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PolitikPolen

Polen und die Ukraine - eine Beziehung in der Krise

Lukasz Grajewski
30. November 2023

Polen ist seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ein enger Verbündeter des Nachbarlands. Jetzt zeigen sich zunehmend Risse in den Beziehungen zwischen beiden Ländern.

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Eine Frau mit einem blau-gelben Blumenkranz im Haar und einer ukrainischen Fahne als Umhang hält eine polnische und eine ukrainische Fahne in den Händen.
Solidaritätsbekundung für die Ukraine in Krakau, PolenBild: Jakub Porzycki/NurPhoto/picture alliance

"In der Ukraine wird Polens Rolle zunehmend negativ wahrgenommen", sagt der polnische Ukraine-Experte Krzysztof Nieczypor. Der Forscher vom Warschauer Zentrum für Oststudien (OSW) ist gerade aus Kiew zurückgekehrt, wo er sich unter anderem über die Stimmung gegenüber Polen informiert hat.

"In der ukrainischen Medienberichterstattung steht unser Land in einer Reihe mit Ungarn und der Slowakei, also mit Ländern, die der Integration der Ukraine in die EU und ihrer militärischen Unterstützung skeptisch gegenüberstehen", erklärt er im Gespräch mit der DW. 

Porträtaufnahme des polnischen Ukraine-Experten Krzysztof Nieczypor
Der polnische Ukraine-Experte Krzysztof NieczyporBild: OSW

Das derzeitige negative Bild seines Landes in der Ukraine, davon ist Nieczypor überzeugt, ist auf das von der polnischen PiS-Regierung verhängte Embargo für ukrainisches Getreide und die anhaltende Blockade der Grenzübergänge durch polnische LKW-Fahrer zurückzuführen: "Vor allem die Situation an der Grenze zwischen beiden Ländern wird negativ bewertet. Denn durch die Proteste der polnischen Spediteure wird der Transport aller Waren blockiert, darunter auch die Kraftstoffe, die für das Funktionieren des Staates von großer Bedeutung sind."

Begegnung in Wisla

Die aktuellen Probleme sind ein echtes Erdbeben in den Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Noch im vergangenen Jahr wurde Polen von den Ukrainern als vorbildlicher Verbündeter hervorgehoben. Dieser Phase widmet sich der polnische Journalist Zbigniew Parafianowicz, der seit zwei Jahrzehnten über die Ukraine berichtet, in seinem jüngsten Buch "Polen im Krieg". Es hat in Polen für Aufsehen gesorgt, denn er beschreibt darin die teilweise unbekannten Hintergründe der engen Beziehungen zwischen beiden Ländern seit Ausbruch des Kriegs im Februar 2022.

Laut Parafianowicz stand am Beginn der engen Beziehungen ein zweitägiges Treffen zwischen den Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Andrzej Duda im Palast des polnischen Präsidenten im südpolnischen Wisla. Das Treffen fand einen Monat vor Ausbruch des Kriegs statt. Dort sollen sich die beiden Präsidenten und ihre Berater bei alkoholgeschwängerten Gesprächen näher gekommen sein.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj trifft in Luzk seinen polnischen Amtskollegen Andrzej Duda. Beide Männer legen sich gegenseitig die Hände auf die Schultern und schauen sich wohlwollend an.
Freundschaftliches Verhältnis: Der polnische Präsident Andrzej Duda (l.) und sein ukrainischer Amtskollege Wolodymyr Selenskyj, hier bei einer Begegnung in Luzk im Juli 2023Bild: Ukrainian Presidential Press Service/REUTERS

Das führte dazu, dass Duda weniger als 24 Stunden vor Beginn der russischen Invasion mit dem litauischen Präsidenten Gitanas Nauseda in Kiew war. Dort erfuhr er von Selenskyj, dass der Krieg bald beginnen werde und dass sie sich wahrscheinlich "zum letzten Mal" sähen. In den folgenden ersten Kriegswochen soll Selenskyj Duda häufig angerufen haben, weniger mit konkreten Anliegen, sondern einfach als Freund und Vertrauter.

Polnische Solidarität

Die engen politischen Beziehungen und die Welle der Solidarität der polnischen Gesellschaft mit den ukrainischen Flüchtlingen zogen weitere Hilfen nach sich. "In der ersten Zeit des Kriegs beteiligte sich Polen an der Wiederbewaffnung der ukrainischen Bodentruppen, was für die Verteidigung der Ukraine von entscheidender Bedeutung war", sagt Parafianowicz im Gespräch mit der DW.

