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PolitikPolen

Polen: Wie geht es dem Land nach acht Jahren PiS-Regierung?

Monika Sieradzka aus Warschau
26. September 2023

Mitte Oktober wählt Polen ein neues Parlament. Nach acht Regierungsjahren hinterlässt die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ein polarisiertes Land.

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Eine Hand zeigt ein Peace-Zeichen vor einer rot-weißen Fahne
Die PiS hinterlässt ein anderes PolenBild: Beata Zawrzel/NurPhoto/picture alliance

Eine strittige Justizreform, heftige Auseinandersetzungen mit der EU, ein fast totales Abtreibungsverbot, regierungskonforme Medien und üppige Sozialprogramme: Acht Jahre lang stellt die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) inzwischen die Regierung in Polen - und hat durch ihre Politik Gesellschaft, Staat und Medien umgebaut. Selbst wenn sie am 15. Oktober abgewählt werden würde, haben die vergangenen Jahre doch Spuren in Polen hinterlassen. Ein Überblick:

Sozialprogramme als Wahl-Magnet

Klare Gewinner der PiS-Politik sind die ungefähr drei Millionen Familien mit Kindern, die seit 2016 das in Polen erstmals eingeführte monatliche Kindergeld bekommen. Im Wahlkampf 2015 trug das Programm "500 Plus" zum Sieg der PiS bei - es beinhaltete monatlich 500 Zloty (etwa 110 Euro) pro Kind für Eltern. Beim diesjährigen Wahlkampf setzt die PiS auf bewährte Strategien - sie verspricht nun "800 Plus", eine Erhöhung des Kindergeldes um weitere 300 Zloty auf rund 170 Euro.

Ein Mann hält ein Plakat mit dem Schriftzug: "All I want for christmas is...democratic Poland"
Ihre Sozialprogramme bringen der PiS viele Sympathien und Wählerstimmen ein. Andere Vorhaben sind kontroverser und haben in den vergangenen acht Jahren zu Protesten geführt - etwa hier in Krakau am 19.12.2021 Bild: Beata Zawrzel/NurPhoto/picture alliance

Auch Rentner werden von der Partei umworben. Von 2016 bis 2023 wurden mehrmals die Renten erhöht und zusätzliche Beiträge, die sogenannte "13. Rente", ausgezahlt. Nun verspricht die PiS die "14. Rente" ab 2024 - sollte sie wiedergewählt werden. Die üppigen Sozialprogramme sind äußerst populär. Käme eine andere Partei als die PiS an die Macht, würde sie sich gut überlegen müssen, ob sie die Programme streicht - obwohl sie die Staatskasse teuer zu stehen kommen.

PiS-Aufsteiger in Schlüsselpositionen

Auch die staatlichen Firmen verteilen aktuell wieder Wahlgeschenke. Einen Monat vor den Wahlen hat Daniel Obajtek, Chef des staatlichen Ölkonzerns Orlen und PiS-Mitglied, die Benzinpreise so stark reduziert, dass sie weit unter dem Marktniveau liegen. Aus dem benachbarten Tschechien pilgerten daraufhin so viele Autofahrer zum Tanken nach Polen, dass tschechische Medien bereits von "Tanktourismus" sprachen. Nach der Wahl dürften sich die Preise wieder auf normaler Höhe einpendeln.

Jaroslaw Kaczynski steht vor einem Mikrofon, im Hintergrund stehen Soldaten
PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski bei einer Pressekonferenz im August 2023Bild: KACPER PEMPEL/REUTERS

Leute wie Daniel Obajtek bleiben der PiS auch nach der Wahl verbunden - denn sie haben ihr viel zu verdanken. Innerhalb von zwei Jahren ist Obajtek vom Bürgermeister einer Kleinstadt zum Chef des Ölgiganten und zum Vertrauten des PiS-Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski aufgestiegen. Für Kritiker steht Obajteks Blitzkarriere exemplarisch für die Besetzung staatlicher Positionen mit Parteiaufsteigern, wie es während acht Jahren PiS-Regierung an vielen Stellen der Fall war. Sie könnten die Geschicke Polens im Sinne der PiS beeinflussen - auch wenn die Partei abgewählt wird.

Polens Justiz unter Regierungskontrolle

Einer der prominentesten Fälle dieser PiS-Neubesetzungen ist die ehemalige Diplomatin und ausgebildete Juristin Julia Przylebska, die Ende 2015 zur Vorsitzenden des Verfassungsgerichts gewählt wurde. Ihre Wahl ist umstritten, weil einige Etappen der üblichen Berufungsprozedur übersprungen wurden. Przylebska Karrieresprung symbolisiert den strategischen Umbau der Justiz, den die PiS seit ihrer ersten Amtszeit vorantreibt, um ihren Einfluss zu steigern und Gesetze in ihrem Sinne umzusetzen.

