"Polarstern" kommt zu früh am Nordpol an
19. August 2020Das Forschungsschiff "Polarstern" ist auf seiner Arktis-Expedition "Mosaic" am nördlichsten Punkt der Erde angekommen. "Es war ein unglaublich schneller Ritt", sagte Expeditionsleiter Markus Rex. "Wir hatten einen breiten Bereich mit geringer Eiskonzentration und dünnem Eis." Normalerweise sei eine Fahrt von Nordgrönland zum Nordpol nicht empfehlenswert, da das Seegebiet dort mit teilweise mehrjährigem Meereis so dicht bedeckt sei.
Die "Polarstern hatte jedoch laut Rex bis 87 Grad nördlicher Breite größtenteils freie Fahrt, "oft mit Wasserflächen bis zum Horizont". "Es ist erschreckend zu sehen, wie dünn das Meereis ist und wie schnell es schmilzt", sagte Rex. "Es muss dringend etwas passieren. Die Arktis kann nicht lange warten." Das Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut (AWI) hatte im Juli mitgeteilt, dass die arktische Meereisausdehnung so gering ist, wie sie seit Beginn der Satellitenmessungen 1979 für den Monat Juli noch nie beobachtet wurde.
Im Jahresverlauf erreicht das Eis der Arktis im März seine größte und im September seine geringste Ausdehnung. Im September 2012 war es mit 3,4 Millionen Quadratkilometern Fläche so klein wie nie zuvor, die zweitkleinste Ausdehnung erreichte es 2019. Ob die Negativ-Rekorde in diesem Jahr noch einmal getoppt werden, werde sich im September zeigen, sagte Forschungsleiter Rex.
Eis geht immer weiter zurück
Die Polarregion erwärmt sich infolge des menschengemachten Klimawandels etwa doppelt so schnell wie andere Breiten: In diesem Juli vermeldete der Ort Longearbyen auf der norwegischen Inselgruppe Spitzbergen, die jenseits des Polarkreises liegt, einen neuen Rekord von 21,7 Grad Celsius. Zuvor hatte bereits das nordsibirische Werchojansk, das als einer der kältesten bewohnten Orte der Welt gilt, eine Temperatur von 38 Grad Celsius erreicht.
Verheerende Brände nördlich des Polarkreises dürften die Entwicklung weiter beschleunigt haben. Im April sorgte eine von der Universität Hamburg koordinierte internationale Studie für Aufsehen, der zufolge noch vor dem Jahr 2050 mit eisfreien Sommern am Nordpol zu rechnen ist.
Suche nach neuer Scholle
Das "Mosaic"-Forschungsprojekt des AWI soll Erkenntnisse über das Verhalten der Eismassen im Nordpolarmeer sammeln. Das Forschungsschiff "Polarstern" war vor elf Monaten in die Region aufgebrochen. Es hatte sichan eine große Eisscholle festfrieren lassen und war bis Ende Juli mit der Scholle mitgedriftet. Vom Nordpol aus fährt die "Polarstern" nun Richtung Sibirien, um dort eine neue Eisscholle zu suchen und den im Herbst einsetzenden Gefrierprozess zu beobachten. Danach hat das Forscherteam einen ganzen Jahreszyklus des Eises in der Arktis dokumentiert.
ehl/qu (dpa, ap, AWI)