: Der Prozess des Phosphorrecyclings

Überall in der Welt tüfteln Wissenschaftler derzeit an Lösungen für nachhaltige Verfahren des Phosphormanagements. "Die Zeit ist reif", freut sich Bastian Etter über den innovativen Wettstreit. 

Infografik unterbrochener Phosphorkreislauf

Bisher werden die natürlichen Phosphatvorkommen aus Gestein unvermindert gefördert: in Marokko und der von Marokko beanspruchten Westsahara, China, Jordanien und Südafrika. Der Abbau von Phosphor führt oft zu Umwelt-und Gesundheitsproblemen. Das phosporreiche Gestein enthält oft auch Schwermetalle wie Cadmium oder radioaktives Uran. Uneins sind sich Forscher weltweit darüber, wann die Ressourcen erschöpft sein werden. 

Mehr Phosphor zu recyceln hätte also viele Vorteile. Besonders in der Landwirtschaft, wo heute laut Umweltbundesamt (UBA) 85 Prozent des importierten Phosphors verwendet wird. Pflanzen brauchen Phosphor, um das Wurzelwachstum und die Ausbildung von Blättern und Blüten anzuregen. 

Für das Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) ist diePhosphorversorgung weltweitMaßstab für die globale Ernährungssicherheit.  

Lesen Sie mehr: Urban Mining: Deutschland recycelt sich reich

Früher war alles ganz einfach: Mist statt Mineraldünger

Früher brachten Bauern die stinkende Gülle aus den Ställen als natürlichen Dünger auf den Feldern aus, ehe Justus von Liebig die wachstumsfördernde Wirkung von Stickstoff, Kalium und Phosphor nachweisen konnte. Seine Erfindung des mineralischen "Kunstdüngers" macht sich die industrielle Landwirtschaft zunutze.

Heutzutage wird zuviel gedüngt, um die Produktivität immer weiter zu erhöhen. Mit fatalen Folgen: Immer mehr Nährstoffe - Phosphate, aber auch auch Stickstoffverbindungen (Nitrate) - gelangen von den Feldern in die Gewässer. Wissenschaftler sprechen von Eutrophierung. Mehr als die Hälfte der in Deutschland untersuchten Flüsse sind wegen zu hoher Phosphorkonzentrationen in schlechtem Zustand.

In einem Tagebau in Togo wird Phosphorgestein abgebaut. Von einem Kran fällt Sand auf ein Förderband. Ein Arbeiter beobachtet den Vorgang. Die Erde über dem Tagebau ist rot-braun.
​Beim Phosphatabbau wie hier in Togo werden Erdschichten ausgehoben, um den Mineralstoff zu fördern.Bild: Getty Images

Die Klärschlammwende

Das größte Potential hat Phosphor als strategische Ressource. Aus Sicht des UBA können durch Phosphor-Recycling die Abhängigkeit von Importen reduziert und Depots mit dem wichtigen Sekundärrohstoff angelegt werden. Von dort kann Phosphor dann wieder in den Wirtschaftskreislauf eingebracht werden.

Auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft

Noch können herkömmliche Kläranlagen die Spurenstoffe nicht isolieren, doch das könnte sich in Zukunft ändern. Das Fraunhofer-Institut entwickelt ein Verfahren, bei demPhosphor durch Hochleistungsultraschall aus Klärschlamm isoliert wird.

Vielleicht bringt auch das TetraPhos-Patent von Remondis den Durchbruch für die effiziente Phosphorraufbereitung. "Wir trocknen und verbrennen den Klärschlamm und setzen der phosphorreichen Asche Phosphorsäure zu", sagt Remondis-Sprecher Michael Schneider hörbar stolz: "Bei diesem Prinzip isolieren wir 90 Prozent des Phosphors."

Die Pilotanlage des Recycling-Unternehmens wurde bereits in Hamburg getestet. Remondis und HamburgWasser haben mit HPhor eigens ein Joint Venture gegründet und die Idee patentieren lassen.