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Politik

Polen: Ein Land voller Impfskeptiker

30. Dezember 2020

Impfskepsis ist in Polen weit verbreitet. Viele Menschen im Land wollen sich nicht gegen Corona impfen lassen. Den traditionellen Impfgegnern schließen sich inzwischen auch Prominente und Politiker an.

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Impfung gegen das Coronavirus
In Polen herrscht großes Misstrauen gegen die Anti-Covid-Impfkampagne Bild: Frank Hoermann/SvenSimon/picture alliance

Als die polnische Star-Journalistin Hanna Lis kürzlich einen Tweet absetzte, liefen die Social-Media-Kanäle im Land heiß. Lis hatte über einen anaphylaktischen Schock berichtet, den sie einmal erlebt hatte - diese allergische Reaktion sei das "schlimmste Trauma" ihres Lebens gewesen. Obwohl sie in ihrem Tweet nicht berichtete, was genau diesen Schock ausgelöst hatte, führte ihre Mitteilung umgehend zu einer erregten Debatte über potentielle Nebenwirkungen der neuen Corona-Impfstoffe. Besonders häufig führten Teilnehmer dabei Berichte aus Großbritannien und den USA über Impflinge mit anaphylaktischen Reaktionen an.

Lis ist keine erklärte Impfgegnerin, sie fordert bloß mehr Aufklärung. Doch die Episode um ihren Tweet war bezeichnend: Viele Menschen in Polen sind in der beginnenden Corona-Impfkampagne verunsichert. Sie fühlen sich zu wenig aufgeklärt. Dabei ist Impfskepsis in Polen ohnhin so weit verbreitet wie in wenigen anderen europäischen Ländern.

Ministerpräsident Mateusz Morawiecki
Ministerpräsident Mateusz Morawiecki informiert fast täglich über Corona-Lage in PolenBild: Marcin Obara/PAP/picture alliance

Doch die Politik der polnischen Regierung trägt derzeit kaum dazu bei, die Verunsicherung zu beenden. Fast täglich informiert Polens Premier Mateusz Morawiecki in Pressekonferenzen über die eintreffenden Lieferungen von Corona-Impfstoff. Er appelliert an seine Landsleute, sich impfen zu lassen. Und er spricht enthusiastisch über eine baldige "Rückkehr zur Normalität". Hanna Lis kommentierte dazu auf Twitter: "Diese Propaganda, dass die Impfungen ein Erfolg sind, hat eine entgegengesetzte Wirkung".

Aberglaube und Zaubersprüche

Von einer "aufgeblasenen Erfolgspropaganda" spricht auch der Soziologe und Gesundheitsexperte Tomasz Sobierajski von der Universität Warschau. Er selbst ist ebenfalls kein Impfgegner, weigert sich aber, Skeptiker einfach als "Verrückte" abzustempeln. Am Misstrauen gegenüber Impfungen sei die Regierung schuld, die keine Informationskampagne durchführe. "Anders als in westlichen Ländern beruht unsere Einstellung zu den Impfungen auf Aberglauben und Zaubersprüchen", sagte er der Tageszeitung "Gazeta Wyborcza".

Beispielsweise versuche kaum jemand, den Menschen zu erklären, dass der Corona-Impfstoff, anders als viele fürchteten, die menschlichen Gene nicht beeinflusse, so Sobierajski. Dass sich laut Umfragen nur vier bis fünf von zehn Befragten impfen lassen wollen, wundert den Soziologen nicht - die Skepsis gegenüber Impfungen sei in Polen ja nichts Neues. Er führt an, dass sich im Land nur knapp vier Prozent der Menschen gegen Grippe impfen lassen - gegenüber einer großen Mehrheit in Westeuropa. "Im Endeffekt werden wir noch lange in der Verzweiflung der Pandemie stecken", warnt Sobierajski.

Das Misstrauen und die Verschwörungstheorien

Den Skeptikern schließen sich inzwischen nicht nur immer mehr Prominente an, sondern auch Politiker des Regierungslagers. "Ich werde mich nicht impfen lassen", sagte kürzlich Janusz Kowalski, Staatssekretär im Ministerium für Staatsvermögen in einem Interview mit dem Portal Wirtualna Polska. "Es ist eine Frage der Freiheit und der individuellen Entscheidung."

Coronavirus | Impfstoff
In Polen wollen sich 47 Prozent impfen lassen, 44 Prozent sind dagegenBild: Dado Ruvic/REUTERS

Als Frage der Freiheit gilt die Impfung auch den polnischen Impfgegnern von der Vereinigung STOP NOP (Stoppt Unerwünschte Impfreaktionen), die in den letzten Monaten nicht nur das Impfen, sondern sogar die Existenz der Covid-Pandemie selbst infrage stellen. Zu ihrem Forum ist der private, spendenfinanzierte Fernsehsender NTV in Breslau geworden. Sein Gründer und Chef Janusz Zagorski will "Lügen um COVID-19 enthüllen", sagt er der DW. Und er erklärt seine Theorie: "Die Pandemie ist ein Instrument, mit dem die Mächtigen dieser Welt eine Kontrolle über unsere Gehirne anstreben." Bei der Impfung würden Mikrochips unter die Haut implantiert, die alle Informationen über den Menschen vermitteln könnten. "Man wird einen Menschen scannen können wie heute eine Ware im Supermarkt", so der studierte Politologe Zagorski. Er ist stolz, dass die Zahl der Abonnenten des Senders in der Corona-Zeit um ein Drittel auf über 300.000 gestiegen ist.

