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PolitikPolen

Polen in Deutschland: Zur Wahl in Botschaft und Konsulate

Anna Widzyk | Katarzyna Domagala-Pereira
12. Oktober 2023

Ungefähr zwei Millionen Polen leben in Deutschland. Viele von ihnen wollen diesmal an der Parlamentswahl teilnehmen. Die Konsulate stellen sich auf Rekordzahlen ein. Aber werden die Stimmen auch gezählt?

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Menschen verteilen Flugblätter vor der St. Johannes-Basilika in Berlin. Passanten, die die Kirche verlassen, nehmen die Flugblätter entgegen
Wahlkampf der polnischen Gemeinde in BerlinBild: Anna Widzyk/DW

"Natürlich werden wir wählen gehen. So eine wichtige Wahl hat es vielleicht noch nie gegeben", sagt Elzbieta, die gerade auf dem Wochenmarkt in Berlin-Charlottenburg einkauft. Obwohl sie seit 40 Jahren in Deutschland lebt, interessiert sie sich sehr für die Geschehnisse in ihrem Heimatland. "Ich habe Familie und Freunde in Polen. Ich möchte, dass es ihnen gut geht. Und was jetzt dort passiert, passt mir einfach nicht." Die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die seit acht Jahren in Polen regiert, "treibe das Land in den Ruin".

Grazyna, die einen Stand mit polnischen Wurstwaren betreibt, nickt zustimmend: "Klar, ich werde wählen. Das Land muss gerettet werden", erklärt sie. Auch sie lebt seit langem in Berlin, will aber über das Schicksal Polens mitbestimmen und verfolgt aufmerksam den Wahlkampf.

Ein Verkaufswagen mit Wurst in der Auslage. Hinter der Theke steht die Verkäuferin Grazyna, vor der Auslage die Kundin Jadwiga. Beide lächeln in die Kamera
Grazyna (im Bild hinten) verkauft polnische Wurstwaren auf dem Wochenmarkt in Berlin-Charlottenburg. Sie will ihre Stimme in der polnischen Botschaft abgebenBild: Anna Widzyk/DW

Wie viele Auslandspolen bangen die beiden Berlinerinnen jedoch, ob ihre Stimmen bei der Parlamentswahl am 15. Oktober überhaupt zählen werden. Laut Wahlordnung müssen abgegebene Stimmen binnen 24 Stunden nach Schließung der Wahllokale ausgezählt worden sein, andernfalls werden die Stimmen des ganzen Wahllokals verfallen. Eine Anfang 2023 verabschiedete Novelle zur Reform des Wahlgesetzes sieht eine Änderung des Modus der Stimmauszählung vor, der die Prozedur verlängert: Jedes Mitglied der Bezirkswahlkommission muss jeden einzelnen Stimmzettel bei der Auszählung in Augenschein nehmen. Diese Regelung soll der Transparenz dienen, verlängert aber auch den Auszählungsprozess.

Diese Neuerung droht vor allem für diejenigen Wahlkommissionen zum Problem zu werden, die eine besonders große Anzahl von Stimmen auszuzählen haben. Zusätzlich verschärft wird dieses Problem durch das geplante Referendum, das parallel zu den Parlamentswahlen durchgeführt wird, und genauso in 24 Stunden ausgezählt werden muss.

"Die Zeit wird knapp sein"

Ludwik Wasiak, der Vorsitzende einer Bezirkswahlkommission in Berlin, schätzt im Gespräch mit der DW, dass die Änderungen des Wahlgesetzes in Bezug auf die Stimmauszählung ein "Schuss ins eigene Knie" waren. "Wir haben gewisse Befürchtungen. Die Zeit wird sicherlich knapp sein", sagt er. "Aber wir werden daran arbeiten, dass alles gemäß den Richtlinien abläuft."

Wasiak ist auch Vorsitzender der Nationalen Partei (Stronnictwo Narodowe). Am Sonntag (08.10.2023), eine Woche vor der Wahl, verteilt er vor dem Sitz der Polnischen Katholischen Mission und der St. Johannes-Basilika in Berlin Flugblätter und Broschüren der Kandidaten der Vereinigten Rechten und der ultrarechten Partei Konfederacja. Er ermutigt die Menschen auch, sich an dem Referendum zu beteiligen, aber viele, wie er einräumt, gehen damit zurückhaltend um. "Die Polen mobilisieren sich, wenn auch vielleicht nicht so sehr, wie wir es uns wünschen würden", sagt er. "Jeder scheint zu wissen, dass es eine sehr wichtige Wahl ist, vielleicht eine der wichtigsten in unserer jüngsten Geschichte."