Igor Tuleya steht vor einer Betonwand, auf der sein Abbild gesprüht wurde
Von einem jahrelangen Berufsverbot betroffen: Igor Tuleya. Der Richter darf inzwischen zwar wieder arbeiten - doch das Justizsystem ist weiterhin von schweren Eingriffen gekennzeichnetBild: Bernd Riegert/DW

Die Justizreform ist mit das schwerste Erbe, das die Partei nach acht Jahren an der Macht hinterlässt. Die Reform wird von der EU kritisiert, weil sie die Unabhängigkeit der Justiz gefährdet, indem sie Richter und Staatsanwälte der Regierung unterordnet. Wer als Richter oder Staatsanwalt dieses Vorgehen kritisiert, wird schikaniert und kaltgestellt. Bekanntes Beispiel dafür ist der Warschauer Richter Igor Tuleya, der während einer offenen Gerichtsverhandlung Verstöße von PiS-Abgeordneten gegen die Parlamentsordnung enthüllte - und zwei Jahre lang suspendiert wurde. Obwohl Tuleya inzwischen wieder als Richter arbeiten darf - unter anderem hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seine Suspendierung für illegal befunden - sind Richter und Staatsanwälte weiter in ihrer Arbeit eingeschränkt.

Die EU hat gegen Polen mehrere Rechtsstaatsverfahren eingeleitet, Bußgelder verhängt und Gelder einbehalten. So hat das Land noch immer keine Corona-Hilfen der EU bekommen. Die PiS versucht, das Ausbleiben der Milliarden herunterzuspielen - doch langfristig könnte das für Polen ein ernsthaftes wirtschaftliches Problem darstellen.

Medien umfunktioniert zu Propaganda-Instrumenten

Seit ihrem ersten Tag an der Regierung hat die PiS auch die polnische Medienlandschaft umstrukturiert. Die öffentlich-rechtlichen Medien, die gleich nach dem Wahlsieg Ende 2015 unter die Kontrolle der Regierung kamen, vermitteln seitdem ein durchweg positives Bild der PiS und setzen die für die Partei wichtigen Themen auf ihre Agenda. Unabhängige Journalisten, die sich dem neuen Kurs nicht beugen wollten, wurden entlassen oder zur Kündigung gezwungen.

Demonstranten halten die Buchstaben TVN und VETO hoch
Demonstration für die Medienfreiheit in Krakau am 19.12.2021Bild: Beata Zawrzel/NurPhoto/picture alliance

Doch dieser Einfluss reichte der PiS nicht. Sie forderte eine "Re-Polonisierung" der Medien. Im Dezember 2020 kündigte der Ölkonzern Orlen an, der deutschen Verlagsgruppe Passau das Medienunternehmen "Polska Press" abkaufen zu wollen. Das staatliche Unternehmen bekam damit die redaktionelle Kontrolle über 20 Lokalzeitungen, 120 Wochenzeitungen und 500 Online-Portale. Nach und nach wurden auch hier die Redaktionsleitungen durch PiS-nahe Journalisten ausgetauscht.

Journalisten unabhängiger Medien wie der liberalen Gazeta Wyborcza werden dagegen mit Klagen überschüttet und so eingeschüchtert. Außerdem platzieren staatliche Institutionen keine Anzeigen mehr in regierungskritischen Medien, wodurch die Werbeeinnahmen - für viele Medien ein wichtiges finanzielles Standbein - eingebrochen sind. Regierungskritischer Journalismus steht nach acht Jahren PiS deutlich geschwächt da.

PiS: Gegen LGBTQ-Community und Migranten

Die PiS versucht, die öffentliche Meinung in der polnischen Gesellschaft in ihrem Sinne zu drehen - und hetzt dabei vor allem gegen zwei Gruppen. Queere Menschen, die etwa der PiS-nahe Staatspräsident Andrzej Duda 2020 als "keine Mens. darum etwas nach unten korrigiert.chen, sondern eine Ideologie" bezeichnete. Und: Migranten.

