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Politologe: AfD wird wohl kräftig zulegen

Volker Wagener20. Januar 2016

Die Parteienlandschaft ist in Bewegung. Die CDU verliert, die SPD noch mehr. Allein die AfD gewinnt in den Umfragen. Die Flüchtlingspolitik beschäftigt die Wähler. Ein Gespräch mit dem Trierer Politologen Uwe Jun.

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Wahlkabine (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Die Demoskopen bereiten derzeit nur der AfD wirklich Freude. Die ehemalige "Ein-Themen-Partei", die ihren Ursprung der Euro-Krise verdankt, profitiert gerade von Merkels Flüchtlingspolitik. Wie hoch wird der Profit für die AfD bei den kommenden drei Landtagswahlen ausfallen?

Uwe Jun: Das ist natürlich im Moment noch gar nicht so einfach zu prognostizieren, weil die Wähler derzeit sehr situativ reagieren und wir natürlich nicht genau veranschlagen können, wie die Situation am 13. März sein wird. Aber es ist schon damit zu rechnen, dass die AfD kräftig zulegen wird. Die Wahrscheinlichkeit würde ich jedenfalls als sehr hoch erachten, dass sie in alle drei Landtage einzieht und dass das Ergebnis in Sachsen-Anhalt vermutlich sogar zweistellig werden könnte.

Die AfD gilt als Partei der zornigen Bürger. Wütend sind aber auch große Teile der CDU- und SPD-Klientel. Wie viele Stammwähler wird die AfD von den etablierten Parteien absorbieren?

Ich glaube, dass es gar nicht so viele Stammwähler sein werden, die hier von der AfD herüber gezogen werden. Es werden eher Wähler sein, die sich schon seit einiger Zeit von den Großparteien nicht mehr angesprochen fühlen. Das sind mehr Wechselwähler, auch viele frühere Nichtwähler, die zur AfD kommen dürften. Sicherlich wird der ein oder andere enttäuschte Stammwähler dabei sein, aber der größere Teil der AfD-Wähler wird aus dem Wechselwähler- und dem früheren Nichtwähler-Reservoir kommen.

Treibt das neu angestrebte Parteiverbotsverfahren gegen die NPD der AfD zusätzliche Wähler zu?

Das dürfte sich nur in geringen Zahlen auswirken, glaube ich. Sicherlich könnte der ein oder andere für die AfD votieren. Gerade in Sachsen oder Mecklenburg-Vorpommern, um nur die Länder zu nennen, in denen die NPD relativ große Wählerzahlen akquirieren konnte.

Für die Landtagswahl in Baden-Württemberg werden der SPD derzeit nur noch 15 Prozent eingeräumt. Ist das eine weitere Stufe nach unten im langfristigen Trend der Sozialdemokratie? Oder ist das den besonderen Umständen der Flüchtlingspolitik geschuldet und der Profillosigkeit der Partei als Juniorpartner in der Großen Koalition in Berlin?

Ich würde sagen, dass auch die Juniorrolle der SPD in der grün-roten Koalition in Baden-Württemberg eine Rolle im anhaltenden Abwärtstrend der Sozialdemokratie spielt. Die Landesregierung wird überstrahlt von ihrem Grünen-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Viele potenzielle SPD-Wähler fühlen durchaus eine gewisse Nähe zu Kretschmann und den Grünen. Ich glaube, in Baden-Württemberg spielen neben den von Ihnen genannten Aspekten sicherlich auch landespolitische Faktoren eine Rolle beim derzeitigen schlechten Trend für die SPD.

Aber auch die CDU verliert Zustimmung. Wird es schon bald neue Koalitionsoptionen geben? Schwarz-Grün, eventuell sogar CDU-AfD-Bündnisse aus der Not heraus?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass auf absehbare Zeit die CDU eine Regierungskoalition mit der AfD im Bund oder in den Ländern anstrebt. Entsprechende Beschlüsse gibt es ja auch von der CDU, dass es derzeit keinerlei Bestrebungen gebe, mit der AfD in Regierungsgespräche oder Koalitionsgespräche einzusteigen. Anders verhält es sich möglicherweise mit schwarz-grünen Bündnissen. Wir haben ja inzwischen eine solche Koalition in Hessen. Wir müssen allerdings sehen, dass im Moment wegen der Flüchtlingspolitik der Graben zwischen der CSU und den Grünen so tief ist, dass man sich auch da derzeit keine Zusammenarbeit auf Regierungsebene vorstellen kann.

Die CDU betreibt derzeit eine Flüchtlingspolitik, wie sie die Grünen hätten betreiben können, wenn sie denn in Regierungsverantwortung wären. Gleichzeitig versucht die SPD, die CDU rechts zu überholen. Gehen gerade alle bekannten Programmatiken verloren?

Das kann man so nicht sagen. Am stärksten gewandelt hat sich sicherlich in den letzten Jahren die CDU, da sind viele bisherige programmatische Gewissheiten über Bord geworfen worden. Da ist die Flüchtlingspolitik nur ein Beispiel von vielen. Man könnte eine ganze Reihe aufzählen: die Familienpolitik, die Bildungspolitik, die Wehrpflicht, die Atompolitik. Da hat die CDU einen grundlegenden Wandel vollzogen. Große Veränderungen in kurzer Zeit. Bei der SPD haben wir Veränderungen anderer Art. In der Zeit des früheren Bundeskanzlers Schröder ist einiges zurückgedreht worden in der Sozial- und Wirtschaftspolitik. Das waren gravierende Veränderungen. Die Grünen haben sich programmatisch relativ wenig verändert in den letzten Jahren.

Kann sich die FDP aus der außerparlamentarischen Opposition wieder ins Spiel bringen? Und wenn ja, wie?

Es ist nicht ganz leicht für die Liberalen, aber wir beobachten, dass sie es natürlich versuchen, zurückzukommen. Ihr Parteivorsitzender Christian Lindner ist sehr stark medial präsent. Er versucht auch überregional, die Partei ins Spiel zu bringen. Es könnte Überraschungen geben. Zum Beispiel in Baden-Württemberg, wenn am 13. März eine Regierung gebildet werden muss und nur eine Ampelkoalition in Frage kommt. Das wäre ja überlegenswert und damit würde sich die Partei auch nach außen hin mehr öffnen für neue Konstellationen.

Prof. Uwe Jun ist Politologe und lehrt an der Universität in Trier.

Das Interview führte Volker Wagener.

Uwe Jun (Foto:dpa)
Uwe Jun: AfD vermutlich zweistellig in Sachsen-AnhaltBild: picture-alliance/dpa/B. Reichert