Zwei Männer und eine Frau stehen vor der St. Johannes-Basilika in Berlin und halten Flugblätter und Zeitungen in den Händen. Sie sind Unterstützer der polnischen Regierungspartei PiS und der rechten Partei Konfederacja und verteilen am 08.10.2023 Flugblätter.
Unterstützer der polnischen Regierungspartei PiS und der rechten Partei Konfederacja verteilen am 08.10.2023 Flugblätter vor der polnischen Kirche in Berlin Bild: Anna Widzyk/DW

Mobilisiert ist auch die PiS-Wählerin Janina, die plant, am Sonntag unmittelbar nach der Messe ins Wahllokal zu gehen. Im Gespräch mit der DW macht sie keinen Hehl aus ihrer Abneigung gegen den Vorsitzenden der größten Oppositionspartei Bürgerplattform (PO), Donald Tusk. "Wenn er gewinnt, wird Polen verkauft. Wir müssen das Land retten", sagt sie. Die Seniorin will sowohl bei der Wahl als auch beim Referendum ihre Stimme abgeben. "Ich werde viermal mit 'Nein' stimmen", versichert sie.

Sie meint damit die vier Fragen, die auf Betreiben der PiS in dem geplanten Referendum über den EU-Asylkompromiss gestellt werden. "Unterstützen Sie die Aufnahme Tausender illegaler Immigranten aus dem Nahen Osten und Afrika gemäß dem von der europäischen Bürokratie auferlegten Zwangsumsiedlungsmechanismus?", lautet die zentrale Frage. In den anderen wird nach dem Verkauf von Staatsvermögen an ausländische Unternehmen, der Anhebung des Renteneintrittsalters sowie der Beseitigung der Barriere an der polnisch-belarussischen Grenze gefragt.

"Auf Deutschland wird gespuckt"

Diejenigen, die die Opposition unterstützen, wollen das Referendum eher boykottieren. Wie die 53-jährige Monika, eine Kindergärtnerin aus Berlin, die 1992 aus Polen ausgewandert ist, sich aber immer noch sehr mit der alten Heimat verbunden fühlt.

Kopf-an-Kopf-Rennen bei Wahl in Polen erwartet

Sie nimmt an der Parlamentswahl teil, den Stimmzettel für das Referendum will sie aber nicht annehmen, um die Wahlbeteiligung nicht zu erhöhen. Die Fragen des Referendums hält sie für "tendenziös". "Als jemand, der in Deutschland lebt, ärgert es mich sehr, dass im polnischen Wahlkampf auf Deutschland gespuckt wird", gibt Monika zu. Sie ist der Meinung, dass Deutschland das Recht Polens auf Kriegsreparationen anerkennen sollte, auch wenn es "aus unseren Steuergeldern bezahlt werden müsste". Sie ist jedoch empört über die Art und Weise, wie die polnische Regierung ihren Anspruch geltend macht und Druck ausübt. "Hier ist mehr Diplomatie gefragt, nicht Spucke", sagt sie.

Rekord an Anmeldungen

Um an den Wahlen zum polnischen Parlament und am Referendum teilnehmen zu können, mussten sich die Auslandspolen bis Dienstag, den 10. Oktober, in das Wahlregister eintragen. In Deutschland haben das fast 109.000 Polinnen und Polen gemacht - eine Rekordzahl. Die 47 Bezirkswahlkommissionen in der Bundesrepublik warnen vor langen Warteschlangen am Wahlsonntag. Zum Vergleich: Bei den Parlamentswahlen 2019 haben rund 46.000 Menschen in 23 Bezirkswahlkommissionen gewählt.

