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PolitikEuropa

Polen: Morddrohungen gegen Journalisten

6. Februar 2022

Journalisten und ihre Kinder werden zunehmend Ziel anonymer Drohanrufe. Reporter ohne Grenzen fordern Aufklärung von Polens Regierung. Die vermutet hinter den Anrufen "Maßnahmen, die Russland gegen den Westen einsetzt".

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Smartphone Handy-Display
Ruft die Person an, die im Display erscheint - oder hat irgendwer deren Nummer per "Spoofing" gestohlen?Bild: picture-alliance/dpa/O. Spata

Die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen (ROG) ist empört: "Drei polnische Journalisten unabhängiger Medien und ihre Kinder wurden Ziele von Todesdrohungen und Spoofing." Mit dieser Technik können Anrufer Telefonnummern benutzen, die nicht ihre eigenen sind - aber der angerufenen Person bekannt. ROG fordert die polnischen Behörden dazu auf, "diejenigen festzunehmen, die Reporter und ihre Angehörigen bedrohen, deren Telefonnummern missbrauchen und falsche Informationen in ihrem Namen verbreiten".

Betroffen sind drei Journalisten, die alle für regierungskritische Medien arbeiten. Einer von ihnen ist Szymon Jadczak vom Portal Wirtualna Polska, der über Politik, Korruption und Cybersicherheit berichtet. In letzter Zeit schreibt er vor allem über den Pegasus-Skandal, eine großangelegte Abhöraktion.

Mitte Dezember 2021 erhielt Jadczak einen Anruf von der Telefonnummer einer Kollegin. Doch als er das Gespräch annahm, meldete sich nicht etwa die Journalistin. "Stattdessen hörte ich eine Morddrohung, die von einer metallischen, verzerrten Stimme verlesen wurde", sagt Jadczak der DW. "Dabei fielen viele vulgäre Worte. Ich habe das Gespräch schnell abgebrochen und gleich die Kollegin angerufen, deren Nummer genutzt wurde. Sie sagte, dass sie im gleichen Moment dieselbe Morddrohung bekommen habe."

Typisches "Spoofing"

Das sei typisch für Spoofing, erklärt Jadczak. Die Methode wird in Polen häufig genutzt. So hat etwa die Tochter des Rechtsanwalts Roman Giertych, der Pegasus-Opfer vertritt und selbst abgehört wurde, Anfang 2022 einen ähnlichen Anruf bekommen. "Jemand las mit metallischer, computerveränderter Stimme vor, dass sie dieses Mal die richtige Dosis Gift für mich präparieren werden", twitterte Maria Giertych am 27. Januar.

Anonyme Anrufe bekam auch der stellvertretende Vorsitzende der oppositionellen Partei Bürgerplattform (PO), Borys Budka. Ihm verkündete eine verzerrte Stimme per Telefon den angeblichen Tod seiner Frau: "Kasia ist tot. Sie atmet nicht. Sie hatte einen Herzinfarkt." Gleichzeitig informierten Unbekannte Frau Budka per Telefon vom angeblichen Tod ihres Mannes.

Polen Borys Budka
Borys Budka ist stellvertretender Vorsitzender der oppositionellen Partei Bürgerplattform (PO)Bild: picture-alliance/NurPhoto/M. Fludra

Im November 2021 berichtete der führende Oppositionspolitiker und Ex-Premierminister Donald Tusk von einer Email, in der ihm mitgeteilt worden sein, dass ein "Urteil wegen Verrats des Vaterlandes" gegen ihn verhängt worden sei. "In Polen gibt es eine wachsende Flut von Hass, Verachtung und zunehmend direkter Gewalt", kommentierte Tusk - und machte den Vorsitzenden der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und Vizepremierminister Jaroslaw Kaczynski, der unter anderem für das Innenministerium und Geheimdienste zuständig ist, dafür "direkt verantwortlich".

Kinder als Zielscheibe

Nicht nur Politiker und Journalisten werden derzeit Opfer von Drohungen - sondern auch deren Kinder: "Meine ältere Tochter erhielt gerade einen Anruf von jemandem, der ihr drohte, dass sie bald ermordet werde (begleitet von Schimpfwörtern)", twitterte am 31. Januar 2022 Tomasz Lis, Chef der regierungskritischen Wochenzeitschrift Newsweek Polska. Und kommentierte: "Ihr amüsiert euch auf eine schmutzige Art, ihr Schurken. Ihr werdet niemandem Angst machen und niemanden einschüchtern. Ihr erweckt nur grenzenlose Abscheu."