Befürworter sind eher links, Gegner eher rechts

Zwar bleiben die Anhänger solcher Verschwörungstheorien in Polen eine Minderheit. Doch die verbreitete generelle Impfskepsis kommt in aktuellen Umfragen zum Ausdruck. Laut einer Umfrage des Instituts IBRIS für die Zeitung Rzeczpospolita, die kurz vor Weihnachten durchgeführt wurde, möchten sich 47 Prozent der Befragten impfen lassen, während 44 Prozent es nicht wollen (9 Prozent: weiß nicht). Die meisten Ja-Antworten gab es in der Gruppe über 70 (67 Prozent) und die wenigsten in den Altersgruppen von 18 bis 29 (29 Prozent) und von 30 bis 39 (28 Prozent). Es gibt mehr Männer, die sich impfen lassen wollen, als Frauen (59 zu 35 Prozent).

Mehr Impf-Befürworter gibt es unter den Anhängern der Linken (82 Prozent) und der liberalen Bürgerplattform (65 Prozent). In der Wählerschaft der rechtsnationalen Regierungspartei PiS sind es 56 Prozent, bei der radikal rechten Konfederacja fünf Prozent.

Laut IBRIS-Chef Marcin Duma ist es schwer, gegen die Skepsis anzukämpfen. Dem häufigsten Argument, dass der Impfstoff im Eiltempo entwickelt und zugelassen wurde, sei nicht viel entgegenzusetzen. "Tatsächlich gibt es nichts, was erklärt, warum es in dieser kurzen Zeit gelungen ist", sagt Duma. Viele wollten "abwarten, bis die anderen geimpft sind", auch dagegen könne man nur schwer argumentieren, so Duma.

Moralische Bedenken der Katholiken

Im katholischen Polen spielt bei den Kritikern von Impfungen auch ein Argument eine Rolle, das mit der Verwendung von Zellen abgetriebener Föten bei der Herstellung bestimmter Impfstoffe­ zu tun hat. Das war zwar nur wenige Male in den 1960er Jahren der Fall, seitdem werden die damals gewonnen Zellen künstlich weitergezüchtet. Auch waren die Abtreibungen legal und hatten nichts mit der Entwicklung von Impfstoffen zu tun. Dennoch behaupten Impfgegner pauschal, für die Produktion von Impfstoffen würden abgetriebene Föten genutzt.

Der Vatikan fordert die Pharmaindustrie zwar einerseits zur Herstellung ausschließlich "ethischer Impfstoffe" auf, hält es aber für akzeptabel, wenn Impfstoffe, die auf Föten-Zelllinien basieren, verwendet werden, solange keine anderen verfügbar sind. Angesichts der Corona-Pandemie erneuerte der Vatikan diesen Standpunkt kürzlich noch einmal.

Polen Warschau | Coronavirus
Polen ist bis 17. Januar 2021 in einem harten LockdownBild: Wojtek Radwanski/AFP/Getty Images

Dem schloss sich inzwischen auch die polnische Bischofskonferenz an. In einer Erklärung der bioethischen Experten des polnischen Episkopats heißt es, die Verwendung von Impfstoffen, die auf Föten-Zelllinien basierten, sei nicht mit der Befürwortung der Abtreibung gleichzusetzen. Daher dürfe jeder Mensch, auch ein Katholik, derartige Impfungen empfangen, wenn keine anderen Impfstoffe zugänglich seien.

Polen im harten Lockdown

In Polen starteten die Impfungen, ähnlich wie in vielen europäischen Ländern, am 27. Dezember. In der Phase "0" werden nun Ärzte und das medizinische Personal geimpft. Doch auch hier gibt es Skeptiker. Deshalb appelliert die Regierung in einem Werbespot an die Mediziner, sich anzumelden. Bislang haben das 400.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens getan.

In Polen wurden bisher etwa 6,8 Mio Personen getestet, knapp ein Fünftel der Bevölkerung. Etwa 1,3 Millionen Menschen haben sich bislang mit Sars-CoV-2 angesteckt, mehr als 27.000 Menschen starben durch das oder mit dem Corona-Virus. Am 29.12. wurden über 7.900 Neuinfektionen gemeldet, was einen deutlichen Rückgang gegenüber November bedeutet, als die Zahl mehrmals 30.000 tägliche Infektionen überschritt. Premierminister Mateusz Morawiecki erwartet jedoch, dass die Zahlen wegen der Familientreffen in der Weihnachtszeit bald wieder steigen werden.

Zwischen dem 28.12. und dem 17.01. herrscht in Polen ein harter Lockdown. Der Handel bleibt bis auf die Lebensmittelläden und Drogerien geschlossen. Auch die meisten Sporteinrichtungen, darunter Skilifte, sollen geschlossen bleiben. In der Silvesternacht soll man zwischen 19 Uhr abends und 6 Uhr morgens nicht ausgehen. Allerdings ist das nur ein Appell der Regierung - keine Verordnung.

Porträt einer Frau mit kurzen blonden Haaren und blauen Augen
Monika Sieradzka DW-Korrespondentin in Warschau