Wahlhelfer kippen die Stimmzettel aus einer durchsichtigen Wahlurne auf den Boden bei der Auszählung von Stimmen in Lubin, Polen, im Jahr 2019
Stimmen werden ausgezählt bei der polnischen Parlamentswahl im Jahr 2019Bild: Imago-Images/ZUMAPress/P. Twardysko-Wierzbicki

Maciej Kowalski, Koordinator der Bürgerlichen Wahlkontrolle in Deutschland, freut sich über das große Interesse der "polnischen Community". Das sei aber nur ein kleiner Prozentsatz der Polen in Deutschland, sagt er im DW-Interview. Nach verschiedenen Schätzungen leben hierzulande zwischen anderthalb und zwei Millionen Polen und Polinnen. Laut dem Statistischen Bundesamt besitzen ca. 881.000 Einwohner Deutschlands nur die polnische Staatsangehörigkeit. Die Zahl der Menschen mit "polnischem Migrationshintergrund" beziffert man auf mehr als zwei Millionen. Viele von ihnen haben die doppelte Staatsbürgerschaft. "Wenn man diese Zahlen mit den registrierten Wählern und Wählerinnen vergleicht, gibt es noch viel Raum für politische Aktivität", so Kowalski.

Derzeit werden die Stimmen der Auslandspolen (auch Polonia genannt) dem Wahlbezirk in Warschau zugerechnet. "Ein separater Wahlkreis mit eigenen Abgeordneten und Senatoren, wie etwa in Frankreich, könnte die Wahlbeteiligung erhöhen", meint Kowalski. "Die polnische Diaspora hat ihre eigenen Interessen in Polen. Viele denken über eine Rückkehr nach, polnische Angelegenheiten sind ihnen wichtig, sie haben ihre Unternehmen und Immobilien in Polen."

Angst vor dem Polexit

Manche haben mit der Anmeldung bis zum letzten Moment gewartet. Wie Kasia, eine Verkäuferin im polnischen Supermarkt in Essen. Sie weiß noch nicht, wen sie am Sonntag wählen wird, aber sie macht sich Sorgen, dass Polen die Europäische Union verlassen könnte, wenn PiS wieder gewinnt. "Dann wird es vorbei sein", sagt sie. "Es geht aber auch um das Recht der Frauen, selbst zu entscheiden", fügt sie im Hinblick auf das restriktive Abtreibungsgesetz in Polen hinzu.

Die Verkäuferin Agnieszka steht vor der Brottheke im polnischen Supermarkt Polonia in Essen. Hinter ihr sind Kunden mit Einkaufswagen und gestapelte Waren zu sehen
Verkäuferin Agnieszka im polnischen Supermarkt Polonia in EssenBild: K. Domagala-Pereira / DW

Auch für die 21-jährige Dominika, die mit ihrer Mutter gerade polnische Einkäufe macht, steht die Lage der Frauen in Polen im Mittelpunkt. Das Abtreibungsgesetz verbietet einen Schwangerschaftsabbruch, auch wenn medizinische Gründe auf eine irreversible Beeinträchtigung des Fötus oder eine unheilbare, das Leben des Kindes bedrohende Krankheit hinweisen. Deshalb wird Dominika, die seit fünf Jahren in Deutschland lebt, zur Wahl gehen. "Dies wird eine sehr wichtige Wahl sein. Es geht um die Zukunft unserer Familie in Polen und darum, wie sie leben werden", sagt sie.

Die Expertin des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt, Agnieszka Lada-Konefal meint, die Polen in Deutschland interessieren sich für andere Wahlkampfthemen als die Wähler in Polen selbst, wo Themen wie die Inflation oder das Gesundheitswesen von größter Bedeutung sind. "Zentral für die Polonia sind die Fragen der Rechtsstaatlichkeit und der Zugehörigkeit zur Europäischen Union", sagt sie im DW-Interview. "Ein großer Teil der im Ausland lebenden Polen profitiert gerade von der Tatsache, dass es die EU gibt. Die Infragestellung der EU-Regeln und der verantwortungsvollen Mitgliedschaft Polens in der EU kann die Polonia zur Wahl mobilisieren."

Bei der Parlamentswahl 2019 haben die Auslandspolen, auch diejenigen in Deutschland, anders als ihre Landsleute zuhause gestimmt. Im Inland lag die Regierungspartei PiS mit 43,6 Prozent der Stimmen vor der Bürgerplattform mit 27,4 Prozent. Im Ausland hatte die Bürgerplattform mit 38,95 Prozent die Nase vorn. Die PiS kam lediglich auf 24,85 Prozent.

Anna Widzyk
Anna Widzyk Journalistin der Polnisch-Redaktion der Deutschen Welle in Berlin.
Kommentarbild Katarzyna Domagala-Pereira
Katarzyna Domagala-Pereira Journalistin und Publizistin, stellvertretende Leiterin von DW-Polnisch.