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"Keine angemessene Antwort"

Andrea Grunau24. Mai 2013

Nach der NSU-Mordserie haben Bund und Länder eine Expertenkommission zum Rechtsterrorismus eingesetzt. Jetzt liegt der Abschlussbericht vor. Experte Hajo Funke bewertet ihn im DW-Interview.

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Rechtsextremismus-Experte Hajo Funke (Foto: picture alliance/dpa)
Bild: picture alliance/dpa

Der Rechtsterrorismus des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) mit zehn Morden sowie Sprengstoffanschlägen und Raubüberfällen soll juristisch beim Prozess in München aufgearbeitet werden, politisch in Untersuchungsausschüssen des Bundestages und in drei Bundesländern. Zusätzlich hatten die Innenminister des Bundes und der Bundesländer eine Expertenkommission eingesetzt, um die Zusammenarbeit der deutschen Sicherheitsbehörden zu untersuchen und Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten. Der Berliner Politologe und Rechtsextremismus-Experte Hajo Funke hat die Arbeit der NSU-Untersuchungsausschüsse verfolgt und als Gutachter unterstützt.

DW: Herr Funke, Polizei und Geheimdienste haben den NSU-Terror jahrelang nicht aufgeklärt. Zum Abschlussbericht der Expertenkommission hat Innenminister Friedrich erklärt, die Kommission habe kein "generelles Systemversagen der deutschen Sicherheitsarchitektur" festgestellt. Im Wesentlichen müsse die Zusammenarbeit der Behörden verbessert werden, das Bundesamt für Verfassungsschutz solle gestärkt werden. Was wären aus Ihrer Sicht die wichtigsten Folgerungen?

Hajo Funke: Die wichtigsten Folgerungen ergeben sich für mich aus der Ursachenanalyse, basierend auf Daten aus den Untersuchungsausschüssen. Zu den Ursachen gehört, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz beträchtliche Informationen über die Terrorgruppe hatte. Im April 2000, vor der ersten Mordtat, wussten das Bundesamt für Verfassungsschutz und die zuständigen Landesämter über die Existenz der Terrorgruppe und des Unterstützerumfelds Bescheid. Sie haben nicht das Angemessene getan, sie hätten den Fahndungsdruck immens erhöhen müssen, das ist ihnen vorzuwerfen.

Die Gründe hierfür sind noch nicht ausreichend geklärt. Es liegt sicher auch an der Verharmlosung und zum Teil an der Leugnung der Bedeutung dieser rechtsterroristischen Gefahr im Bundesamt und auch in nachgeordneten Behörden. Es liegt an der Mentalität, der bürokratischen Routine und natürlich an der Zulassung eines quasi absoluten Quellenschutzes der V-Leute. Diese Ursachen finden sich im Zwischenbericht und im Abschlussbericht der Bund-Länder Kommission in keiner angemessenen Weise. In diesem Sinn ist der Abschlussbericht nach dem jetzigen Stand meiner Informationen keine angemessene Antwort auf das Versagen in der NSU-Mordserie.

Sie sehen strukturelle Defizite, für deren Beseitigung man mehr tun müsste?

Ich sehe die Mentalitätsstruktur und Personaldefizite insbesondere im Bundesamt, das nun ohne entsprechende Korrekturen gestärkt werden soll - das ist das Absurde an diesem Abschlussbericht. Es ist auch von den Innenministern, die diesen Bericht jetzt einzuschätzen versuchen, mehrfach betont worden, dass es eine Neuausrichtung der Sicherheitsarchitektur brauche. Ich sehe keinen Architekten, der an diesem Abschlussbericht mitgearbeitet hätte, also ist er unangemessen.

Es gibt in Deutschland 17 verschiedene Behörden, die für den Verfassungsschutz zuständig sind. Kann das überhaupt funktionieren?

Es kann dann funktionieren, wenn es eine Korrektur in diesen drei Dingen gibt: der Mentalität, dem Personal und der Kooperation. Es ist nicht erkennbar, dass es eine solche grundlegende Reform geben soll. Das Einzige, was sehr entschieden gemacht worden ist, und das ist im Wesentlichen eine Sache des Bundeskriminalamts: Es sind Abwehrzentren beim Bund und in einzelnen Ländern eingerichtet, die für Kommunikation und Kooperation zuständig sind, aber auch den Willen haben, tatsächlich den Alltagsterror einzudämmen.

Womöglich kann auch die gemeinsame Terrorismusdatei von Nutzen sein. Sonst gibt es lediglich kleinste Veränderungen hin zu einem gewissen Mehr an Transparenz, aber das V-Leute-System wird im Wesentlichen verteidigt, wie es ist, also mit all den Gefahren, die diskutiert worden sind - mit der Bitte um etwas mehr Kontrolle. Aber auch die vorgesehenen Ideen zur Verbesserung der Kontrolle sind meines Erachtens nicht zureichend.

Man weiß aus den Untersuchungsausschüssen, dass V-Leute offenbar Kontakt zum NSU hatten und teilweise Verfassungsschützer informierten, doch das kam bei den Ermittlern offenbar nicht an. Was läuft schief beim Umgang mit V-Leuten, was müsste geändert werden?

Es gibt Äußerungen von damals Zuständigen im Untersuchungsausschuss, dass der Quellenschutz bei diesen Rechtsextremen und Neo-Nationalsozialisten, unter denen sich auch Gewalttäter befinden, absolut sei. So ist es wörtlich formuliert worden, etwa von einem stellvertretenden Verfassungsschutzchef aus Thüringen. Das heißt, man hatte mit diesen V-Leuten ein Schattenreich ohne ausreichende Kontrolle.

Es stellt sich die Frage, warum das Bundesamt dies nicht aufklärt. Es ist nicht geschehen, so dass ich überhaupt nicht sehen kann, wie die eine oder andere rechtstechnische Veränderung zu einem fundamentalen Einstellungswandel in der Haltung der Inlandsgeheimdienste gegenüber V-Leuten führen kann.

Das ist vielleicht die größte Problematik innerhalb der Inlandsgeheimdienste, dass man Formen der Kumpanie erreicht und Duz-Freundschaften entwickelt hat, statt die V-Leute als das zu nehmen, was sie sein sollten, als Informationsverstärker der Inlandsgeheimdienste. Ich sehe noch nicht, dass es mit diesen kleinen rechtstechnischen Veränderungen gelingen wird. Ich bin, solange es hier keine Klärung gibt, für die Abschaffung der V-Leute.

Der Politikwissenschaftler Prof. Hajo Funke lehrt am Institut für Politische Wissenschaften der Freien Universität Berlin (seit 2010 emeritiert). Sein Schwerpunkt sind Untersuchungen zu Rechtsextremismus in Deutschland. Funke hat den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages intensiv begleitet und war Gutachter in den NSU-Untersuchungsausschüssen in Thüringen und Bayern.

Das Interview führte Andrea Grunau.