Zuvor hatte bereits der Sohn von Wojciech Czuchnowski, Journalist bei der angesehenen Tageszeitung Gazeta Wyborcza, eine ähnliche Drohung erhalten. Zuerst sah er auf seinem Handy mehrere verpasste Anrufe; als er den nächsten annahm, hörte er eine Stimme, die ankündigte, dass er sterben müsse - "für den Verrat an deinem Land". Zudem war Czuchnowskis Telefon für falsche Bombenalarme missbraucht worden.

Fake-Anrufe von Nummern vertrauenswürdiger Personen

Gehackte Telefonnummern wurden bereits mehrmals missbraucht, um falsche Bombenalarme auszulösen - erstmalig während der Schulabschlussprüfungen im Frühjahr 2019 an über hundert Schulen in ganz Polen. Die Einrichtungen mussten evakuiert, Prüfungen ausgesetzt und verschoben werden. Auch 2020 kam es zu mehreren Hundert Fehlalarmen aufgrund von Fake-Anrufen von verschiedenen Nummern.

Dafür werden zumeist Telefonnummern von Personen gehackt, die öffentlich bekannt sind, wie etwa Lehrer, Lokalpolitiker oder Journalisten. Experten sprechen von einer "Kaskaden-Methode", die darin besteht, mehrere Falschalarme auszulösen oder, wie neulich, Spoofing-Attacken zur gleichen Zeit zu starten, um die zuständigen Behörden zu überfordern.

Methode russischer Hacker?

Stanislaw Zaryn, der Sprecher des polnischen Geheimdienstkoordinators, vermutet hinter den Fake-Anrufen russische Hacker: "Diese Art von Maßnahmen - der Einsatz von Cyber-Instrumenten zur Beeinflussung bestimmter Gesellschaften oder ganzer Staaten - gehört zum Menü der Maßnahmen, die Russland gegen den Westen einsetzt", erklärte er der polnischen Presseagentur PAP im Januar 2022. Zwar sei es schwierig, handfeste Beweise für diese Annahme zu finden - doch "eine solche Destabilisierung des polnischen Staates in der heutigen Situation kommt sicherlich der Russischen Föderation zugute, die in letzter Zeit ihre Aktionen gegen die NATO verstärkt hat", betonte Zaryn.

Szymon Jadczak
Szymon Jadczak ist Investigativjournalist beim Portal Wirtualna PolskaBild: Michal Fludra/NurPhoto/picture alliance

Der preisgekrönte Investigativjournalist Szymon Jadczak dagegen vermutet hinter den telefonischen Drohungen eher Kriminelle - auch wenn sich die Aktionen ausdrücklich gegen Kritiker der derzeitigen polnischen Regierung richteten. "Diese Operation hat es zum Ziel, die polnischen Geheimdienste lächerlich zu machen und die für die Cybersicherheit zuständigen Behörden zu überfordern", so Jadczak.

Dass auch er selbst Opfer von Spoofing-Attacken wird, überrascht den Journalisten kaum: "Ich habe oft über solche Methoden von Verbrechern geschrieben, nun werden sie gegen mich verwendet. Dass man Opfer von Cyberattacken wird, ist in meinem Beruf einkalkuliert." Ohnehin gehe er als Investigativjournalist immer davon aus, dass er unter Beobachtung stehen könnte. "Katastrophal" ist für Jadczak, dass sich die zuständigen Behörden in Polen nicht mit den jüngsten Spoofing-Attacken befassten. Die entsprechenden Stellen seien "schwach" und agierten auf der Basis von "schlecht konstruierten Gesetzen".

Zudem verwehre die derzeitige polnische Regierung Rechercheuren, die Cyberattacken enthüllen wollten, den Zugang zu vielen Informationen. "Das wichtigste Werkzeug eines Journalisten sind Informationen", erklärt Szymon Jadczak, "aber in diesem Land werden wir von führenden Politikern mit Geringschätzung und Missachtung behandelt. Es ist unmöglich, Informationen von Regierungsstellen, von Politikern, von Menschen, die theoretisch für das Allgemeinwohl arbeiten, zu erhalten."

Porträt einer Frau mit kurzen blonden Haaren und blauen Augen
Monika Sieradzka DW-Korrespondentin in Warschau