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Politik

Polen: Fußball gegen Homophobie

17. Juni 2020

Beim Fußballclub "Käferchen" spielen lesbische und Hetero-Frauen. Die "Familien-Charta", mit der Präsident Duda Kinder vor "LGBT-Ideologie" schützen will, sieht die Vereinsgründerin als Zeichen für wachsende Homophobie.

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Polen Warschau LGBT-Aktivistin Suzi Andreis
Die Warschauer Frauenfußballerin und LGBT-Aktivistin Suzi Andreis stammt aus ItalienBild: Kolektyw/Emilia Oksentowicz

Eigentlich ist die Warschauer LGBT-Aktivistin Suzi Andreis (48) Italienerin. Im Alter von 18 Jahren wollte sie etwas "Fernes, nicht Selbstverständliches" lernen - und entschied sich für ein Studium der Slawistik. 1999 zog Andreis in die polnische Hauptstadt, seitdem ist sie in der polnischen LGBT-Szene aktiv. Sie hat den ersten lesbischen Fußballverein des Landes gegründet. Der Club mit dem kaum aussprechbaren Namen "Chrząszczyki", polnisch "Käferchen", ist offen für alle, nicht nur für lesbische Frauen. "Inklusiver Fußball" nennt Andreis das.

"Wir wollen Grenzen überwinden, denn wir wollen als lesbische Spielerinnen keine Sondergruppe sein", sagt Suzi Andreis im DW-Gespräch. Sie betont: "Frauenfußball zieht in Polen immer viele Fans an, egal ob die Spielerinnen Lesben oder hetero sind".

Der Begriff "LGBT" dagegen sei immer mehr verpönt. Das könne man etwa bei der Finanzierung von Integrationsprojekten sehen: "Solange man das, was man tut, allgemein als Integrationsprojekt beschreibt, kann man mit der Unterstützung der Gemeinde rechnen. Aber wenn man erklärt, dass es um die Integration von LGBT und anderen sozialen Gruppen geht, dann kann man die Unterstützung vergessen".

Suzi Andreis wurde auch schon direkt angegriffen - und das nicht nur verbal: "Ich wurde wegen meines Regenbogenschirms vulgär beschimpft. Als ich von einer LGBT-Demo nach Hause ging, wurde mir eine Fahne aus den Händen gerissen und zerstört", erklärt sie. Doch das seien Einzelfälle. "Generell kann man in Warschau als Lesbe oder Schwuler ganz normal leben. Das sei der große Unterschied zum Leben in der Provinz". Dort könnte sich die Lage von LGBT-Menschen jetzt noch verschlimmern, nachdem Präsident Andrzej Duda am 10. Juni seine homophobe Familien-Charta unterschrieben hat, fürchtet die Fußballerin.

Andrzej Duda polnischer Präsident
Der Konservative Andrzej Duda ist seit August 2015 Präsident der Republik Polen Bild: Reuters/F. Goga

Gefährliche "LGBT-Ideologie"

Die Familien-Charta ist eine Art Manifest, das die Bedeutung der traditionellen Familien hervorhebt. Damit will Polens konservativer Präsident, der mit der Unterstützung der ebenfalls konservativen Regierung um die Wiederwahl am 28. Juni kämpft, bei seinen Anhängern punkten.

Die Charta kündigt "Schutz der Kinder vor der LGBT-Ideologie" an. Diese zu "propagieren" soll verboten werden. Die Eltern hätten das Recht, für die Sexualerziehung selbst zu sorgen, so die Charta. Kritiker sehen das als Kampfansage gegen Sexualkunde in den Schulen, die schon jetzt an den Rand gedrängt wird, weil viele Eltern Angst vor einer "Sexualisierung der Kinder" haben.

Polen Lodz Schlange vor Lebensmittelgeschäft Versorgung
Schlange vor einem Lebensmittelgeschäft in Polen zu Zeiten der kommunistischen Diktatur. Mit dem Begriff "Bolschewismus" verbinden viele Polen bis heute Diktatur und VersorgungsengpässeBild: picture-alliance/pap/Z. Nowak

LGBT als "Neobolschewismus"

Bei einem Treffen mit den Wählern in Brieg (Brzeg) sagte Duda: "Man versucht, uns einzureden, dass LGBT einfach Menschen sind, aber das ist Ideologie" - denn schließlich identifizierten sich keineswegs alle Homosexuellen und Transgender-Menschen mit der LGBT-Bewegung, sondern betrachteten ihre sexuelle Orientierung als Privatsache.

Duda vergleicht den Kampf für LGBT-Rechte mit der Zeit des Kommunismus, als den Kindern "eine kommunistische Ideologie" aufgeprägt wurde. "Das war der Bolschewismus. Heute wird auch versucht, uns und unseren Kindern eine Ideologie aufzudrücken, aber eine neue. Das ist ein Neobolschewismus".

