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Politik

Polen: Eine Million Euro Strafe pro Tag

27. Oktober 2021

In der neuesten Wendung des Streites um Rechtsstaatlichkeit zwischen der EU und Polen hat der Europäische Gerichtshof ein Zwangsgeld gegen Polen verhängt: eine Million Euro pro Tag. Wird das Polen zum Einlenken bringen?

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Polen | Urteil Verfassungsgericht | Demonstration in Gdansk
Bild: Mateusz Slodkowski/AFP/Getty Images

Um "schweren und nicht wiedergutzumachen Schaden von der Rechtsordnung der Europäischen Union abzuwenden", hat der Europäische Gerichtshof ein tägliches Zwangsgeld von einer Million Euro gegen Polen verhängt. Damit will er erzwingen, dass Polen Entscheidungen des EuGH befolgt, die die Disziplinarkammer des polnischen obersten Gerichtshofs betreffen.

Zankapfel Disziplinarkammer

Bereits seit einigen Jahren sorgt die polnische Disziplinarkammer für Verwerfungen zwischen der EU und der polnischen Regierung. Die Disziplinarkammer wurde 2018 im Rahmen der umstrittenen Justizreformen der PiS-Partei eingeführt. Sie dient der Aufsicht der Richter und kann diese auch suspendieren. Diesen Sommer hatte der Europäische Gerichtshof bereits entschieden, dass die Disziplinarkammer nicht den notwendigen Kriterien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit entspricht. Die polnische Regierung hatte im Anschluss Änderungen an der Disziplinarkammer angekündigt.

Polen | Oberster Gerichtshof in Warschau
Polens Oberster Gerichtshof in WarschauBild: Czarek Sokolowski/AP Photo/picture alliance

Doch damit ist die Sache nicht erledigt. Die Millionen-Strafe ergeht in einem weiteren Verfahren. Im April 2021 ist die Kommission noch einmal gegen die Disziplinarkammer vor den Gerichtshof gezogen, um die richterliche Unabhängigkeit zu schützen. Diesmal geht es unter anderem um Gesetze, die es der Disziplinarkammer erlauben, Entscheidungen über die Aufhebung der richterlichen Immunität oder über die Pensionierung von Richtern zu treffen. Im Juli hatte der Europäische Gerichtshof vorläufig entschieden, dass diese Tätigkeiten sofort einzustellen seien. Da Polen dieser Anweisung nicht Folge geleistet habe, wurde nun das tägliche Zwangsgeld verhangen.

Nicht im luftleeren Raum

Diese Strafe verhallt nicht im luftleeren Raum, sondern segelt mitten in einen erbitterten Streit zwischen Polen und die EU um die Rechtsstaatlichkeit. Auf dem EU-Gipfel vergangene Woche erreichte der Streit seinen vorläufigen Höhepunkt. Der Auslöser war ein Urteil des polnischen Verfassungsgerichts, nach dem EU-Recht mit der polnischen Verfassung unvereinbar sein könne. 

Belgien EU Gipfel Treffen
Die EU-Staats- und Regierungschefs sind uneins, wie man mit Polen umgehen soll Bild: Olivier Matthys/AP Photo/picture alliance

Die EU-Staats- und Regierungschefs zeigten sich dabei uneins, wie mit Polen umzugehen sei. Die Benelux-Staaten pochten auf ein härteres Vorgehen gegen Polen, während etwa Deutschland auf Dialog setzte. Eine Lösung gab es nicht. Bereits auf dem Gipfel betonte der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki, dass er sich nicht erpressen lasse. Am Wochenende legte er in einem Interview mit der Financial Times nach und sprach davon, dass die EU Forderungen mit der "Pistole am Kopf" stelle und die Kommission "den dritten Weltkrieg starte", wenn es versprochene Gelder zurückhalte.

Wird es Polen beeindrucken?

Vor diesem Hintergrund erscheint es fraglich, ob Polen aus eigenen Stücken die Strafen zahlen wird. Der polnische Vize-Justizminister Sebastian Kaleta hat die EuGH-Entscheidung auf Twitter jedenfalls als "Erpressung" bezeichnet. 
Der Fraktionschef der nationalkonservativen Regierungspartei PiS, Ryszard Terlecki, sagte laut dpa, bislang habe man noch nichts gezahlt. Bereits im September hatte der Europäische Gerichtshof ein Strafgeld von 500.000 Euro gegen Polen verhängt, da der Abbau in der Turow-Mine nicht eingestellt wurde.

Wer sitzt am längeren Hebel?

Finanziell sitzt die EU am längeren Hebel. Unter dem Stichwort "Offsetting" (zu Deutsch: Aufrechnung) versteht man, laut einem Kommissionssprecher, grundsätzlich die Möglichkeit, eine fällige Sanktion gegen Auszahlungen an einen Mitgliedstaat zu verrechnen.

In Brüssel werden allerdings schon Rechnungen aufgestellt, wie schmerzhaft die Strafen für Polen wirklich sind. Der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund rechnet auf Twitter vor, dass die gegen Polen verhängten Strafen lediglich 3,07 Prozent der Summe ausmachten, die Polen an Haushaltsmitteln zustünde. 

Doch die EU hat noch ein weiteres Druckmittel: die Corona-Wiederaufbauhilfen, vorgesehen sind allein als Zuschüsse knapp 24 Milliarden Euro. Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen will, dass das Geld erst fließt, wenn der Streit um die Disziplinarkammer beigelegt ist und die  Rechtsstaatlichkeit geachtet wird - eine Kriegserklärung in den Augen des polnischen Premierministers.

DW Mitarbeiterin Lucia Schulten
Lucia Schulten Korrespondentin in Brüssel