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"PKK kann man militärisch nicht besiegen"

Hülya Topcu16. März 2016

Die türkische Regierung habe zurzeit kein Interesse daran, die Kurdenfrage durch Verhandlungen zu lösen: Das stärke die radikalen Kräfte um die PKK, warnt Türkei-Expertin Magdalena Kirchner im DW-Interview.

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Zerstörte Gebäude in der Kurden-Hochburg Diyarbakir
Zerstörte Gebäude in der Kurden-Hochburg DiyarbakirBild: DW/D. Cupolo

DW: Seitdem das türkische Militär im Südosten der Türkei Militäroperationen durchführt, hat sich die Lage zugespitzt: Bomben fallen auf Kurdengebieten und explodieren in Großstädten. Tragen die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) und ihr Ableger "Freiheitsfalken Kurdistans" (TAK) den Krieg in die Städte hinein?

Magdalena Kirchner: Nun hat sich TAK zu dem jüngsten Anschlag in Ankara bekannt. Das deutet darauf hin, dass es zu einem Strategiewechsel gekommen ist. Der ist schon jetzt im Osten zu sehen: Früher stellte man Hinterhalte oder griff die isolierten Militärposten an. Nun hat die PKK ihre Fähigkeiten im Häuserkampf stark verbessert und setzt in umkämpften Orten neben Sprengfallen auch Scharfschützen gegen das Militär ein. Dadurch sind die Städte im Osten stärker in Mitleidenschaft gezogen als in früheren Auseinandersetzungen.

Kann man die PKK militärisch überhaupt besiegen?

In den vergangenen Jahrzehnten kam man einem militärischen Sieg immer dann näher, wenn es Kooperationen mit den Nachbarstaaten gab. Bei durchlässigen Grenzen bot das Kandil-Gebirge im Irak der PKK seit vielen Jahren ein solides Rückzugsgebiet. Viele Beobachter machen deshalb auch die schlechten Beziehungen zu den Nachbarstaaten für ein Wiedererstarken der Organisation verantwortlich.

Eine Voraussetzung für einen militärischen Sieg wäre es zudem, die PKK von ihrer sozialen Basis zu trennen, also der Organisation die Rekrutierungsmöglichkeiten nehmen, indem man die Menschen vor Ort dazu bringt, sich von der PKK abzuwenden. Wenn das Militär die Zivilbevölkerung aber eher als Sicherheitsrisiko denn als schützenswerte Opfer ansieht, bewirkt es das Gegenteil. Mit einer Politik der verbrannten Erde ist die türkische Armee schon einmal in den 1990er Jahren gescheitert.

Kurdische Kämpfer in Diyarbakir (Foto: Getty Images/AFP/I. Akengin)
Kurdische Kämpfer in DiyarbakirBild: Getty Images/AFP/I. Akengin

Militärisch, aber auch politisch, kann die PKK nur besiegt werden - im Sinne einer Entwaffnung und Demobilisierung -, wenn die Zentralregierung eine aktive und authentische Teilhabe der kurdischen Bevölkerung realisiert und die eigene Schutzverantwortung für alle Bürger anerkennt.

Warum tut sich die Türkei so schwer mit einer Lösung der Kurdenfrage?

Grundsätzlich würde das bedeuten, die Türkei als multiethnischen Staat anzuerkennen. Damit tun sich viele türkische Nationalisten sehr schwer. 85 Jahre lang waren die Buchstaben des kurdischen Alphabets verboten. Hinzu kommt seit 1984 der Bürgerkrieg, dessen Folgen für die kurdische Bevölkerung bisher kaum aufgeklärt, geschweige denn aufgearbeitet wurden.

Unter Präsident Recep Tayyip Erdogan und seiner Partei AKP hatte sich einiges getan, aber spätestens seit Mitte letzten Jahres scheint es auf Regierungsseite kein Interesse mehr an einer Lösung zu geben. Man trennt nicht mehr zwischen der sicherheitspolitischen Frage, wie mit der PKK umzugehen ist, und der gesellschaftspolitischen Frage nach kurdischen Autonomierechten. Durch die Militarisierung der Kurdenfrage wurde die HDP (pro-kurdische Partei im türkischen Parlament, Anm. d. R.) fast vollständig marginalisiert.

Welche Folgen hat die Entwicklung in Syrien für den Kurdenkonflikt in der Türkei?

Seit 2012 sieht die Türkei das Erstarken kurdisch-nationalistischer Kräfte außerhalb der syrischen Opposition als Sicherheitsproblem an. Wirklich eskalierend gewirkt hat der syrische Bürgerkrieg aber erst im Herbst 2014, als die türkische Regierung der drohenden Einnahme der syrischen Grenzstadt Kobani, wo überwiegend Kurden lebten, durch den "Islamischen Staat" (IS) nahezu tatenlos zusah. Damals kam es in mehreren türkischen Städten zu Protesten und heftigen Zusammenstößen mit vielen Toten zwischen kurdischen Demonstranten und türkischen Sicherheitskräften.

Die Partei der syrischen Kurden PYD wird von der türkischen Regierung als Terrororganisation eingestuft. Zu den Syrien-Verhandlungen in Genf wurde sie nicht eingeladen. Welche Rolle spielt die PYD in Syrien und wer unterstützt sie?

Die PYD ist nicht Teil der Syrischen Nationalen Koalition und auch nicht des Hohen Verhandlungsrates. Es ist also nicht so einfach, sie in die Opposition zu integrieren, auch weil sie bis heute keine eindeutige Position gegenüber der Regierung von Baschar al-Assad hat. Vorstöße der PYD gegenüber den Rebellen im Norden Aleppos mit Hilfe der russischen Luftwaffe haben in den letzten Wochen das Misstrauen zwischen beiden Seiten noch weiter erhöht. Gleichzeitig kontrolliert die PYD aber einen großen Teil des syrisch-türkischen Grenzgebietes und hat gerade mit Russland einen starken Verbündeten - militärisch wie politisch. Doch auch die USA wandten sich nicht offen gegen die PYD, sehen sie auch nicht als terroristische Organisation, schließlich stellen ihre Kämpfer drei Viertel der sogenannten "Syrian Defence Forces", die auf syrischem Territorium gegen den IS kämpfen. Mit dem Ziel, die PYD unbedingt zu isolieren, steht die Türkei also relativ alleine da.

Magdalena Kirchner ist Expertin für Sicherheitspolitik, Türkei und den Nahen Osten bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

Das Interview führte Hülya Topcu.