Brüssel Vera Jourova, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission
Die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission Vera Jourova ist in Brüssel auch für Werte und Transparenz zuständigBild: Getty Images/AFP/K. Tribouillard

Kritik aus Brüssel

Scharfe Kritik kam von EU-Kommissionsvizepräsidentin Vera Jourova: "Ich finde es wirklich traurig, dass sich im modernen Europa Politiker in hochrangigen Ämtern dazu entscheiden, Minderheiten für einen potenziellen politischen Gewinn anzugreifen", so die tschechische EU-Politikerin am Montag während einer Ausschusssitzung des Europäischen Parlaments, ohne Duda namentlich zu nennen.

Nach Kritik ausländischer Medien verteidigte sich Polens Präsident per Twitter: Seine Worte seien "als Teil eines schmutzigen politischen Kampfes" aus dem Kontext gerissen worden. Und er fügte hinzu: "Die Ansichten einer Minderheit dürfen nicht unter dem Vorwand einer falschen Toleranz der Mehrheit aufgezwungen werden".

Sticker für   "LGBT-freie Zonen in Polen" in Warschau
Diesen Sticker für "LGBT-freie Zonen in Polen" hat die konservative Zeitung "Gazeta Polska" im vergangenen Jahr publiziertBild: Reuters/K. Pempel

"LGBT-freie Zonen"

Mit seiner Familien-Charta trifft Duda den Nerv der konservativen Wählerschaft. Auf lokaler Ebene waren in den letzten Jahren und Monaten bereits diverse ähnliche Erklärungen unterzeichnet worden. Die Regionalparlamente von fünf der 16 polnischen Verwaltungsbezirke, aber auch zahlreiche Städte und Gemeinden haben sich darüber hinaus zu "LGBT-freien Zonen" erklärt.

Den Anfang machte der Kreistag von Świdnik im Südwesten des Landes Ende März 2019. "Frei von LGBT-Ideologie" müsse die Region bleiben, weil radikale Aktivisten in Polen eine "Kulturrevolution" anstrebten und den Wert der Familie in Frage stellen würden. Die Kreisverwaltung würde die Bürger davor schützen - und warnte zudem vor der "Frühsexualisierung von Kindern" durch Aufklärungsunterricht an Schulen.

Deutschland | Protest in Berlin gegen so genannte "LGBT Freie Zone" in Polen
Protest in Berlin gegen "LGBT Freie Zone" in Polen im März 2020Bild: DW/W. Szymanski

Finanzielle Konsequenzen?

Im Dezember 2019 hat das Europäische Parlament die polnischen "LGBT-freien Zonen" in einer Resolution als diskriminierend kritisiert. Anfang Juni 2020 wandte sich die Europäische Kommission an die polnischen Regionen mit der Frage, ob bei der Verteilung von EU-Geldern LGBT-Menschen benachteiligt werden. Wenn dies der Fall wäre, könnten die "LGBT-freien Zonen" negative finanzielle Konsequenzen für Polen haben.

Die lesbische Fußballerin Suzi Andreis spielt derweil immer häufiger mit dem Gedanken, ihre Wahlheimat zu verlassen. "Ich könnte zusammen mit meiner Freundin nach Italien gehen, obwohl dort die Lage auch alles andere als rosig ist. Die wachsende Popularität der rechten und nationalistischen Parteien macht mir Angst", so die Aktivistin.

Polen Warschau LGBT-Aktivistin Suzi Andreis
Frauenfußballerin und LGBT-Aktivistin Suzi Andreis will weiter in Polen leben Bild: Kolektyw/Emilia Oksentowicz

Bleiben, solange es geht

Schon als die Konservativen in Polen zum ersten Mal an der Regierung waren (2005-2007), hat Andreis Englisch-Zertifikate erworben, damit sie auch außerhalb von Polen Arbeit finden kann. Doch eigentlich will sie bleiben, solange es geht: Ihre "Käferchen" bereiten sich gerade auf die Spielsaison vor, die dieses Jahr wegen der Corona-Pandemie später starten wird.

Suzi Andreis ist wichtig, dass LGBT-Menschen in Polen sichtbar bleiben. Sie berichtet von mehreren lesbischen Frauen in der polnischen Sportwelt, die sich nicht zum Comingout trauen. Ihr Club, die "Käferchen", haben sich getraut. "Man darf sich nicht einschüchtern lassen" - das ist Suzis Devise.

Porträt einer Frau mit kurzen blonden Haaren und blauen Augen
Monika Sieradzka DW-Korrespondentin in Warschau