Zwei Menschen steigen aus dem Bus, im Hintergrund steht ein schwarzes Plakat mit einem Bild von Jaroslaw Kaczynski
Wahlplakat der Opposition in Polen: Ein Bild von PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski mit den Worten "Ich bin eine Gefahr" - eine Anspielung auf die Hetzkampagnen der PiS gegen Migranten und die LGBTQ-CommunityBild: Beata Zawrzel/NurPhoto/picture alliance

Die Stimmungsmache gegen Flüchtlinge ist ein fester Bestandteil der PiS-Agenda. Migranten seien, neben den liberalen Werten aus dem Westen, eine Gefahr für die katholischen Werte und Traditionen der Polen, so die PiS. Ausgerechnet während des Wahlkampfs kam nun allerdings ans Licht, dass hohe Staatsbeamte über Dritte Schengen-Visa an Migranten aus muslimischen Ländern verkauft haben sollen. Viele sehen das als Beweis für die Doppelzüngigkeit der PiS. Die fremdenfeindliche Stimmung indes, mit der die PiS immer wieder spielt, hat in den vergangenen Jahren vor allem die rechtsextreme Partei Konfederacja gestärkt, die zur drittstärksten Kraft im Land werden könnte.

Restriktive Abtreibungsregelungen

Als Teil ihres Erbes hinterlässt die PiS-Regierung auch die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes, das ohnehin als eines der restriktivsten in Europa galt. Im Oktober 2020 billigte das Verfassungstribunal unter dem Vorsitz von Julia Przylebska trotz massiver Proteste ein Gesetz, das Abtreibungen nur bei Vergewaltigung und bei Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der Mutter zulässt. Die neue Regelung zwingt Eltern dazu, auch schwerbehinderte und nicht überlebensfähige Kinder zur Welt zu bringen.

Eine Frau mit schwarzem Regenschirm hält ein Plakat mit einem Frauenkopf
Eine von zehntausenden Demonstrantinnen, die gegen eine Verschärfung der Abtreibungsregeln protestierten - hier in Krakau am 21.10.2020Bild: Artur Widak/NurPhoto/picture-alliance

Seitdem die Regelung in Kraft ist, sind mehrere Schwangere gestorben, weil ihnen im Krankenhaus trotz Lebensgefahr eine Abtreibung verweigert wurde. Viele Ärzte sind verunsichert, denn auch die Unterstützung von Abtreibungen ist strafbar. Im März 2023 wurde erstmals auch eine Aktivistin wegen Beihilfe zu einer Abtreibung verurteilt, weil sie einer schwangeren Frau ihre Abtreibungspille geschickt hatte. In Polen sind diese Pillen in Apotheken nicht erhältlich.

Spannungen mit dem Nachbarn Ukraine

Polens Regierung war lange stolz auf ihre Hilfe für die Ukraine. Die Beziehung zwischen den beiden Ländern war nie einfach, doch angesichts der russischen Bedrohung herrschten plötzlich Solidarität und Einigkeit. Nach der russischen Vollinvasion der Ukraine flohen Millionen Menschen über die Grenze, noch heute leben fast eine Millionen geflüchtete Ukrainer im Nachbarland. Polen war zudem eines der ersten Länder, das militärische Hilfe leistete und an die westlichen NATO-Partner appellierte, Waffen zu liefern.

Doch inzwischen zeichnen sich ernsthafte Risse in der Freundschaft ab. So verlängerte Polen eigenmächtig das EU-Embargo für ukrainisches Getreide - wohl um die wichtigen Stimmen polnischer Landwirte zu gewinnen, die heftig gegen den ukrainischen Import protestiert hatten. Für einen kurzfristigen Stimmenschub riskiert die PiS so eine ernsthafte Verstimmung mit dem Nachbarn. 

Mehrere Eisenbahnwaggons stehen auf Gleisen, darunter einige mit Folie abgedeckte, mit denen Getreide transportiert wird
Züge mit ukrainischem Getreide stehen am 20.09.2023 in Dorohusk an der polnisch-ukrainischen GrenzeBild: Damien Simonart/AFP

In vielen anderen Bereichen könnte es Jahre dauern, die Reformen der PiS rückgängig zu machen und eine liberale Demokratie mit freier Justiz und freien Medien wiederherzustellen. Falls die PiS die Wahl am 15. Oktober allerdings wieder gewinnt, könnte sie Staat, Medien, und Gesellschaft noch weiter umbauen, befürchten viele liberale Polen.

 

Korrekturhinweis: Nach neuesten Zahlen leben derzeit knapp unter eine Million (statt wie angegeben rund 1,2 Millionen) geflüchtete Ukrainer in Polen, die Zahl im Artikel wurde am 30.9. entsprechend nach unten korrigiert.

Polen: Wahlkämpfer schüren Hass gegen Migranten

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Porträt einer Frau mit kurzen blonden Haaren und blauen Augen
Monika Sieradzka DW-Korrespondentin in Warschau