Der Autor enthüllt, wie Warschau MiG Kampfflugzeuge an die Ukraine übergab. Um die umständlichen Genehmigungsverfahren zu umgehen, soll die polnische Seite die Flugzeuge einfach in der Nähe der ukrainischen Grenze zurückgelassen und Kiew informell informiert haben. Die Ukrainer sollten sie in aller Ruhe auseinandernehmen und auf dem Territorium ihres eigenen Landes wieder zusammenbauen.

Propaganda statt Politik

Demgegenüber hatte Deutschland lange gezögert, die Ukraine auch militärisch zu unterstützen, Waffenlieferungen schienen zu Beginn des Kriegs undenkbar. Polen hoffte daher auf eine Sonderrolle und fühlte sich durch seine allgemein anerkannte Unterstützung der Ukraine endlich international wahrgenommen. Doch "die Polen haben die Rolle Deutschlands in Formaten wie der G7 und in den transatlantischen Beziehungen unterschätzt", urteilt Parafianowicz. "Die Amerikaner werden Polen nicht so sehen, wie sie Deutschland sehen. Der Unterschied im politischen Potenzial beider Staaten ist zu groß."

Der Journalist und Buchautor Zbigniew Parafianowic schaut mit verschränkten Armen in die Kamera
Der Journalist und Buchautor Zbigniew ParafianowicBild: Grzegorz Olkowski

Erst in der zweiten Hälfte des Jahres 2022 bot Berlin an, die Ukraine mit Luftabwehr zu unterstützen. In Polen begann damals schon langsam der Wahlkampf, und die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) benannte die Deutschen als Hauptfeind. Eine gemeinsame deutsch-polnische Strategie rückte damit in weite Ferne und Polen wurde wieder nur als kleiner Player wahrgenommen. Die Außenpolitik wurde quasi zur Geisel der Innenpolitik.

"In ihren Beziehungen zu Deutschland hat die PiS Politik mit Propaganda verwechselt", sagt Parafianowicz. "Missgunst und Ressentiments wurden auf ein solches Niveau gehoben, dass es unmöglich war, später wieder davon herunterzukommen."

Neustart in den Beziehungen?

Parafianowiczs Buch kann als Beschreibung einer inzwischen abgeschlossenen Periode gesehen werden, denn die rechtkonservative PiS, die Polen in den vergangenen acht Jahren regiert hat, hat die Wahlen im Oktober verloren.

Der polnische Oppositionsführer Donald Tusk vor dem Logo und der Fahne der Europäischen Union
Oppositionsführer Donald Tusk hat mit seiner Koalition eine stabile Mehrheit im polnischen Parlament. Am 13.12.2023 wird er voraussichtlich neuer Ministerpräsident Polens Bild: Johanna Geron/REUTERS

Die neue liberale und pro-europäische Regierung in Warschau wird sehr wahrscheinlich am 13. Dezember vereidigt. Und einige Politiker der neuen Koalition haben bereits angekündigt, dann die Krise an der polnisch-ukrainischen Grenze lösen zu wollen. Experten bezweifeln jedoch, dass die Beziehungen zwischen Warschau und Kiew wieder den gleichen Enthusiasmus erleben werden wie im ersten Kriegsjahr.

Gleichzeitig sind sowohl der Autor als auch der Experte der Meinung, dass Polen der Ukraine auch in Zukunft grundsätzlich zur Seite stehen wird. "Ich bin überzeugt, Polen wird die Ukraine weiterhin in ihren Bemühungen unterstützen, den Krieg mit Russland zu gewinnen und den Beitrittsprozess zur Europäischen Union voranzutreiben", betont Nieczypor.

Nicht nur die Ukraine

Dabei geht es Polen nicht nur um seine eigene Grenze zur Ukraine. Warschau sieht die Frage der Sicherheit in einem größeren Zusammenhang. "Russland wird in der Lage sein, innerhalb von sechs Jahren wieder aufzurüsten", meint Zbigniew Parafianowicz. "Und dann könnte es einen der baltischen Staaten angreifen. Derzeit testet es bereits Finnland."

Menschen stehen im Schneetreiben vor dem geschlossenen Schlagbaum am Grenzübergang Raja-Jooseppi zwischen Finnland und Russland
Die Grenze ist zu am Grenzübergang Raja-Jooseppi zwischen Russland und FinnlandBild: Natalia Smolentseva/DW

An der russisch-finnischen Grenze sind die Spannungen gestiegen, seit Russland Migranten ungehindert nach Finnland reisen lässt. Helsinki hat deswegen die Grenzübergänge geschlossen. "Bei dem Krieg geht es also nicht nur um die Ukraine", so das Fazit des Autors. "Es geht um die gesamte Sicherheitsdimension der NATO-Ostflanke, des Ostsee- und Schwarzmeerraums."

Lukasz Grajewski Lukasz Grajewski ist Korrespondent für DW-Polnisch